Für die „Pastoralen Räume“ sind im „Heute-bei-dir“-Prozess Entscheidungen getroffen worden, wie künftig „Leitung“ sein soll. „Schlanke, partizipative und selbstorganisiert-selbstverantwortete Strukturen und die Realisierung des synodalen Entscheidungsprinzips“ sollen etwa nach dem Beschluss des Synodalkreises zugrunde liegen. Schon heute gibt es im Bistum unterschiedliche Leitungsmodelle. Eine Auswahl.
Vor gut zehn Jahren führte der damalige Pfarrer Josef Voss in dem Teil der GdG Aachen-Nordwest (Laurensberg, Richterich, Horbach), in dem er als Pfarrer verantwortlich war, das Modell „Leitung in Gemeinschaft“ ein. Engagierte Laien übernehmen Verantwortung in und für die Leitung ihrer Gemeinden, der Priester wird entlastet und gewinnt Zeit für die Seelsorge.
Ein Modell, das in Aachen-Nordwest so gut ankam, dass es seit November 2021 alle sechs Gemeinden der „GdG grenzenlos“, wie sie inzwischen heißt, praktizieren. Mit eigener Satzung und Beauftragung durch Bischof Helmut Dieser.
Einen GdG-Rat gibt es nicht mehr. Er wurde vom Gemeindeleitungsteam abgelöst. Das besteht aus allen Hauptamtlichen plus je zwei dafür gewählten Ehrenamtlichen aus jeder Gemeinde, zusammen 22 Leute. In dieser großen Runde wird jedoch nur einmal im Quartal getagt. „Arbeitsgremium“ ist die vierzehntägige Leitungskonferenz, bestehend aus jeweils einem Ehrenamtlichen pro Gemeinde sowie fünf Hauptamtlichen. Dass die Laien einer mehr sind, soll ihr Gewicht unterstreichen.
Zunächst hätten sie Bestandsaufnahme gemacht, geschaut, wer sich für welche Themen zuständig fühlt, beschreibt Gemeindereferentin Gerlinde Lohmann. Michael Strack, einer der Ehrenamtlichen, ergänzt: „Wir mussten uns erst einmal finden. Wo liegen unsere Stärken? Was verbindet die Gemeinden bereits? Was passiert vor Ort und wo können Dinge gemeinsam passieren?“ Wichtig sei, über den Kirchturm hinaus zu schauen, aber auch zu erkennen, welche Themen für die einzelnen Gemeinden von Bedeutung sind, erklärt Pastoralreferentin Tetyana Lutsyk. Das funktioniere schon gut.
Die beteiligten ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer seien alles Gemeindemitglieder, denen etwas an Kirche liege, die aber auch kritisch seien. „Wir versuchen, gemeinsam Positionen zu entwickeln und darüber zu diskutieren. Das ist schon spannend, weil sie mitgestalten, aber auch nicht hinnehmen wollen, was ihnen nicht gefällt“, sagt Tetyana Lutsyk. „Wir wollen einen Rahmen schaffen, in dem Menschen sich zu Wort melden können“, erklärt Gerlinde Lohmann. Es sei immer auch ein Ringen miteinander. „Geteilte Führung heißt Verantwortung abgeben. Aber die Emanzipation der Laien tut Kirche gut. Wir sind beauftragt, das ist ein Zeichen von Wertschätzung“, betont Michael Strack. Für alle drei steht fest, „wenn man das einmal gemacht hat, führt kein Weg mehr zurück“. Gemeinsames Priestertum aller Getauften müsse ernst genommen werden.
Andrea Thomas
Volle Kirchenbänke wie auf dem benachbarten Foto gibt es immer seltener – da bildet Eschweiler keine Ausnahme. In Anbetracht der Situation von Kirche in der Gesellschaft und als Antwort auf die Herausforderungen vor Ort soll es darum ab 2023 hier statt drei einzelner GdG-Räte nur noch einen gemeinsamen Rat für die ganze Stadt geben. Diese Idee erwuchs auch aus der Entscheidung aller drei Räte, mit Blick auf den laufenden Bistumsprozess „Heute bei dir“ im Jahr 2021 keine Neuwahlen durchzuführen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Der Mangel an Nachwuchs spielte bei dieser Entscheidung keine ganz unbedeutende Rolle. Zum einen zeichnet sich heute schon ab, dass in 15 Jahren rein rechnerisch nur noch rund elf Hauptamtliche in Eschweiler ihren Dienst tun werden, darunter höchstens zwei bis drei Priester. Zum anderen sinkt die Zahl der katholischen Frauen und Männer, die bereit sind, ehrenamtlich ihr Mitbestimmungsrecht am Gemeindeleben auszuüben. Zugleich ist die Lebensrealität der Eschweiler Katholiken nicht mehr so eindeutig an den Grenzen von Gemeinden orientiert, wie das vor einigen Jahrzehnten noch der Fall war. Dem wird auch im Blick auf andere Gemeinden im Bistumsprozess „Heute bei dir“ Rechnung getragen, wenn es darum geht „Pastorale Räume“ zu benennen, in denen sich vielfältige kirchliche Angebote weiter- und neu entwickeln sollen.
Im Jahr 2010 gab es bei der Zusammenlegung von Gemeinden bereits erste Fusionen. Warum dann nicht die vorhandenen Kräfte bündeln, um die anstehenden Aufgaben effizienter bewältigen zu können? Nachdem das Bistum 2021 eine Absage der GdG-Rats-Wahlen kritisierte und fachliche Unterstützung zusicherte, entstand in einer Beratungsrunde aus den vorhandenen GdG-Räten der Entschluss, einen Gemeinsamen Rat für ganz Eschweiler zu wählen.
Es wurde ein Arbeitskreis aus Ehren- und Hauptamtlichen gebildet, der mit Unterstützung durch das Bistum die Ziele, die Aufgaben und die Zusammensetzung dieses Rates beschreibt und eine Satzung ausarbeitet. Hierbei geht es nicht um Kirchenschließungen, wie haupt- und ehrenamtliche Mitglieder der Arbeitsgruppe betonen, sondern um eine Lösung, die die Interessen aller Eschweiler Gemeinden von St. Jöris bis Weisweiler, von Fronhoven bis Hastenrath im Blick hat. Der Arbeitskreis – Mitglieder sind jeweils zwei Vertreter der derzeitigen GdG-Räte sowie GdG-Leiter Pfarrer Michael Datené und die Pastoralreferenten Norbert Franzen und Tobias Kölling – arbeitet autark; das Ergebnis seiner Beratungen braucht vom Bistum nicht genehmigt zu werden.
Bis November 2022 wurden insgesamt sieben Beratungstreffen des Arbeitskreises vereinbart. Die Erarbeitung der Ordnung für den Gemeinsamen Rat soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Das Ergebnis soll dann den drei GdG-Räten zur Entscheidung und dem Bistum zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. Der Gemeinsame Rat, der die bestehenden drei GdG-Räte ablösen soll, könnte dann vor Ostern 2023 gewählt werden. Vielleicht kann das Ergebnis der Eschweiler Arbeitsgruppe dann auch andere Gemeinden im Bistum dazu ermuntern, neue Wege zu gehen.
Ruth Schlotterhose
Bis vor zweieinhalb Jahren, könnte man sagen, herrschten in der Pfarrei St. Matthias Schwalmtal noch „goldene Zeiten“. „Acht geweihte Häupter waren hier im Einsatz“, erzählt Diakon Franz-Josef Cohnen, mittlerweile im Ruhestand. Sechs Gemeinden zählen zur Pfarrei, die sich über das Stadtgebiet Schwalmtals erstreckt. Doch Krankheit, Ruhestand und andere Aufgaben dünnten die Personaldecke erheblich aus, das Pastoralteam stand nach dem Ruf von Pfarrer Thorsten Aymanns nach Aachen plötzlich ohne eigenen Pfarrer da. Als Administrator übernahm Pfarrer Johannes Quadflieg die Pfarrei, zusätzlich zu seiner eigenen Pfarrei St. Benedikt Grefrath.
Angenehm überrascht war das Team vom neuen Pfarradministrator. Die Befürchtungen, er würde einmal die Woche einfliegen und das Nötigste erledigen, zerschlugen sich schnell. „Pfarrer Quadflieg nimmt sich sehr viel Zeit“, unterstreicht Cohnen. Und stellt die Weichen in Richtung mehr Eigenverantwortung. Denn das sei, berichten die Mitglieder des Pastoralteams selbstkritisch, in den vergangenen Jahren etwas vernachlässigt worden. Doch es gebe auch Aufbrüche, beispielsweise in der Pfarrcaritas. Auch ein ehrenamtlicher Begräbnisdienst sei aktiv. Doch: „Manche möchten im Sterbefall doch lieber einen Priester, der das Sakrament der Krankensalbung spenden kann“, sagt Adele Schuren, ehrenamtliche Ansprechpartnerin für St. Gertrud Dilk-rath.
Weil man eben nicht der Priester sei, werde man „übersehen“, sagt Pastoralreferentin Ursula Hüsgens, in der Pfarrei auch verantwortlich für die Pastoral an der Grabeskirche St. Anton. Es fehle vielen das „Gesicht“ der Gemeinde. Vor diesem Hintergrund sehen alle etwas mit Sorge auf die geplanten Strukturreformen des Bistums. „Wir haben jetzt 9000 Mitglieder in der GdG, wie soll es werden, wenn es demnächst 20000 sind?“, fragt sich Roswitha Kryn, die sich ehrenamtlich in Waldniel engagiert. Gemeindeleben kann nur funktionieren, da sind sich alle einig, wenn es vor Ort Menschen gibt, die sich engagieren, die Gemeinde voranbringen – egal, ob Priester oder Laie.
Kathrin Albrecht
Wenn vor Ort Priestermangel herrscht, sieht Canon 517 §2 im Kirchenrecht (CIC) die Möglichkeit vor, dass ein Laie oder eine „Gemeinschaft von Personen an der Ausübung der Hirtensorge einer Pfarrei“ beteiligt sein können. Seit 1994 gibt es das Modell im Bistum Aachen, auch die Pfarrei St. Michael Krefeld wird so geleitet.
Eine, die sich sehr gut damit auskennt, ist Edith Furtmann. Sie gehörte von 2001 bis 2017 einem Leitungsteam an, erst in Maria-Waldrast, dann in der Pfarrei St. Michael. Seit Januar 2022 gehört sie wieder zum aktuellen Leitungsteam der Pfarrei. „517,2 funktioniert gut, wenn die Gemeinde aktiv ist und sich einbringt“, sagt sie. Vier Ehrenamtliche gehören zum Leitungsteam, daneben Theo Pannen, Pastoralreferent in der GdG Krefeld-Süd, zu der die Pfarrei St. Michael gehört, als hauptamtlicher Begleiter und Pfarrer Thorsten Obst als Moderator.
Im Grunde übernimmt das Leitungsteam alle Aufgaben, die ein Pfarrer in Leitung auch übernehmen würde. Vertreter des Leitungsteams sitzen auch im Kirchenvorstand und im GdG-Rat. Es gibt regelmäßige Treffen, vieles werde auch per E-Mail oder Whatsapp geregelt. „Es ist Arbeit, da muss man reinen Wein einschenken. Aber man darf selber denken und Dinge ausprobieren. Das hat mir in der ersten Amtszeit großen Spaß gemacht“, blickt Edith Furtmann zurück.
Bis vor gut zwei Jahren war die Gemeinde sehr aktiv, doch mit Corona sei vieles verlorengegangen, was gut funktioniert habe, erzählt Furtmann. Hinzu komme die Sturkturreform des Bistums. Derzeit werde überlegt, was weitergeführt und was eingestellt werden müsste. Und dann ist die Frage, wie Menschen zu gewinnen sind, die sich für und in der Gemeinde engagieren. Gerade über niedrigschwellige Angebote, wie dem Kochabend für Geflüchtete aus der Ukraine, funktioniere das gut. „Kirche ist kein Selbstbedienungsladen“, unterstreicht Edith Furtmann, „jeder getaufte Christ ist verantwortlich, dass es läuft“. Dafür sei 517,2 das ideale Modell.
Kathrin Albrecht
Als die Diagnose im Frühjahr 2020 kam, war sofort klar, dass Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran für eine lange Zeit als Leiter der Pfarrei St. Martin Wegberg ausfallen würde. Für Außenstehende ist sein Fehlen kaum zu bemerken. Im monatlich erscheinenden Pfarrbrief schrieb er trotz seiner schweren Erkrankung weiterhin das Grußwort. Aber Messen feiern, Seelsorger-Gespräche führen und die anderen vielfältigen Aufgaben, die die Leitung einer Pfarrei mit sich bringt, das konnte der Geistliche nicht mehr.
Trotzdem brauchte er sich um seine Pfarrei keine Sorgen zu machen. Denn seine Mitarbeitenden, hauptamtliche wie ehrenamtliche, verteilten seine Aufgaben schnell untereinander, so dass das Gemeindeleben weiter funktionierte. Wie hat er das gemacht?
„Von Anfang an war klar, dass ich nicht alles alleine machen kann“, sagt Pfarrer Tran. 2010 hatte er die Leitung in Wegberg übernommen. Auf dem Papier ist es das klassische Leitungsmodell: an der Spitze der Pfarrer, der Rest folgt. Aber eine Gemeinde kann nur leben, wenn sich viele beteiligen. „Freiheit, Begegnung und Ermöglichung gehören dazu“, sagt Tran. Wer in der Gemeinde etwas auf die Beine stellen möchte, hat die Freiheit, das zu tun. Es gehe darum, voneinander zu lernen. Dazu gehöre es auch, dass man Fehler macht und damit lösungsorientiert umgeht. Niemand wird dafür verurteilt, niemand soll besserwisserisch belehrt werden.
Wer sich mit der Gemeinde identifiziert und sich in ihr engagieren möchte, braucht auch den Freiraum, Dinge auszuprobieren, und die Sicherheit, dass die Leitung hinter einem steht. Das werde in der Zukunft noch wichtiger, ist Tran überzeugt. „Wir brauchen ein neues Rollenverständnis in Hauptamt, Ehrenamt und Gemeinde“, sagt er mit Blick auf die Entwicklungen in der Kirche. In „seiner“ Pfarrei hat er im vergangenen Jahr die Erfahrung gemacht, dass diese Haltung besonders in der Krise Früchte trägt. Wie die Gemeinde sich organisiert hat, habe ihn beeindruckt. „Danke an alle Frauen und Männer, Kinder und Jugendlichen, die in irgendeiner Form ehrenamtlich oder auch hauptamtlich tätig waren, damit wir als Pfarrei zusammenstehen können“, sagte er im Dezember 2021 in einem Video an die Gemeinde. „Sie alle sind ein Geschenk.“ In diesem Satz steckt das Geheimnis des Erfolgsmodells Wegberg: echte Wertschätzung.
Garnet Manecke
Agieren statt reagieren. Das ist das Motto, unter dem sich die Pfarrei Heilig Geist Jülich seit 2018 mit der AG 2030 auf den Weg gemacht hat. Und: „Alles in Vernetzung“ ist die Marschrichtung, mit der sie unterwegs ist. Das bedeutet, das Kooperationspartnerschaften mit Schulen und Kindertagesstätten, der Caritas und dem SKF, aber auch mit der Kommune für ein gelingendes Glaubensleben gesucht werden. Damit hat sich die Pfarrei mit ihren 16 Gemeinden schon vor dem Start des „Heute bei dir“-Prozesses gut aufgestellt und ist schon in der Umsetzung. Das gilt auch für die Leitung der Pfarrei. Ehe Josef Wolff als leitender Pfarrer Ende September aus gesundheitlichen Gründen in sein „Wüstenjahr“ aufbrach, benannte er eine vierköpfige Steuerungsgruppe, die nun die Geschicke der rund 18000 Gläubigen in den 16 Gemeinden leitet.
Pastoralreferentin Barbara Biel, Pfarrvikar Konny Keutmann, Kirchenvorstand Thomas Surma und Verwaltungskoordinatorin Dagmar Stettner sind aktuell
dabei, die vielen Aufgaben, die einige Excel-Tabellen füllen, aufzuteilen, beziehungsweise in die Eigenverantwortung der Gemeinden zu legen. So wurde bereits ein Budget für Reparaturarbeiten festgelegt, über das die Gemeinden selbst verfügen können, „damit wir nicht über jeden tropfenden Wasserhahn befinden müssen“. Alle zwei Wochen trifft sich die Gruppe, um das komplexe Unterfangen „Gemeindeorganisation“ in den Griff zu bekommen. „Vieles, was Josef Wolff mit Leidenschaft betrieben hat, werden wir nicht auffangen können“, betont Barbara Biel. Unklar ist etwa die Organisation der Schulgottesdienste. „Derzeit legen wir ein ‚Zwei-Priester-müssen-es-schaffen‘-Modell zugrunde“, erklärt die Pastoralreferentin.
Um für die „pastoralen“ Raum und Zeit für Mensch und Seelsorge zu schaffen, sollten die „weltlichen“ Dinge von einer hauptamtlichen Verwaltungsleitung „erledigt“ werden. Das ist die Überzeugung von Kirchenvorstand Surma, der sich ehrenamtlich ums Management der 70 kircheneigenen Gebäude kümmert und als „kleines Projekt“ im Schatten des Propsteikirchturms ein neues Pfarrzentrum konzeptioniert. Die gewünschte Verwaltungsstelle gibt es bereits in anderen Pfarreien, war schon vor über zwei Jahren von den Jülichern beim Bistum ohne Erfolg beantragt worden und ist nun erneut im „Antragsstatus“. Vieles gehe, sagt Pfarrvikar Keutmann, immer noch zu langsam im Strukturprozess.
Dorothée Schenk