Versöhnung von Arbeit und Kapital

Die Prinzipien der katholischen Soziallehre sind nach wie vor aktuell

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Datum:
10. Okt. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2023 | Stephan Johnen

Wertschöpfung und Gemeinwohl gehen Hand in Hand, sie schließen einander nicht aus. Der Bund katholischer Unternehmer (BKU) sieht sich ganz klar den Prinzipien der katholischen Soziallehre verpflichtet, bei denen Personalität, Gemeinwohl, Solidarität, Subsidiarität, Nachhaltigkeit und die Option für die Armen keine wohlklingenden Schlagwörter, sondern Aufforderungen zum (persönlichen) Handeln sind. 

„Auch in Zeiten rasanter gesellschaftlicher Veränderungen bleibt die Gesellschaftslehre bedeutsam, weil ihre Begründungslinien und Werthaltungen auch in digitalen Zeiten Halt und Orientierung geben. Die christliche Gesellschaftslehre bleibt demnach ein wichtiger Gradmesser. Sie muss allerdings mit Blick auf soziale, wirtschaftliche und technische Entwicklungen beständig fortgeschrieben werden“, heißt es auf der Homepage des BKU. 
Für das Handeln von Unternehmen bedeute dies, ethische Prinzipien zu achten und durch ihr Wirtschaften gute Leistungen zu erbringen. Zur Gemeinwohlorientierung gehört ebenso, transparent und fair mit Kunden und Mitarbeitern umzugehen und einen Beitrag zur Lebensqualität in der Gesellschaft zu leisten. Unternehmerinnen und Unternehmer sollen einen Beitrag „sowohl zur Wertschöpfung als auch zum gelingenden sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft“ leisten, lautet das Selbstverständnis.

Ein Name ist ganz eng mit der Entstehungsgeschichte der Katholischen Soziallehre verbunden: Oswald von Nell-Breuning, geboren am 8. März 1890 in Trier, 1991 gestorben im Alter von 101 Jahren. Der Mitbegründer der Katholischen Soziallehre war Priester, aber weit mehr als Theologe: Er studierte zunächst Mathematik und Naturwissenschaften, erst danach kam mit dem Eintritt in den Jesuitenorden ein Studium der Philosophie und Theologie. Der Ordenspater, der sich zeitlebens intensiv mit weltlichen Fragen beschäftigte, verlagerte später seinen Schwerpunkt erneut – von Moraltheologie und Kirchenrecht zu Ökonomie und Sozialphilosophie. Sein Ziel: eine soziale Ordnung, ein vernünftiges gesellschaftliches Zusammenleben.

Oft als „Grenzgänger“ bezeichnet, brachte Oswald von Nell-Breuning Kirche, Politik und Gesellschaft zusammen. Seine Ideen strebten aus christlichen Motiven eine Versöhnung von Arbeit und Kapital an – in einer Zeit, in der (wie heute!?) die Kapitalismuskritik hoch im Kurs stand und soziale Ungleichheit immer weiter zunahm. Nell-Breuning ist Hauptautor der Sozialenzyklika „Quadragesimo Anno“, veröffentlicht von Papst Pius XI. im Jahr 1931. In der Enzyklika wird das Recht auf privates Eigentum zwar bestätigt, aber auch betont, dass Eigentum verpflichtet. Zudem dürfe der Staat die Arbeitenden nicht durch Steuern und Abgaben überlasten. In den 50er und 60er Jahren war Nell-Breuning Berater des Wirtschafts- und des Familienministeriums, der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Nicht zuletzt aufgrund seines aktiven wie passiven Einflusses finden sich auch Prinzipien aus der katholischen Soziallehre in politischen Ordnungen wieder, beispielsweise das Prinzip der Subsidiarität. „Alles, was auf der niedrigeren Ebene geleistet werden kann, soll auch von dieser geleistet werden“, schreibt er. Höhere Ebenen stünden im Dienst der Autonomie der niedrigeren Ebene. Oswald von Nell-Breuning weiter: „Also bei uns: Alles, was auf lokaler oder Länderebene gemacht werden kann, soll auch dort gemacht werden. Das Land oder der Bund springt dann ein, wenn das auf der niedrigeren Ebene nicht mehr geleistet werden kann.“ Das Prinzip der Subsidiarität betont also die Selbstverantwortung des Menschen, der Begriff ist heutzutage weit verbreitet, in der Staatstheorie, in den Verträgen der Europäischen Union und in der Wirtschaft. Wer es so interpretieren möchte: Die katholische Soziallehre hat durchaus Karriere gemacht.

Das Prinzip der Personalität meint, dass im Mittelpunkt allen Handelns der Mensch stehen muss. Ein Streben der Wirtschaft nach Gewinn und Effektivität ist Teil des wirtschaftlichen Handelns, aber letztlich müsse wirtschaftliches Handeln immer ein Dienst am Menschen sein. Diese Prämisse war auch die grundlegende Idee der sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland: Im ökonomischen, sozialen und politischen Handeln muss der Mensch das Maß aller Dinge sein. Mit der Umsetzung jedoch haderte Oswald von Nell-Breuning.

Das Gemeinwohlprinzip hat das Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft zum Ziel, das über das Befinden einzelner Menschen hinausgeht. Das erstrebte größtmögliche Glück der Einzelnen hat damit seine Begrenzung im Gemeinwohl. Weil alles mit allem verbunden ist, sind alle füreinander verantwortlich – so lässt sich das Prinzip der Solidarität auf den Punkt bringen.

Mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit nimmt die Sozialethik die langfristigen Konsequenzen von Entscheidungen auf struktureller Ebene in den Blick. Dafür gilt es, auch vermeintlich unabhängige gesellschaftliche Wirkungsbereiche zu verknüpfen und die Wirkweisen zu begutachten. Alles, was in Wirtschaft, Wissenschaft, Technik oder Politik mutmaßlich solitär geschieht, hat Einfluss auf das gesamte Zusammenleben, die Ordnung der Gesellschaft.

Das Prinzip der vorrangigen Option für die Armen ist ein Messinstrument, ob eine Gesellschaft gerecht gestaltet ist. Wer die Perspektive der armen, benachteiligten oder von gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossenen Menschen einnimmt, erkennt schnell strukturelle Schieflagen oder Ungerechtigkeiten. Die Gerechtigkeit einer Gesellschaft muss sich also daran messen lassen, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Die Soziallehre folgt der biblischen Tradition: Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen identifiziert sich mit den Vergessenen und an den Rand Gedrängten einer Gesellschaft und setzt sich für Gerechtigkeit, Anerkennung und Würde ein.