Das Motto der Heiligtumsfahrt in Mönchengladbach „Verwoben“ bezieht sich nicht nur auf die Reliquie. Auch Menschen sind miteinander verwoben: in Familie, Freundeskreis und Gesellschaft, national wie international. Bei einem Gesprächsabend in der Citykirche haben fünf Menschen erzählt, warum sie sich engagieren und wie sie eine „verwobene“ Gesellschaft sehen.
Schon während seines Berufs als Bauingenieur hat sich Hans Schürings für die Stadtgeschichte interessiert. Vor allem die große Blütezeit Mönchengladbachs als „Rheinisches Manchester“, als die Textilbarone große Fabriken bauten, hat es ihm angetan. Über viele Aspekte dieser Zeit hält er seit 1987 Vorträge, schreibt Aufsätze in Zeitungen, veröffentlicht Bücher und gibt Workshops. Das macht er nicht ganz allein: Zusammen mit Karl Boland hat er die Geschichtswerkstatt gegründet.
„Stadtgeschichte ist meine Leidenschaft“, sagt der 69-Jährige. „Neben Bau- und Ingenieurwesen habe ich auch Bau-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte studiert.“ Fragt man ihn nach seiner Motivation, warum er viel Zeit investiere, den Mönchengladbachern ihre Stadtgeschichte zu erzählen, nennt er als erstes „die abstrakte Idee, die Stadt besser zu machen, als sie jetzt ist. Oder wie Reiner Calmund immer sagte: ,Man muss positiv bekloppt sein.’“, sagt Schürings. „Wir versuchen ein Verwobensein herzustellen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“
Mit seiner Arbeit stößt er auf großes Interesse. „Wir bekommen viele positive Rückmeldungen“, sagt er. „Unser Textilbuch, das wir vor zwei Jahren veröffentlicht haben, ist stark nachgefragt worden.
Eine Begegnung verändert Sunny Herkes‘ Leben: „Ich sah, wie Menschen in Müllcontainern Flaschen suchten“, erzählt sie in der Citykirche. Weil sie sich wunderte, habe sie die Menschen angesprochen. „Sie hatten nicht genug Geld, um sich etwas zu kaufen“, berichtet Herkes. „Zur Tafel konnten sie aber nicht gehen, weil ihr Einkommen knapp über der Bezugsgrenze liegt.“ Schon ein, fünf oder zehn Euro zu viel reichen, um von den Hilfen ausgeschlossen zu sein. „Diese Leute sind in Not. Im Hilfsnetz gibt es da eine Lücke“, fällt Herkes auf und sie beschließt, diese Lücke zu füllen.
Sie ruft Supermarkt-Ketten an, kontaktiert Unternehmen und Privatpersonen, schreibt E-Mails auf der Suche nach Sponsoren und sucht Mitstreiterinnen. So manches Mal wird sie abgewiesen. „Da sind auch manchmal ein paar Tränen geflossen“, sagt Herkes. „Aber ich habe nicht lockergelassen und die Unternehmen immer wieder angeschrieben.“
Heute hat der Verein „Save the food“ 80 Mitglieder, die Lebensmittel und andere Sachspenden einsammeln. Insgesamt 2000 Personen werden regelmäßig versorgt. Dazu gehören neben Familien auch Altenheime und gemeinnützige Institutionen. Nachweise über ihre Not müssen die Empfänger nicht bringen. „Wir machen das auf Vertrauensbasis“, sagt Herkes. Die Helferinnen setzen nicht nur ihre Zeit ein: Sie haben privat Kühlschränke gekauft, um die Lebensmittel zu lagern, holen sie in eigenen Autos ab und verteilen
Es war eine schwere Zeit für Dirk Dillenberger, als er sich entschloss, sein Leben zu ändern. Gerade hatte er eine Notoperation überstanden, nach der wochenlang nicht klar war, ob er jemals wieder gesund würde. Kurz davor waren seine Eltern gestorben. Mit seiner Familie besprach er, dass er künftig tun würde, wofür sein Herz schlug. Für Dillenberger war das das Schreiben über seinen Lieblingsverein Borussia Mönchengladbach.
Schon als Kind hatte er nach den Spielen auf dem legendären Bökelberg seine Berichte auf der Schreibmaschine getippt. „Das waren keine Spielberichte, sondern Geschichten darüber, was ich gesehen und gefühlt habe“, sagt Dillenberger. Nach der Krankheit macht er das Schreiben zu seinem Beruf. Immer noch ist sein Thema die Borussia. Er ist zum „Stadionpoet“ geworden, der Gedichte, Kurzgeschichten und auch Bücher schreibt. Inzwischen hat Dillenberger eine treue Fangemeinde und kann vom Schreiben leben. Am meisten interessieren ihn Menschen wie die Flaschensammler. Jene, die keiner sieht, rückt er in den Mittelpunkt seiner Berichte.
Als Lehrerin und Kunsttherapeutin arbeitet Lina Rzechula jeden Tag an der Theo-Hespers-Gesamtschule mit Kindern. Sich da auch in der Freizeit mit Kindern zu beschäftigen: Ist das nicht etwas viel? Findet Lina Rzechula gar nicht. In der Gemeinschaft Sant’Egidio kümmert sie sich um die Kinder der Regenbogenschule.
„Viele der Kinder haben Fluchterfahrungen oder kommen aus schwierigen Familienverhältnissen“, sagt sie. Einmal in der Woche trifft sie sich mit anderen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, um mit den Kindern zu lernen, ihnen bei den Hausaufgaben zu helfen, mit ihnen zu spielen, zu singen oder ihnen einfach nur zuzuhören. Einmal im Jahr fährt sie mit den Kindern in ein Ferienlager in der Eifel. 14 Tage Freiheit – für die Kinder ist das jedes Mal ein besonderes Erlebnis.
Warum macht sie das? „Die Kinder brauchen Kontinuität“, sagt sie. „Das merkt man, wenn die Schüler, die sich bei uns engagieren, andere Prioritäten setzen, weil sie zum Beispiel Abitur machen oder wenn sie wegziehen, um zu studieren.“ Das verunsichere die Kinder immer und sie fragen, ob man sie nicht mehr möge.
Dabei seien die Kinder für die Zuwendung sehr dankbar. „Viele kommen schon in der zweiten oder dritten Generation zu uns“, sagt Rzechula. Und dann gibt es bei ihrem Engagement noch die Highlights, wenn die Kinder zu Jugendlichen werden und damit der Regenbogenschule entwachsen. „Viele kümmern sich dann selbst um die nächsten Kinder oder besuchen die Menschen in den Altenheimen“, sagt Rzechula. „Mir zeigt das, dass die Saat aufgeht, die wir gelegt haben.“
Als Zweijähriger ist Sedik Salimi mit seiner Familie aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. „Ich bin hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe meine Ausbildung hier gemacht“, sagt der 42-Jährige. Als er 2015 im Fernsehen die Flüchtlingsströme sah, habe ihn das mitgenommen. „Ich hatte zu der Zeit meinen Abschluss gemacht und wollte helfen“, sagt er. „Wir konnten hier in tollen, geordneten Verhältnissen aufwachsen. Da wollte ich etwas zurück geben.“
2016 fing er in der Sozialberatung in einem Erstaufnahmelager an, 2018 gründete er den Verein „Start Up in Germany“, 2020 den „Teamverbund für kulturelle Vielfalt“. Ziel der Vereine ist es, Menschen aus anderen Kulturen zu helfen, in Deutschland anzukommen. „Man kann schon mit Kleinigkeiten aushelfen“, sagt Salimi. „Das vergessen die Menschen nie. Gerade dann, wenn sie gerade erst angekommen sind und die Sprache nicht können.“ Ein Projekt ist das „Chapeau Kultur“, ein Begegnungscafé, in dem Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenkommen. „Damit man sich kennenlernt und um das Verwobene einer Gesellschaft zu stärken“, sagt Salimi.