Der eine ist Astrophysiker, der andere katholischer Theologe und Seelsorger: In der ZDF-Fernsehserie „Lesch sieht Schwartz“ tauschen sich Prof. Harald Lesch und Pfarrer Thomas Schwartz über sinnstiftende und theologische Themen aus. Naturwissenschaft trifft Glaube. Ein Widerspruch? Eine Chance? Im Gespräch mit der KirchenZeitung spricht Thomas Schwartz über die Sinnfrage, intellektuelle Kurzfristigkeiten des Denkens und, warum viel Physik Gott zurück bringt. Und darüber, warum bei aller Technikgläubigkeit vor allem das eigene Handeln zählt, die Selbstbegrenzung angesichts einer Welt, die immer schneller ihre Ressourcen verbrennt.
Es sind zwei Welten, die aufeinandertreffen: Religion basiert auf Glauben, Wissenschaft auf Belegen. Ist es wirklich so einfach, Herr Pfarrer Schwartz?
Schwartz: Was kann Naturwissenschaft? Sie kann immer hervorragender, feiner und besser die Welt beschreiben, kann verständlich machen, wie Abläufe funktionieren, wie sich die Gesetze der Natur verhalten. Naturwissenschaftler können alles beschreiben, aber nichts einen Sinn geben. Dem Ganzen einen Sinn zu geben ist Aufgabe des Glaubens. Das können Naturwissenschaftler nicht, da sollten sie bei ihren Leisten bleiben. Wenn sie anfangen wollten, der Welt einen Sinn zu geben, würden sie schnell an ihre Grenzen stoßen oder bei der Zahl „42“ wie im Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“. Es ist den Naturwissenschaftlern schlicht nicht möglich.
Wenn ich die Welt berechnen kann, brauche ich da Gott, der sich ohnehin nicht in eine Formel packen lässt?
Schwartz: Die Naturwissenschaften stellen keine Sinnfrage. Aber der Mensch stellt sie sich. Das ist ja das Problem. Der Naturwissenschaft per se mag das Beschreiben der Wirklichkeit genügen, den Menschen nicht. Wir sind das Wesen, das immer mehr und immer darüber hinaus fragen kann. Was soll das Ganze jetzt?! Da finden die Naturwissenschaften keine Antwort, das ist einfach so. Warum? Wozu? Weswegen? Das sind Fragen, die uns Menschen kennzeichnen, das macht uns ja aus. Mit einem Affen habe ich bislang noch nicht diskutiert, mit einem Menschen schon häufig. Und ich erlebe, dass meine theologischen Antworten bei den Fragenden schon ankommen.
Thomas Schwartz
Kann der objektive Naturwissenschaftler gläubig sein?
Schwartz: Ein bisschen Physik, ein bisschen Naturwissenschaft, bringt von Gott weg. Wer hier Luft geschnuppert hat, meint oft, er bräuchte Gott nicht. Viel Physik bringt aber zu Gott zurück. Das sagte übrigens einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler, nämlich Heisenberg. Es kann sich angesichts der naturwissenschaftlichen Wahrscheinlichkeiten, dass es den Menschen so gibt, wie es ihn mit all seinen Fragen gibt, schnell ein Staunen einstellen. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung besagt, dass der konkrete Mensch die kleinste Wahrscheinlichkeit ist, die es im Universum überhaupt gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass es Gott gibt, der dem Ganzen einen Sinn gibt, ist stochastisch besehen 1:1. Angesichts der Gesetze der Natur, die überall im Universum gelten, stellt sich die Frage „Woher kommt das Ganze?“ öfter.
Mit dem Astrophysiker Prof. Harald Lesch moderieren Sie die ZDF-Fernsehserie „Lesch sieht Schwartz“. Hier spielen Sie auch mit dem Spannungsverhältnis von Naturwissenschaft und Glaube. Gibt es diesen vermeintlichen Widerspruch überhaupt?
Schwartz: Für Harald Lesch sind Glaube, Theologie und Naturwissenschaft kein Widerspruch, gar keiner. Es freut ihn, dass es Menschen gibt, die theologische Wissenschaft betreiben. Übrigens sind Theologen auch Wissenschaftler, denn sie haben ebenfalls ihre wissenschaftlichen Methoden. Es ist ja keine irrationale Betätigung. Die Annahme, dass sich Glaube und Naturwissenschaft automatisch ausschließen, zeigt eher eine gewisse geistige und intellektuelle Kurzfristigkeit des Denkens.
Wie verhalten sich Glaube und Naturwissenschaft zueinander?
Schwartz: Das große Problem ist es, deutlich zu machen, dass Glaube und Theologie durchaus Relevanz für unser Leben haben. Ich glaube nichts, mir fehlt nichts – wer so denkt, ist dem teuflischen Versprechen der Moderne aufgesessen, das uns sagt: Du brauchst dich um nichts zu kümmern, es wird jeden Tag alles besser. Wir merken gerade, dass es nicht jeden Tag besser wird. Im Gegenteil. Es hat ein neues Jahr begonnen, das voller Unwägbarkeiten steckt. Ein neuer Präsident in den USA, weltweite Kriege, Spannungen zwischen China und Taiwan, wir erleben viele Polarisierungen in unseren Gesellschaften.
Haben Sie Angst vor der Zukunft?
Schwartz: Ich persönlich nicht, aber die Umstände sind geeignet, eine große Zukunftsangst zu bekommen. Jahrelang lautete das gesellschaftliche Versprechen: Es wird euren Kindern besser gehen als euch selber. Vor diesem Hintergrund sehnen sich viele Menschen in die „gute alte Zeit“ zurück. Wir erleben, dass das Versprechen einfacher Lösungen zu schwierigen Fragen verfängt. Einfache Lösungen wie sie die AfD, BSW oder in Amerika Donald Trump anbieten. Deren Botschaft beispielsweise lautet: Wir brauchen nur die bösen Migranten zurückführen, aus der EU austreten und Zölle einführen, dann geht es uns wieder gut. Einfache Antworten sind verbunden mit einem Zorn darauf, dass sich viele Vertreter der Gesellschaft und Eliten der Gesellschaft um die Verlust-ängste der Menschen nicht mehr zu kümmern scheinen.
Sie hatten eben das Zukunftsversprechen der Wissenschaft angesprochen. Woher kommt dieses Versprechen?
Schwartz: Technik steht für Berechenbarkeit. Das ist das, was uns die Naturwissenschaften seit 300 oder 400 Jahren gegeben haben. Dank naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Innovationen wurde ein Wohlstandsschub erreicht, der die Menschen in die Situation gebracht hat, dass es uns wahrlich nie besser gegangen ist als heute. Noch nie haben weltweit so wenige Menschen am Existenzminimum gelebt wie heute. Technik und Naturwissenschaften haben mit der Berechenbarkeit der Welt offenbar ihre Versprechen eingehalten. Aber wir stoßen mit diesem Modell an unsere Grenzen. Unbegrenztem Wachstum stehen begrenzte Ressourcen gegenüber. Wir haben aber nach wie vor dieses blauäugige Vertrauen, dass ausschließlich mit Technik und wissenschaftlichem Fortschritt alles erreicht werden kann, alles möglich ist.
Ein Irrglaube?
Schwartz: Die Jahreslosung für 2025 stammt aus der Feder von Paulus und lautet: Prüft alles und behaltet das Gute. Es ist vielleicht an der Zeit, neu anzufangen, manches zu überdenken.
Hätten uns die Grenzen des Wachstums nicht seit der Veröffentlichung der Studie zur Lage der Menschheit des Club of Rome im Jahr 1972 klar sein müssen?
Schwartz: Der Club of Rome war eine Intellektuellenveranstaltung beziehungsweise wurde so wahrgenommen. Die gängige Meinung war: Die Verfasser der Studie sollten sich lieber mal damit befassen, technische Lösungen zu entwickeln anstatt sich theoretisch mit Problemen zu beschäftigen. Wir rufen immer nach technischen Lösungen, als könne die Technik jedes Problem lösen. Dabei schafft jede Lösung meist eine ganze Reihe neuer Probleme. Der Mensch neigt offenbar dazu, sich in seiner Grundhaltung erst dann zu ändern, wenn er vor existenziellen Problemen steht und sich fundamental etwas ändert.
Dann scheint die Schmerzgrenze des Wachstums, des Klimawandels und Ressourcenverbrauchs ja noch nicht erreicht zu sein?
Schwartz: Offensichtlich nicht. Wir reden alle über Jahrtausendunwetter und Klimawandel, aber wählen zunehmend diejenigen, die uns sagen: „Das ist nur Wetter.“ Als Christ bin ich kein Krisen-Herbeireder, sondern Optimist. Als Naturwissenschaftler würde ich sagen: Die Leute machen bei gewissen Rechnungen der Wissenschaft nicht mehr mit. Weil sie Angst davor haben, sich den Folgen, die sich aus diesen Berechnungen ergeben, zu stellen.
Die naturwissenschaftlichen Beweise liegen auf der Hand. Warum schenken wir ihnen kleinen Glauben?
Schwartz: Die anstehende Katastrophe lässt sich mit Modellen berechnen. Bis zu einem gewissen Grad folgt man den Naturwissenschaftlern gerne. Aber irgenwann müsste daraus etwas folgen, auch für unser eigenes Verhalten. Dann sagt man den Naturwissenschaftlern: „Nö. Hört auf mit euren Prognosen, versucht doch lieber einmal, technische Lösungen herbeizurufen.“ Da finden im Grunde die Naturwissenschaftler bei den Theologen offene Ohren. Weil Glaube etwas ist, das auf das Verhalten der Menschen ausgerichtet ist. Wir können ideale Gesprächspartner für die Naturwissenschaftler sein. Wir hören das, wir haben keine Angst.
Thomas Schwartz
Spielt der Glaube hier als Konstante in einer sich schnell wandelnden, immer technischer werdenden Welt eine Rolle?
Schwartz: Unser Glaubensinhalt lautet: Wir sind Gott so wichtig, dass er Mensch wird. Er lädt uns ein, unsere Grenzen wahrzunehmen, sie ernstzunehmen und anzunehmen. Wir sollen uns nicht durch Technik in eine Situation hineinheben, an der wir uns an die Stelle Gottes setzen. Zweitens gibt Glaube den Menschen einen Motivationszusammenhang für Veränderung und Umkehr: Denn wir Menschen sind nicht allein, wir sind begleitet, werden getragen.
Spielen wir mit unseren technischen Möglichkeiten zu oft Gott?
Schwartz: Wir sollten uns nicht wie Gott benehmen, uns auch keine falschen Götter machen. Künstliche Intelligenz und viele andere technische Möglichkeiten werden mittlerweile vergottet. Diese Feststellung der Theologie geht erstaunlicherweise mit den Ergebnissen der Naturwissenschaften zusammen. Auch hier wird die Forderung immer lauter, sich zu begrenzen, den Ressourcenhunger einzuhegen, die Zerstörung der Natur einzudämmen. Das ist das, was der Papst auch in seinem Apostolischen Schreiben „Laudate Deum“ deutlich gemacht hat. Er zitiert nicht die Bibel, sondern den Weltklimarat. An der Stelle, an der der Naturwissenschaftler über die reine Beschreibung hinausgeht und ein anderes Verhalten anregt, braucht er den Theologen. Seit dem Turmbau von Babel wissen wir, dass es in gewisse Schwierigkeiten mündet, wenn wir meinen, wie Gott werden zu können.
Die Warnrufe der Naturwissenschaftler scheinen aber zu verhallen, sie werden nicht mehr gehört. Geht es den Naturwissenschaftlern plötzlich wie den Theologen?
Schwartz: Das ist eine Grunderfahrung, die manche Naturwissenschaftler machen. Sie sind beliebt, solange sie die Welt beschreiben und erklären. Aber sie werden schnell unbeliebt und nicht mehr gehört, wenn aus der Beschreibung etwas folgen soll. Dann wollen die Menschen eine andere Stimme, eine andere Meinung hören. An dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel. Oft eine Politik, die ganz anders ist als die, die notwendig wäre. Wie die Naturwissenschaftler blicken auch die Theologen auf diese Welt und auf das, was aus dem Ruder läuft, wenn der Mensch meint, sich zum Herren aufzuschwingen. Auch diejenigen, die „Letzte Generation“ schreien, stehen in der Gefahr, sich an die Stelle Gottes zu stellen. Es ist perfide, das zu behaupten. Die Entscheidung, wer die letzte Generation ist, trifft ausschließlich Gott.
Welche Aufgabe haben Theologen in dieser Debatte?
Schwartz: Aus der Grundhoffnung heraus rufen wir die Menschen zur Umkehr auf. Unsere Aufgabe ist es, den Aufruf und die Mahnung an die Menschen zu bringen, einen Appell an die Menschheit zu richten, sich zu ändern. Aber wir dürfen keinen Menschen dazu zwingen, sich zu ändern. Gewalt kann nicht als probates Mittel der Verhaltensveränderung betrachtet werden. Dann ist das keine Freiheit der Kinder Gottes. Theologie und Glaube glauben eher hoffnungslos an die Vernunft der Menschen.
Das klingt resignierend...
Schwartz: Gar nicht! Es mag zuerst resignierend klingen, aber es ist letztlich hoffnungsvoll. Durch die Vernunft spricht ja der Herrgott zu uns. Ich bin hoffnungslos der Überzeugung anheimgefallen, dass Umkehr möglich ist und rufe den Menschen zu: „Kehrt um und glaubt an die frohe Botschaft und haltet euch deshalb zurück.“
Führen wir seit über 2000 Jahren die gleiche Diskussion über Verschwendung und Anmaßung?
Schwartz: Darüber habe ich an Weihnachten gepredigt: Für euch ist heute der Retter geboren. Aber wollen wir überhaupt einen Retter? Diejenigen, die gottlos die Naturwissenschaften verwenden, glauben, dass sie keinen brauchen. Sie „optimieren“ sich selbst, nehmen es selbst in die Hand. Es beginnt mit der Smartwatch, die einem anzeigt, wie viele Schritte für das perfekte kardiovaskuläre System pro Tag notwendig sind. Wir Menschen spritzen uns gesund oder schlank. Wir sagen der Künstlichen Intelligenz: „Mach mal eine Präsentation“ und geben sie dann als unsere eigene aus. Das ist die Versuchung – dass der Mensch sich selbst optimiert. Dabei sagt uns Weihnachten: Du brauchst das gar nicht! Gott kommt in die Welt als Kind hinein, um uns zu vollenden, nicht, um uns zu perfektionieren. Er ist ein Kind, das sich entwickeln kann, in die Richtung von mehr Menschlichkeit. Wir Menschen aber wollen immer göttlicher werden, ewig leben, keine Leiden mehr an uns herankommen lassen. Wir wollen nicht mehr leiden, sterben und uns ehrlich gesagt auch nicht mehr richtig anstrengen.
Ist der Einsatz von Technik und Wissenschaft denn falsch?
Schwartz: Nein, gewiss nicht. Wir Menschen können mithilfe der Technik sehr vieles erreichen. Können und Sollen sind aber zwei unterschiedliche Sachen. Aus den Fähigkeiten ergeben sich auch Pflichten. Aus den Mächtigkeiten werden Verpflichtungen generiert. Macht ist nur dann verantwortungsvoll, wenn sie sich beschränken kann. Wenn Wissenschaft Wissen schafft, wird sie bescheiden. Gott ist auch bescheiden und verantwortungsvoll. Wenn uns Wissenschaft unbescheiden macht, nennt man das Hybris, Hochmut. Dagegen predigt die Theologie Demut. Den Mut, dass jede Erkenntnisse dem Menschen dienen sollte. Immer dort, wo das Ganze ökonomisiert wird und aus den Ergebnissen der Wissenschaft Geschäfte entstehen, wird der Mensch zum Gegenstand des Geschäfts und Objekt der Dienstleistung.
Haben wir Demut nicht selbst abgeschafft?
Schwartz: Für mich ist das Geheimnis echter Liebe Demut: der Mut, sich selber mal nicht in den Mittelpunkt zu setzen. Am Anfang und am Ende des Lebens kommen wir alle mit den Grenzen unserer eigenen Menschlichkeit in Berührung. Wir müssen den Mut haben zu sorgen, für ein kleines Kind, für einen alten Menschen. Es gibt sicher manche, die die Demut verloren haben. Die den Mut verloren haben zum Dienst. Die Geburt Christi zeigt uns, dass dieses kleine Kind nur überleben kann, wenn es von Menschen umsorgt und nicht von Maschinen gepflegt wird. Glaube ist eine Einladung zum Sorgen. Nicht, um vor Unheil Angst zu haben. Sorgen bedeutet, sich selber nicht ins Zentrum des Universums zu stellen, sondern einen anderen mit seinen Bedürfnissen. Sorge verleiht Sinn. Sie sagt: Es ist gut, dass es dich gibt und nicht schädlich! In der Abtreibungsdebatte erleben wir eine Umkehr dieses Prinzips: Es ist nicht gut, dass es dich gibt. Es fehlt nichts, wenn es dich nicht gibt. Das Gleiche gilt auch in der Debatte um Euthanasie und die sogenannten Todesboxen, die Menschen aufstellen, damit sie anderen nicht zur Last fallen. Die Botschaft lautet: Setzt euch in solche Boxen rein und lasst euch mit Stickstoff fluten.
Ist dies keine freie Willensäußerung am Lebensende?
Schwartz: Ich sehe es als besorgniserregendes Zeichen, dass wir uns Sorge nicht mehr zutrauen und dass wir anderen Sorge nicht mehr zumuten wollen. Sorgen – das strengt an, das kostet ja etwas. Hier kommt wieder das Technikversprechen ins Spiel: Es wird nicht nur alles besser, sondern auch bequemer.
Ist dies eine Form von Wohlstandsverwahrlosung?
Schwartz: Ich bin kein Wohlstandsgegner. Ich lebe ganz gut, lebe besser als viele andere Menschen auf der Welt. Wir haben aber das Prinzip der Effizienz verabsolutiert und dabei das Prinzip des Genügenden aus dem Blick verloren. In den 60er-Jahren wurden genauso viele Ressourcen verbraucht wie nachgewachsen sind. Schlecht ist es uns da nicht gegangen. Wir haben kein Wohlstandsproblem, sondern ein Luxusproblem. Die Welt hat genug für den Wohlstand aller Nationen, aber nicht für den Luxus aller. Unser kapitalistisches System, unser ökonomisches System lebt immer noch von der Gier: Du brauchst das, du musst das haben. „Greed is good“, hat Michal Douglas in „Wallstreet“ gesagt. Gier ist eigentlich eine psychische Störung. Dass die gut sein soll und mit einem hohen moralischen Wertungsbegriff versehen wird, macht mich fassungslos. „Greed is good“ – das schafft die Welt auf Dauer nicht.
Bedarf es einer Allianz von Naturwissenschaft und Theologie?
Schwartz: Harald Lesch und ich versuchen das ja zu tun. Auch als Theologen müssen wir offen für naturwissenschaftliches Denken sein, wie es auch immer Menschen gibt, die offen für den Glauben gewesen sind. Im permanenten Gespräch können und wollen wir voneinander lernen. Diese Offenheit ist etwas, das man sich nur wünschen kann. Der Papst macht es uns in seinem Schreiben über die Klimakrise vor. Die Naturwissenschaft zeigt uns, dass wir einen begrenzten Lebensraum haben. Die Theologie sagt uns, dass diese Begrenztheit eine Chance ist, sich wieder selbst zu finden, sich selbst zu begrenzen, zu dienen. Dort, wo der Mensch sein will wie Gott, produziert er verbrannte Erde, entsteht Furcht und Tod. Wo Gott zum Menschen wird, kommt Freude und Leben in die Welt.
Was glauben Sie für das Jahr 2025?
Schwartz: Es geht weiter.
War das eine theologische oder naturwissenschaftliche Sichtweise?
Schwartz: (lacht) Beides. Ich hin hoffnungslos optimistisch. Grundsätzlich geht es weiter.
Was wünschen Sie sich für das Jahr 2025?
Schwartz: Dass dieses Jahr ein Heiliges Jahr wird. Das ist es dann, wenn wir uns nicht fürchten. Wir brauchen nichts zu beschönigen, es wird nicht dazu kommen, dass wir zaubern können. Aber wir können arbeiten, mutig ohne Hochmut, mit großer Demut die Aufgaben angehen, die wir alle tatsächlich bewältigen können. Ohne zu meinen, dass wir sie perfekt abschließen müssten. Wir sollten angstfrei, aber mutig nach vorne gehen; nicht zu sehr uns ins Zentrum stellen, sondern die Gemeinschaft, das Gemeinwesen. Wer die Überindividualisierung lebt, sieht nur noch sich, die eigenen Bedürfnisse und erkennt in seinen Bedürfnissen die eigene Wahrheit. Die Wahrheit liegt aber nicht im Individualismus, sondern in der Gemeinsamkeit. Wir können gemeinsam mehr Mensch sein als im Neben- oder gar Gegeneinander. 2025 müssen wir wieder aufeinander zugehen anstatt uns immer weiter zu trennen und zu polarisieren.
Worin sehen Sie die vorrangige Aufgabe der Politik in diesem Jahr?
Schwartz: Dass sie sich nicht um Einzelinteressen zu kümmern hat, sondern um das Gemeinwohl. Die Politik hat in den kommenden Jahren große Herausforderungen für alle zu stemmen, seien es innere und äußere Sicherheit oder die Frage, wie wir es schaffen, 85 Millionen Menschen in Deutschland zusammenzuhalten und zusammenzuführen. Aufgabe der Politik ist es, das Gemeinwohl zu fördern. Deswegen kann das auch manchmal bedeuten, dass der ein oder andere wieder neu lernen werden muss, zu verzichten.
Thomas Schwartz wurde 1990 zum Priester geweiht. Nach seiner Kaplanszeit und moraltheologischer Promotion in Freiburg im Breisgau war er von 1999 bis 2009 als Hochschulpfarrer in Augsburg tätig. Von 2005 bis 2014 war er Professor für Angewandte Ethik an der Hochschule Augsburg, dort wurde er 2014 Honorarprofessor für Wirtschafts- und Unternehmensethik. Seit Oktober 2021 ist er Hauptgeschäftsführer der Solidaritätsaktion Renovabis, dem Osteuropa-Hilfswerk der Katholischen Kirche in Deutschland. Mit dem Astrophysiker, Naturphilosophen und Wirtschaftsjournalisten Harald Lesch moderiert er seit Sommer 2022 die ZDF-Fernsehserie „Lesch sieht Schwartz“. Die beiden laden dazu ein, sich jeweils vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Herausforderungen mit theologischen und existenziellen Fragen zu beschäftigen. Die jüngste Folge wurde am Dreikönigstag (6. Januar) gesendet, im Mittelpunkt stand die Frage: „Was ist gerecht?“ Die aktuelle Folge kann hier in der ZDF-Mediathek angeschaut werden:
https://www.zdf.de/gesellschaft/lesch-sieht-schwartz/versuchung-fluch-oder-
segen-film-von-nina-koshofer-100.html