Vergiss mich nicht ganz

Wie geht man damit um, wenn der Ehepartner an Demenz erkrankt ist?

Vergissmeinnicht Nachricht (c) www.pixabay.com
Vergissmeinnicht Nachricht
Datum:
11. Juli 2017
Von:
Andrea Thomas
Wenn ein Paar sich traut, dann hofft es auf viele glückliche gemeinsame Jahre, auf die es irgendwann im Alter dankbar zurückschauen kann. Womit es in den wenigsten Fällen rechnet, ist, dass einer von beiden einmal dieses Leben mit all seinen besonderen Momenten Stück für Stück vergisst.
Gisela Kettenis (c) Andrea Thomas
Gisela Kettenis

 Dass der Mensch, den man liebt, einen irgendwann ansieht, ohne einen zu erkennen. Die ersten Anzeichen seien bei ihrem Mann Josef (70) vor drei Jahren aufgetreten, erzählt Gisela Kettenis (65). „Er hat sich zurückgezogen, hatte keinen Antrieb mehr.“ Dass etwas nicht stimmte, ahnte sie da schon, doch erst, als er ein Jahr später mit einem leichten Schlaganfall ins Krankenhaus kommt, bekommen sie und ihr Mann die Diagnose und damit Gewissheit: Demenz. Das verändert das Leben des Stolberger Ehepaars komplett. Josef Kettenis baut nicht nur geistig, sondern auch körperlich stetig ab. Seine Frau Gisela pflegt ihn. Noch komme sie ohne einen Pflegedienst aus, mache alles alleine, erzählt sie. Tochter und Enkelin wohnen zwar im gleichen Haus, doch die hätten ja auch ihr Leben. „Natürlich kostet das alles viel Kraft“, räumt Gisela Kettenis ein, aber: „Wir sind bald 47 Jahre verheiratet und haben für alles gemeinsam gekämpft. Das kann man nicht wegschieben.“

Ein Pflegeheim wäre für sie die letzte Option. „Solange er mich noch erkennt, bestimmt nicht. Er sucht mich und ist erst ruhig, wenn er weiß, dass ich da bin.“ Was ihr am meisten zu schaffen macht, ist mitzuerleben, wie die Krankheit ihren Mann verändert und wie traurig ihn das selbst macht. „Wir waren früher aktiv, haben regelmäßig gekegelt, und mein Mann ist so gerne nach Spanien in den Urlaub gefahren“, erinnert sie sich. Nach der Diagnose seien sie noch ein letztes Mal dort gewesen, darauf habe er sich so gefreut, doch sie seien kaum mehr über das Hotel hinausgekommen. „Am Anfang hat Josef viel geweint und vom Tod geredet. Dass seine Geschwister sich zurückziehen, macht ihn traurig. Das versteht er nicht“, sagt Gisela Kettenis. Er sei friedlich, laufe nicht weg oder so, aber lebe zunehmend in seiner eigenen Welt. „Was er sagt und denkt, weiß ich zeitweise nicht mehr. Das ist von Stunde zu Stunde verschieden“, erzählt sie mit einem traurigen Lächeln. Seit einem guten Jahr ist ihr Mann einen Tag in der Woche in einer Tagesklinik in Aachen. „Anfangs hatte ich schon ein schlechtes Gewissen“, sagt sie. Auch mal wieder an sich zu denken, das hat die 65-Jährige auch über den Gesprächskreis für Angehörige am Bethlehem-Gesundheitszentrum in Stolberg gelernt, den sie inzwischen einmal im Monat besucht. Mit anderen, die ein ähnliches Schicksal teilen, zu reden, tue gut und gebe ihr Kraft.

Auch Jörg Schumacher (75) besucht regelmäßig einen solchen Gesprächskreis im St.-Antonius-Hospital in Eschweiler, wo er und seine Frau Marieluise (74) leben. Den Austausch mit anderen Betroffenen empfindet er als hilfreich. „Sie erfahren, welches Elend das ist, aber auch, wie andere damit umgehen, und bekommen viel Unterstützung“, sagt Schumacher. Bemerkbar gemacht habe sich die Erkrankung seiner Frau damit, dass sie Dinge verlegt habe und nicht mehr gewusst hätte wo, und zunehmend agressiver reagiert hätte, berichtet er. Das gipfelte schließlich 2013 in einer stationären Einweisung in die psychiatrische Klinik Düren. Danach sei klar gewesen, was er vorher nicht so habe wahrnehmen wollen, was sie aber beide gespürt hätten: dass seine Frau an Demenz erkrankt ist. „Alles, was man eigentlich nicht glauben will, tritt ein“, sagt Jörg Schumacher. Das Leben miteinander bekommt neue Spielregeln. Ein Lernprozess – für beide. „Man lernt, dass die Kranke nichts dafür kann und man als Gesunder nicht ausrasten darf.“

So lange es ging, haben sie versucht, an gemeinsamen Dingen festzuhalten, hatten bis vor anderthalb Jahren noch ein Theater-Abo. Inzwischen gibt es kaum noch etwas, das seine Frau alleine tun kann. Sie könne kaum noch laufen, brauche einen Rollstuhl und spreche wenig. Nur manchmal blitze in einer Unterhaltung noch mal etwas auf, sei ein Kommentar völlig logisch. Sein Eindruck ist, sie sei nicht unzufrieden, doch was in ihrem Kopf passiert – er weiß es nicht. Von Anfang an ist Jörg Schumacher offen mit der Erkrankung seiner Frau umgegangen, bei Nachbarn, Freunden und Familie, hat sich nicht zurückgezogen. Und er hat sich informiert und geschaut, was es an Hilfen gibt. „Das Leben ist anstrengend geworden, man hat viel im Kopf, was man abarbeiten muss. Ohne Hilfe geht es nicht, Sie zerbrechen sonst daran.“ Sein erster Schritt war, die morgendliche Tablettengabe wochentags an einen Pflegedienst abzugeben. Ein weiterer, das Haus situationsgerecht umzubauen. Dabei sei die Wohnberatung der Städteregion Aachen eine wichtige Hilfe gewesen. Damit, eine polnische Pflegekraft zu engagieren, hat er sich am Anfang noch etwas schwerer getan. Doch auch das war für ihn ein wichtiger und letztlich richtiger Schritt, um weiter für seine Frau da sein zu können, ohne selbst daran zu zerbrechen. Inzwischen ist Marieluise Schumacher zusätzlich zweimal in der Woche in der Tagespflege. „Es scheint ihr zu gefallen“, sagt ihr Mann. An diesen Tagen erledigt er, ohne sich sorgen zu müssen, wozu er sonst nicht kommt: in Ruhe den Garten machen, mal wieder Nordic Walken, mit der Pflegekraft einkaufen oder ihr die Umgebung zeigen. Daraus und auch aus dem einmal im Monat stattfindenden Gesprächskreis mit anderen betroffenen Angehörigen schöpft Jörg Schumacher Kraft für den oft belastenden Alltag. „Am wichtigsten ist, sie ist noch da, auch wenn sie Arbeit macht“, sagt er. 48 gemeinsame Jahre, ein Schatz, den er nun für sie beide hütet.

Jörg Schumacher (c) Andrea Thomas