Verborgene Schätze und kleine Feinheiten

Die Annakirche neu entdeckt

Barockes Relief mit der gekrönten Annabüste. (c) Andreas Drouve
Barockes Relief mit der gekrönten Annabüste.
Datum:
7. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2020 | Andreas Drouve

Der 50-Meter-Turm als Blickfang und Wahrzeichen Dürens, die hallenartige Raumwirkung, flackernde Kerzen, der Schrein mit dem legendären Anna-Haupt und daneben die Skulptur der Anna selbdritt– alles altbekannte Ansichten der Annakirche. Doch die (Wieder-)Entdeckung verborgener Schätze und kleiner Feinheiten verschafft neue Dimensionen und Blickwinkel. Man braucht nur etwas Zeit, um ihnen nachzuspüren.

Reliefs, ein Holzkreuz und ein Klöppel

Hat man neben dem Westportal je das winzige Annarelief über der Informationstafel zur Baugeschichte intensiver betrachtet und auf sich wirken lassen? Ist man im Kircheninnern nicht oft am barocken Relief mit der Büste der gekrönten Heiligen mehr oder minder achtlos vorbeigegangen? Laut Kirchenheft handelt es sich um das Bruchstück eines steinernen Giebels aus der Vorgängerkirche, die der Bombenangriff im November 1944 in Schutt und Asche legte. Unweit davon hebt sich das sogenannte Malawi-Kreuz vor einer Bruchsteinwand aus Buntsandstein ab. Stilistisch gehört es zur afrikanischen Makonde-Kunst. Licht flutet über das glänzende Holz, der Gekreuzigte hat die Augen geschlossen. Erlösung und Zufriedenheit stehen ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben. 
Beachtung verdienen auch der Taufbrunnen, das Antoniusrelief des Bildhauers Hermann Pier und der ausgestellte Klöppel der alten Anna-Glocke. Ursprünglich 1545 geschmiedet, bekam er drei Jahrhunderte darauf zusammen mit der Glocke ein größeres Format.


Eintritt in die Schatzkammer

Ein echter Geheimtipp ist die Schatzkammer, die gewöhnlich nur nach dem Gottesdienst sonntags vormittags zugänglich ist – doch besser, man fragt vorab im Pfarrbüro nach, um nicht vor verschlossener Tür zu stehen. Der Zugang liegt rechts hinter dem Westportal, dann steht man in einem Ein-Raum-Museum mit wohlsortierten Vitrinen. Prunkstück ist ein Eisenkästchen, das im Jahre 1500 in Köln gefertigt wurde und in Großbuchstaben den Namenszug der heiligen Anna trägt. Dies enthielt ursprünglich die Annareliquie, genauer: ein Stück Schädelplatte, das der aus Kornelimünster stammende Steinmetz Leonhard 1501 von Mainz nach Düren schaffte. Zur Erinnerung: Leonhard wurde in Mainz um den Lohn seiner Arbeit geprellt und nahm das Recht in die eigene Hand, indem er zum Ausgleich dieses Objekt mitgehen ließ. Vielleicht aus „göttlicher Eingebung“, wie aus Dürener Sicht gerne kolportiert wird. Die Worte federn ein wenig ab, was die Mainzer dazu sagten: gemeiner Diebstahl. Zum Glück für Düren endete der mehrjährige Disput mit dem Papstentscheid von Julius II., die Reliquie in der Rurstadt zu belassen. Verehrt wird sie bekanntermaßen als Anna-Haupt.

Ursprünglich war die Annakirche Sankt Martin geweiht – was in der Schatzkammer den Bogen zu dem Heiligen aus Tours spannt. Eine Reliquie von ihm, konkret: ein Knochenstückchen, ist in die Mitte einer Monstranz aus dem 
16. Jahrhundert eingelassen. Weitere Exponate sind diverse Kelche, Beschläge zweier Leuchter anno 1700 und kunstvolle Silberarbeiten: ein kleines Rauchfass (1654), eine Ewig-Licht-Lampe (1690) und ein Altarleuchter (1740).


Die Plastiken an der Nordfassade

Letzte Station der (Wieder-)Entdeckung: die Nordfassade der Annakirche, über die sich verschiedene Plastiken in unterschiedlichen Höhenstufen verteilen. Wie oft mag man hier vom oder zum Markt entlanggeeilt sein oder darunter Pizza oder Pasta verspeist haben, ohne den Blick weit nach oben gerichtet zu haben, um die kleinen Kunstwerke zu würdigen. Sie datieren aus der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg und stammen aus der Werkstatt des Bildhauers und Kunstprofessors Ewald Mataré (1887–1965). Die Motive reichen von Christus als König und Richter über eine Ordensschwester und ein Ensemble betender Mönche bis hin zu einer wollüstigen Frau, die sich demonstrativ von Christus abwendet. Vertreten sind außerdem einzelne Männer: Einer ist in der teuflischen Verstrickung des Bösen gefangen, ein anderer mit massivem Körperbau symbolisiert Habgier, Überfluss, Prasserei. Dazu liest sich die Interpretation von Helmut Poqué in einem opulenten Band über die Annakirche so: „Die Suche nur nach materiellen Scheinwerten verdeutlicht besonders dieses Bild. Ein Mann wird gezeigt, der mehr hat, als er gebrauchen kann. In seiner Habsucht versucht er mit den Händen noch das zu halten, was ihm in seinem Überfluss entgleitet, demonstriert in der Geste des Sich-Erbrechens.“ Dieses Motiv darf man an einer Kirche als ungewöhnlich empfinden.

Nicht fehlen darf erwartungsgemäß die Patronin des Gotteshauses. Die Plastik der heiligen Anna scheint regelrecht über die Buntsandsteinfront zu schweben. Sie macht ihre Betrachter „auf das große Erlösungsgeheimnis aufmerksam“, so der ehemalige Aachener Dompropst Poqué und deutet mit dem rechten Zeigefinger auf den Schoß. Dort trägt sie, eingefasst in eine Mandorla, die nächsten Generationen: ihre Tochter Maria und ihren Enkel Jesus Christus.

Die "Schätze" der Dürener Annakirche

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