Versammelte Kompetenz

Für die Fluthilfezentren in den Regionen ist die Arbeit noch lange nicht geschafft

(c) Malteser Hilfsdienst
Datum:
26. Juli 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 30/2022 | Arne und Dorothée Schenk

„Wir werden so lange da sein, wie wir vor Ort gebraucht werden“, sagt Ina Singer, Projektleiterin Malteser Fluthilfe in der Diözese Aachen. Am 6. Dezember 2021 wurde in Schleiden das erste Fluthilfebüro im Bistum Aachen von den Maltesern eröffnet, das letzte vor zwei Monaten in Stolberg. Die Erkenntnis: Ein Jahr nach dem Hochwasserereignis hat sich die Arbeit verändert, ist aber noch nicht zu Ende. 

Multiprofessionell aufgestellt ist das „HIZ“, in dem viele Akteure unter einem Dach sind. (c) Malteser Hilfsdienst
Multiprofessionell aufgestellt ist das „HIZ“, in dem viele Akteure unter einem Dach sind.

Zuerst ging es um die akute Not- und Katastrophenhilfe wie Rettung, Evakuierung und medizinische Versorgung gefährdeter Menschen und Unterstützung von Feuerwehr und Polizei. „Anfangs hatten wir 1000 Helfer im Einsatz. Danach kümmerten wir uns beispielsweise um die Trockenlegung von Häusern sowie die Verteilung von Werkzeug und Hilfsmaterial für Bauarbeiten. Darüber hinaus wurden Waschmaschinen, Bautrockner und Verpflegungspunkte sowie Sanitätsstationen bereitgestellt“, erinnert sich Michaela Boland, Pressereferentin Malteser Fluthilfe.

Schnell wuchs die Erkenntnis, dass die Unterstützung langfristig sein muss. Das Hilfezentrum Schleidener Tal – kurz: HIZ – wurde in Kooperation mit der Stadt installiert und bietet vielen Kompetenzpartnern wie Caritas, Diakonie, DRK, AWO und anderen ein gemeinsames Dach. Auf drei Jahre ist der Mietvertrag im ehemaligen Steuerkanzlei-Gebäude an der Kölner Straße 10 in Gemünd angelegt. Das Angebot reicht von Sachspenden-Vermittlung über Antragstellung, kostenlosen Arzt- und Einkaufsfahrten bis zu kostenlosen Psychologischen Unterstützungsangeboten für Bevölkerung und Einsatzkräfte nach der Hochwasserkatastrophe.

Hier sind die Malteser Ansprechpartner, konkret Frank C. Waldschmidt als Leitung. Vom 18. Juli 2021 an ist er vor Ort dabei. „In dieser Zeit gab es 2000 Gespräche im Schleidener Tal. Heute sind wir bei weit über 6000“, sagt der studierte Theologe Waldschmidt. „Zum Glück sind die Menschen schon ein Jahr weiter.“ In der Phase 2, in der die Verarbeitung des Verlustes und die Aufbruchstimmung im Mittelpunkt stehen, befänden sich die Menschen inzwischen.

Wichtig ist Waldschmidt darum, dass nicht immer von „Betroffenen“ und „Flutopfern“ gesprochen wird und schon gar nicht von „Traumatisierten“. „Die Menschen sind nicht krank“, betont er, sie haben eine Naturkatastrophe erlebt und müssten sich jetzt ihr „Sicherheitsgefühl“ zurückerobern, das mit dem Verlust von Heimat und eigener Familiengeschichte in Form von Fotoalben und Festplatten untergegangen ist. Dabei leisten die spendenfinanzierten kostenlosen Angebote wie Psychotherapie, kreativpsychologische Angebote, „die wichtig sind, weil sie eine Selbstwirksamkeit haben“, tiergestützte Prozesse oder aufsuchende Sozialarbeit Unterstützung.

Ausgebildetes Fachpersonal bietet Hilfe in Form von Einzelgesprächen an

Vielerorts sind die massiven Schäden, die die Wassermassen angerichtet haben, noch deutlich zu sehen, so wie hier in Stolberg. (c) Bistum Aachen
Vielerorts sind die massiven Schäden, die die Wassermassen angerichtet haben, noch deutlich zu sehen, so wie hier in Stolberg.

Eigens hierfür ist Fachpersonal eingestellt worden. Sigrid Harrer-Lange als Ärztin, Psychiaterin und Soziologin, Peter Keßeler als Psychologe und psychologischer Psychotherapeut sowie Rolf Bock als Diplom-Psychologe vervollständigen das Team um Frank C. Waldschmidt. Immer sollen Hilfesuchende einen Ansprechpartner finden, wenn sie akut Einzelgesprächsbedarf haben. In Planung ist ein Traumazentrum, das Schleiden, Hellenthal und Kall gemeinsam einrichten wollen. Derzeit läuft die Ausschreibung. Werfen die Malteser auch hierfür ihren Hut in den Ring? „Davon gehe ich schwer aus“, sagt Waldschmidt.

Das HIZ ist ein „sicherer Ort“ und damit auch eine wichtige Begegnungsstätte. Das Café Lichtblick bietet die Möglichkeit zum Spielen, Kaffeetrinken und Lachen. Und auch die „Förderung von Projekten des Allgemeinwesens“ geht von hier aus. Der sperrige Begriff beinhaltet Freizeitangebote ebenso wie Finanzhilfen für den Wiederaufbau der Stadtbücherei vor Ort.

Aber immer noch nimmt einen großen Teil der Hilfe die Beratung und Begleitung ein. „Wir stellen fest, dass auch ein Jahr nach der Flut viele nicht wissen, was ihnen von staatlicher Seite zusteht“ sagt Ina Singer und räumt ein, dass die Malteser anfangs der Meinung waren, das Ausfüllen der wichtigen Formulare und Anträge sei nicht ihre Aufgabe. Aber der Bedarf sei da, und „wichtig ist, niemanden aus dem Blick zu verlieren.“ Das gelte für Eschweiler, Stolberg und Schleiden, wo bereits Fluthilfebüros etabliert sind wie für Düren, Inden, Heinsberg und Kornelimünster, wo aktuell Gespräche mit den Kommunen über die Einrichtung eines Fluthilfebüros gesprochen werde. „Wir machen uns wirklich viele Gedanken, alle Organisationen gemeinsam: Wie erreichen wir die Menschen, die noch von den Spendengeldern profitieren könnten und unserer weiteren Unterstützung wie psychosoziale Unterstützung und Gemeinwesenarbeit nutzen können?“

Der Weg sollte so einfach wie möglich gemacht werden, sagt auch Stephanie Schweitzer vom Heinsberger Fluthilfebüro der Caritas. Wer Betroffene kennt, und diese seien damit einverstanden, könne sich gerne bei ihr melden. Dabei fahre Stephanie Schweitzer auch zu den Menschen raus. Es sei nicht sinnvoll, nach Heinsberg zu kommen, wenn man in Ü-bach, Geilenkirchen oder in Ophoven lebt. Zudem steht sie in regelmäßigem Austausch mit anderen Stellen wie mit dem Sozialdienst katholischer Frauen in Stolberg. Hilfe geht eben nur gemeinsam.


Infos: www.caritas-ac.de/krisenkoordination-dicv-aachen/hilfe-nach-der-flut/hilfe-nach-der-flut