Unterricht mit Baby

Das Projekt „Ruhestunde“ soll Kindern dabei helfen, ihr eigenes Sozialverhalten zu entwickeln

Unterricht mit Baby Lea (c) www.pixabay.com
Unterricht mit Baby Lea
Datum:
16. Okt. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 42/2018 | Kathrin Albrecht
Für rund 20 Schülerinnen und Schüler der Bärengruppe an der städtischen katholischen Grundschule Bildchen steht an diesem Morgen eine besondere Unterrichtsstunde auf dem Programm. Sie bekommen Besuch von Judith Fechner-Koke und ihrer neun Monate alten Tochter Lea.

„Ruhestunde“ nennt Veronika Nagel, Gemeindereferentin in der Pfarrei St. Jakob Aachen das Projekt, das sie während einer Fortbildung kennengelernt hat. „BASE-Babywatching“ nennt es der Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch. Dabei beobachten Kinder in der Kita oder der Grundschule die Interaktion eines Babys mit seiner Mutter. Brisch wiederum entwickelte seine Methode zur „Baby-Beobachtung im Kindergarten und in der Schule gegen Aggression und Angst zur Förderung von Sensitivität und Empathie“ auf Basis der Forschungen des Kinderanalytikers Henri Parens. Der führte in den 1980er Jahren Studien zur Vorbeugung agressiven Verhaltens bei Kindern durch.

Über die Beobachtung von Mutter und Kind sollen die Kinder selbst lernen, Gefühle nachzuempfinden und für die Gefühle anderer sensibler zu werden. Die Baby-Beobachtung regt die Spiegelneuronen an: „Wenn wir etwas bei jemand anderem sehen, ist es, als würden wir das selbst tun“, erklärt Veronika Nagel das Prinzip. Darum sei Lachen oder Weinen auch so ansteckend.

 

Alle nehmen etwas aus dieser Stunde mit

Am Eingang werden Judith Fechner-Koke und Lea schon erwartet und in die Klasse geführt. Dort beginnt die Stunde mit einem gemeinsamen Lied. Schon während des Liedes können die Kinder beobachten, wie Lea auf die Musik reagiert. Veronika Nagel befragt die Kinder im Anschluss zu ihren Beobachtungen: „Lea hat fast die ganze Zeit auf die Gitarre geschaut“, stellt Kales fest. „Was hat die Mutter gemacht?“, möchte Veronika Nagel weiter wissen. Die Fragen sind Bestandteil der Stunde. Sie sollen den Kindern helfen, das, was sie beobachtet haben, besser einzuordnen und auch in Worten ausdrücken zu können. Damit auch die Kinder, die sich sonst nicht so gut in den Unterricht einbringen können, Gelegenheit bekommen, etwas zu sagen, geht „Fritz“ herum, eine Filzkugel, die die Kinder drücken dürfen, wenn sie sprechen. Die Grundschule Bildchen besuchen Kinder verschiedener Nationalitäten, auch die Familienverhältnisse sind nicht immer einfach. Die KGS Bildchen ist die zweite Schule, an der Veronika Nagel das Projekt durchführt.

Für die Lehrerinnen Simone Stolpe und Hildegard Krieg-Hahn ist die Stunde eine Bereicherung: „Es war von Anfang an ein Wechselspiel, die Kinder sind sehr auf Lea und ihre Mutter zugegangen. Alle nehmen etwas aus dieser Stunde mit“, reflektiert Simone Stolpe. Und sie findet, dass die Kinder durch die Stunden auch insgesamt ruhiger geworden sind. Judith Fechner-Koke ist die Wertschätzung der Kinder aufgefallen: „Gerade die Kinder empfinden das als etwas Besonderes, das wird schon deutlich, wenn sie uns vor der Stunde in Empfang nehmen.“ Die Baby-Beobachtung findet so lange statt, bis das Baby selbstständig laufen kann. Das ist bei Lea bald soweit. Doch Judith Fechner-Koke will ab und zu mit Lea noch mal vorbeischauen. Das ist auch ganz im Sinne der Kinder: „Ich würde Lea vermissen“, hat eine Schülerin in ihr Begleitheft notiert.