Verborgenem Raum geben

Frauenseelsorgerin Annette Jantzen wirft einen neuen Blick auf die Windeln Jesu und das Marienkleid

Das Angebot
Das Angebot "Ich hätte so gerne gewickelt" findet seinen Ort im Klostergarten der Schervierschwestern zwischen blühenden Rosen.
Datum:
10. Mai 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 19/2023 | Andrea Thomas

Die Aachener Heiligtümer – Windeln Jesu, Kleid Mariens, Enthauptungstuch Johannes des Täufers, Lendentuch Jesu – werden oft in einem Rahmen betrachtet, in dem Frauen nicht unbedingt im Vordergrund stehen. Dabei bieten sich insbesondere die Windeln Jesu und das Kleid Mariens für eine weibliche Perspektive an. Diese möchte Aachens regionale Frauenseelsorgerin Annette Jantzen (nicht nur) den Besucherinnen der Heiligtumsfahrt eröffnen.

„Die weibliche Perspektive ist eine, die, wie ich finde, bislang wenig zum Tragen kommt. Weshalb ich sie gerne sichtbar machen möchte“, sagt sie. Denn – egal, ob man nun an die Echtheit der Reliquien glaubt – es sind Tücher, die die Jahrhunderte überdauert haben und den Menschen, die sie in Aachen verehrt haben, etwas gegeben haben. Sie haben auch Pilgernden heute noch etwas zu sagen, was aber vielleicht getreu dem Motto der diesjährigen Heiligtumsfahrt „Entdecke mich“ erst gefunden werden will. Sich mit ihnen zu beschäftigen und auch einmal die Perspektive zu weiten, kann da hilfreich sein.

Annette Jantzen bietet dazu während der Heiligtumsfahrtstage mit zwei Projekten die Gelegenheit. Vom 10. bis 18. Juni bietet sie gemeinsam mit dem Trauerprojekt „Diesseits“ und den Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus (Schervierschwestern) in Aachen unter der Überschrift „Ich hätte so gerne gewickelt“ einen Ort für die Trauer um Kinder an. Kinder, die fehl- oder totgeboren wurden, die verstorben sind, oder auch Kinder, die vergeblich herbeigesehnt worden sind.

Eine Trauer, die oft lange durchs Leben getragen wird, weil sie keinen Ort hat. Der entsteht in der Woche im Garten des Klosters der Schervierschwestern. Hierhin inmitten von dann hoffentlich blühenden Rosen können Frauen und Männer (nicht nur Mütter und solche, die es gerne geworden wären, leiden unter diesem Verlust) ihre Gefühle tragen und Trost finden. Sie bekommen Gebete an die Hand, können eigene Gebete auf Postkarten hinterlassen, die die älteren Schervierschwestern in ihr tägliches Gebet mitnehmen, einen Moment der Ruhe finden oder eine Seelsorgerin für ein Gespräch. Annette Jantzen als Pastoralreferentin und Frauenseelsorgerin, ihre Kollegin Gemeindereferentin Maria Pirch vom Projekt „Diesseits“ und Sr. Judith Maria von den Schervierschwestern. „Wir wechseln uns ab, so dass jeden Tag von 10 bis 18 Uhr immer eine von uns ansprechbar ist“, erklärt Annette Jantzen.

Der Gedanke zu dem „Wickel-Thema“ habe mit Blick auf die Windeln Jesu nahegelegen. Doch es sei ihr auch darum gegangen, ein Thema aufzugreifen, das oft eher bedeckt bleibe, so wie die Aachener Tuchreliquien. „Die Heiligtümer werden nur alle sieben Jahre für Menschen sichtbar. So ist es auch mit dem Thema früh verstorbener, tot oder gar nicht geborener Kinder. Es kommt auch nicht oft ans Tageslicht, sondern bleibt die meiste Zeit bedeckt“, beschreibt Annette Jantzen die Gedanken, die zu dem Projekt geführt haben. Wie die Tücher müssten auch solche Erfahrungen sorgsam ausgepackt und betrachtet werden, um sie für sich deuten zu können, erklärt die Frauen-seelsorgerin eine zweite Verbindung. Um mit Trauererfahrungen umzugehen, brauche es einen Ort und Raum zur Deutung. Das hofft Jantzen, gemeinsam mit Maria Pirch und Sr. Judith Maria anbieten zu können.

Ein Kleid, das schützt und umhüllt

Annette Jantzen, Frauenseelsorgerin in den Aachener Regionen, will eine weibliche Sicht auf die Heiligtümer anbieten. (c) Ute Haupts
Annette Jantzen, Frauenseelsorgerin in den Aachener Regionen, will eine weibliche Sicht auf die Heiligtümer anbieten.

Das zweite Aachener Heiligtum, das zu einer weiblichen Betrachtung einlädt, ist das Kleid Mariens. „Was wir wissen: Es ist ein altes Kleid, und es wurde getragen, wahrscheinlich von einer einfachen Frau. Es ist ganz schlicht, ohne Verzierungen.“ Dass Maria es getragen haben könnte, ist zumindest möglich. Wobei es auch hier vor allem auf die Geschichte und die Bedeutung, die das Kleid für Menschen über die Jahrhunderte hatte, ankommt und die uns heute über Generationen verbindet. Das Kreativprojekt „Leib- und Seelgewand“ soll anregen, sich mit der Bedeutung des Kleides Mariens für sich persönlich zu beschäftigen, einem Kleid, das schützt und umhüllt in den unterschiedlichen Lebenssituationen. „Der Titel ‚Leib- und Seelgewand‘ greift ein Bildwort von Hertha Müller auf und verweist auf Kleidung, die gewissermaßen auch die Seele bedeckt, die Ausdruck nicht nur der körperlichen, sondern auch der seelischen Identität ist.“

Unter Anleitung von Textilkünstlerin Maria Djili können jeweils zehn Teilnehmende ihr eigenes kleines Kleid Mariens gestalten. „Das wird ein zweidimensionales Kleid aus Leinenstoff in T-Form sein wie auch das Kleid Mariens, in das mit farbiger Wolle hineingefilzt wird“, erläutert Annette Jantzen. Nicht zum Anziehen, sondern um es als Erinnerung mitzunehmen. Durch die Technik des Nuno- Filzens würden Flächen verdichtet, mit Farben Stimmungen Ausdruck gegeben. Stattfinden wird das Angebot in der Citykirche, wo während der Wallfahrtstage auch das Kunstprojekt „Lebenskleider“ stattfindet. „Schön, dass zwei Mal an einem Ort Kleidung Thema ist“, sagt Annette Jantzen, die zu Beginn des Filzens jeweils eine kleine geistliche Einführung geben wird. Das Filzen sei etwas, was Zeit brauche und dadurch etwas durchaus Meditatives habe.

Eine weibliche Perspektive will auch der Tag der Frauenseelsorge im Bistum am Samstag, 17. Juni, ins Wallfahrtsgeschehen einbringen, der von allen regionalen Frauenseelsorgerinnen gemeinsam gestaltet wird. Die Schervierschwestern öffnen dazu als Mitveranstalterinnen ihr Kloster und werden zum „Frauenkraftort“. Es gibt spirituelle Impulse und stärkende Workshops und eine Stadtführung „Starke Frauen – starke Orte“ durch Aachen, die unter anderem den Spuren der Aachener Ordensgründerinnen Apollonia Radermecher (Elisabethinnen), Franziska Schervier (Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus), Pauline von Mallinckrodt (Schwestern der christlichen Liebe) und Clara Fey (Schwestern vom armen Kinde Jesus) folgt.

Der Tag endet mit dem Abendlob im Hohen Dom. „Das wird eine klassische Vesper sein in der traditionellen Form mit Musik, aber mit neuen Texten“, erläutert Annette Jantzen. Selbige stammen aus dem von ihr in-itiierten Projekt „Gotteswort weiblich“, das biblische und liturgische Texte in eine geschlechtergerechte Sprache bringt. „Wir halten an den Glaubensinhalten und der traditionellen Form fest, aber in einer anderen Sprache und Anknüpfung, um ihnen so einen neuen Akzent zu geben.“ Und eine weiblichere Perspektive.

Termine

 Ich hätte so gerne gewickelt. Samstag, 10. Juni, bis Sonntag, 18. Juni, jeweils 10–18 Uhr, Mutterhaus der Schervierschwestern, Elisabethstraße 19, Aachen 


O mein Gott – literarische und feministische Perspektiven auf Bücher(eiarbeit). Workshop in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Bücherei- arbeit des Bistums Aachen und dem Borromäusverein, Samstag, 10. Ju-ni, 14–15.30 Uhr, Bischöfliche Akademie, Leonhardstr. 18–20, Aachen, Anmeldung unter E-Mail: annette.jantzen@bistum-aachen.de


Leib- und Seelgewand. Nuno-Filzen zweidimensionaler Miniaturen des Kleides Mariens, Montag, 12. Juni, bis Freitag, 16. Juni, 14.30 bis 17 Uhr, Ökumenische Citykirche St. Nikolaus, Großkölnstraße, Aachen, offenes Kreativangebot ohne Voranmeldung, aber mit begrenzten Plätzen


Abend(aus)Klang: Abendlob im Dom. Mit Texten von „Gotteswort, weiblich“, gestaltet von den regionalen Frauenseelsorgerinnen des Bistums Aachen, Samstag, 17. Juni, 18 Uhr im Aachener Dom


Frauentag der diözesanen Frauenseelsorgerinnen. Samstag, 17. Juni, ab 11 Uhr, Mutterhaus der Schervierschwestern, Elisabethstraße 19, Aachen. Eine Anmeldung ist bis zum 12. Juni möglich. Weitere Informationen unter www.schervier-orden.de/schervier-orden/aktuelles/meldungen/2023-05-08_frauenkraftort.php und www.bistum-aachen.de/Frauenseelsorge/aktuell/veranstaltungen