In Schleiden hat die Abiturientia des Bischöflichen Clara-Fey-Gymnasiums ein besonderes Abschiedsgeschenk bekommen, das ihnen den Aufbruch in die Welt und einen neuen Lebensabschnitt verschönern und in Erinnerung halten soll. Das Stichwort: Verwurzelung.
Auf die Mottowoche freut sich wahrscheinlich fast jeder am Ende der Schulzeit. In diesem Jahr war die Freude wohl besonders groß, dass sie überhaupt stattfinden durfte. Und so bot sich dem Leiter des Schleidener Forstbetriebs, Markus Wunsch, ein wohl länger nicht mehr gewohnter Anblick, als ihm die Gruppe Jugendlicher entgegentrat. Die hauptsächlich grellen Neonfarben dessen, was hier scheinbar unter 80er Jahre verstanden wird, muss wohl die eine oder andere Erinnerung an die eigene Jugend des Försters ausgelöst haben, denn ganz kommentarlos erträgt er sie nicht. Wegen der beruflichen Nähe überrascht es nicht, dass ihm das Jahrzehnt vielleicht sogar besonders wegen des Waldsterbens in Erinnerung geblieben ist, das damals dazu führte, dass seither ein jährlicher Waldzustandsbericht verfasst wird. Diesen Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit der Zukunft, wie die Jugend gerne genannt wird, nutzt er, um auf die drastische Lage des Waldes hinzuweisen.
Nachdem im letzten Jahr das schuleigene Arboretum oder Baum-Beet eingetrocknet war, sollte es in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Forstbetrieb wieder aufgeforstet werden. Dabei sei die Idee entstanden, im örtlichen Wald mit den Abschlussklassen Bäume zu pflanzen, erklärt Schulleiterin Roswitha Schütt-Gerhards. Nachhaltigkeit sei der Anspruch des Gymnasiums. Man habe den Jugendlichen in diesem Sinne etwas Besonderes zum Abschied mitgeben wollen. In Gruppen aufgeteilt, zogen die Jugendlichen in den Wald, „bewaffnet“ mit Hacken und Jutebeuteln voller Setzlinge.
Auch die Wortgottesfeier, die in drei Gruppen separat besucht worden war, hatte das Thema Verwurzelung und Bodenständigkeit. Es sei wichtig, ein Fundament zu haben, auf dem man bauen kann, erkklärte der Geistliche Hardy Hawinkels. Der Glaube könne eben solche Grundsätze liefern, an denen man sich orientieren könne. Mit den Baumpflanzungen hatte der Gottesdienst zwar nichts direkt zu tun, doch war es kein Zufall, dass die Themen zueinander passten. Für den Tag des Gottesdienstes war das ebenso passende Motto „Wir Kinder vom Dorf“ ausgewählt worden. „Es ist wichtig, sich der eigenen Wurzeln bewusst zu sein und sich zu erinnern, woher man kommt“, sagte die Rektorin. „Sich die Welt untertan zu machen, bedeutet eben auch, ein gerechter Herrscher zu sein, der sich um alles kümmert“, ergänzt die zweite Frau an der Spitze, Sonja Hof. „Vor allem einer, der sich darum kümmert, dass es allem, was ihm anvertraut wurde, gut geht.“ Kümmern ist genau das richtige Wort. Nicht nur im Sinne von „etwas erledigen“, sondern eben besonders im Sinne von „unterstützen und pflegen“, damit es die Zeit überdauernd gedeiht. Diese Hilfe brauchen Wälder im Moment dringend.
Der Klimawandel, vor dem seit den angesprochenen 80er Jahren gewarnt wird, hat es mittlerweile in die Mitte der Gesellschaft geschafft und ist zu einer omnipräsenten Bedrohung geworden. Für unseren Lebensstandard, aber eben auch für die Schöpfung und das Leben, das von Mutter Erde so abhängig ist. Wie groß diese Bedrohung geworden ist, verdeutlicht Markus Wunsch mit Nachdruck. Eine Fichte etwa benötige rund 40 bis 120 Liter Wasser pro Tag, erklärt der ganz in Grün gekleidete Mann den Jugendlichen. Da die Niederschlagsmengen über die letzten Jahre immer weiter zurückgegangen seien, gelange nicht mehr genügend Wasser in die tiefen Bodenschichten, um die Bäume ausreichend zu versorgen. Weiter erklärt er den süßlichen Geruch, den man im Sommer im Wald bemerken kann. Für manche sei das der Geruch von Freiheit, spottet er. „Im Grunde ist es wie beim Marmelade einkochen“, verdeutlicht er die Situation. Der Baum trockne aus und könne nicht mehr genügend Harz produzieren, weswegen die Nährstoffe im Baum „kaputt gehen“. Der Waldzustandsbericht des letzten Jahres verheißt ähnlich Schlimmes und machte Schlagzeilen mit der Aussage, dass nur noch etwa 20 Prozent der deutschen Bäume eine intakte Krone tragen.
„Ein weiteres Problem des Waldes“, fährt Markus Wunsch fort, „ist der Borkenkäfer.“ Der Schädling, der in den letzten Jahren durch sein stark vermehrtes Auftreten an Bekanntheit gewonnen hat, ernährt sich von den Nährstoffen der Baumrinden. Im Normalfall setze sich der Baum zur Wehr, indem er den Käfer mit Hilfe seines Harzes abwehre, erklärt der Förster, doch hätten die ohnehin bereits geschwächten Bäume nicht genügend Nährstoffsaft, um Schädlinge abzuwehren, was den Wald zu einem Festbankett für sie gemacht habe. Das Baumsterben sei, bedingt durch diese Faktoren, in den letzten Jahren rapide angestiegen. „20 bis 30 Millionen Festmeter Fichte sterben in NRW jedes Jahr ab. Alle Sägewerke des Landes verbrauchen vergleichsweise etwa fünf Millionen Festmeter.“
Um der Entwaldung der Heimat etwas entgegenzusetzen, wurde in diesem Jahr eine neue Tradition am Clara-Fey-Gymnasium begründet. Jeder Abiturient und jede Abiturientin solle in Zukunft einen Baum pflanzen, erklärt Roswitha Schütt-Gerhards.
In diesem Jahr habe man sich für Rotbuchen, Bergahorne und Lärchen entschieden. Danach treffe jeder Jahrgang für den folgenden eine Wahl. Die erste fiel auf Linden und Esskastanien. „Der Klimawandel ist ein Thema, das uns alle beschäftigen sollte“, mahnt Abiturient Marius Hellenthal. Und auch die weibliche Doppelführung des Clara-Fey-Gymnasiums teilt diese Auffassung. „Wir sehen es als Teil unserer Verantwortung, ein gutes Beispiel zu sein und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es etwas zu tun gilt“, betont Sonja Hof. „Viele der Schüler haben bereits mit ,Fridays for Future‘ gewisse Erfahrungen sammeln können. Es ist einfach wichtig, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes begreifen können, wie der Wald kaputt geht. Wir sind mit daran schuld. Damit die Schöpfung bewahrt werden kann, muss jeder einen Beitrag leisten.“
„Practice what you preach – Handle so, wie du es predigst“, ergänzt die Rektorin überaus passend ihre Stellvertreterin. Jeder der Schützlinge habe nun neben den bildlichen auch reale Wurzeln in der Heimat. Für die meisten wahrscheinlich mit dem Schulabschluss die erste Langzeitinvestition.