„Selbstverständlich sind alle Menschen eingeladen, an Gottesdiensten teilzunehmen. Aber nicht alle sind auch in der Lage, ohne Einschränkung mitzufeiern“, erklärt Astrid Sistig, Blindenseelsorgerin im Bistum Aachen. So haben Menschen mit Handicap ganz andere Bedürfnisse. In der Gemeinschaft der Gemeinden St. Lukas beschäftigt sich der Arbeitskreis „Inklusive Kirche“ genau mit dieser Fragestellung: Wie können Gottesdienste und Kirchenräume möglichst barrierefrei sein – in jeder Hinsicht? Es geht um bauliche Fragen, aber ganz stark auch um inhaltliche. Welche Bedürfnisse haben Menschen mit einer Sehbehinderung? Wie kann der Gottesdienst so gestaltet werden, dass sich auch Gehörlose im wahrsten Sinne des Wortes angesprochen und eingebunden fühlen? Welche technischen Möglichkeiten wie den Bau von Rampen oder die Nutzung von Induktionsschleifen für Hörgeräte gibt es?
„Für uns war die Beschäftigung mit diesen Fragen Neuland“, blickt Brigitte Kuth auf die Gründung des Arbeitskreises zurück. Unter der Überschrift „Neues wagen“ wurde in St. Lukas ein offener Innovationsprozess angestoßen, der Keimzelle für eine neue Form von Kirche sein sollte. Eine Gruppe beschäftigt sich seitdem mit dem Thema „Inklusive Kirche“. „Vieles ist uns erst bei unserer Bestandsaufnahme bewusst geworden“, sagt Gruppenmitglied Lieselotte von Ameln. So sei baulich beispielsweise schon einiges getan worden, die meisten Kirchen seien für Menschen mit Gehbehinderung problemfrei zu betreten. Wenn Gottesdienst auch Kommunikation bedeutet, ist diese beizeiten jedoch noch eine Einbahnstraße. „Viele Menschen mit Handicap werden von der Kommunikation ausgeschlossen, können nicht zu 100 Prozent teilhaben“, weiß Astrid Sistig. Sei es, weil Gehörlose ohne Gebärdendolmetscher längst nicht alles mitverfolgen oder Blinde ohne besondere akustische oder haptische Reize auch nur einen Teil der Messe miterleben können.
Welche Möglichkeiten der Teilhabe es gibt, zeigt einmal im Quartal der „Gottesdienst für alle“ in der Antoniuskirche auf. An der Vorbereitung des ersten Gottesdienstes war im Frühsommer 2017 der Blinden- und Sehbehindertenverein Düren beteiligt. Mithilfe von Simulationsbrillen erfuhren die Gottesdienstbesucher, welche Auswirkungen Augenerkrankungen auf das Sehvermögen haben. Bei einer Taufe, die an diesem Tag stattfand, wurde das Taufwasser ganz bewusst nah am Mikrofon ausgegossen, um das Sakrament akustisch nachvollziehbar werden zu lassen. Zudem wurden die Liedtexte in Braille-Schrift ausgehändigt.
Beim zweiten „Gottesdienst für alle“ an Erntedank waren gleich mehrere haptische Elemente integriert: Brot konnte beispielsweise ertastet, Schokolade erschmeckt werden. Beim dritten Gottesdienst am Sonntag, 21. Januar, werden Pfarrer Alfred Schmid und Josef Rothkopf, Gehörlosenseelsorger im Bistum Aachen, ab 11.15 Uhr einen besonderen Augenmerk auf die Bedürfnisse von hörgeschädigten Menschen legen. Die Messe wird vom Gebärdenchor „Singende Hände Umkreis Aachen“ gestaltet. Wie bei jedem Gottesdienst sind alle Menschen herzlich eingeladen, mitzufeiern. Im Anschluss besteht die Möglichkeit zum Austausch. „Wir wollen keine Parallelveranstaltungen anbieten“, betont Lieselotte von Ameln. Es gehe vielmehr darum, mehr Öffentlichkeit für dieses Thema herzustellen, mehr Sensibilität zu schaffen – und vielleicht auch mehr Begegnungen zu ermöglichen.
„Im Idealfall finden sich in jedem Gottesdienst in jeder Gemeinde Elemente für Menschen mit Handicap wieder“, sagt Brigitte Kuth. Übrigens hat der Arbeitskreis auch eine weitere Barriere ausfindig gemacht: Die gängige Kirchensprache sei mitunter nicht leicht zu verstehen. „Nicht nur Gehörlose, die auf Gebärden-Dolmetscher angewiesen sind, haben Probleme mit dem Verstehen von verschachtelten und komplizierten Sätzen“, sagt Astrid Sistig. Eine Lösung könnte es sein, die Texte Schritt für Schritt in eine leichtere, klar verständliche Sprache, die nicht den Sinn verändert, zu „übersetzen“.