In einer zunehmend profanisierten Welt geht der Wiedererkennungswert von religiösen Inhalten verloren. Das gilt vor allem für die Bildsprache: Was Gläubigen noch bis zum 19. Jahrhundert selbstverständlich war, stößt heute auf Unverständnis. Aber nur was man kennt, erkennt man wieder und kann es auch einordnen. Das Suermondt-Ludwig-Museum zeigt eine Ausstellung, die hier ansetzt.
Bestens vertraut ist Gläubigen wie Kunstsinnigen die Darstellung der Muttergottes, die den sterbenden Christus in ihrem Schoß birgt. Die Pietà ist ein durch viele Jahrhunderte gepflegtes Bildmotiv. Weniger bekannt ist das Ensemble, das Gottvater mit Gottsohn als Schmerzensmann und zur Vervollständigung der Dreieinigkeit meist die Taube als Symboltier des Heiligen Geistes zeigt. „Ich wusste anfangs auch nicht allzuviel über dieses Motiv“, räumt Dagmar Preising, Kustodin am Suermondt-Ludwig-Museum Aachen für Skulptur und Graphik, ein. „Mir fiel nur die Häufung in unserer Sammlung auf.“ Und je mehr sich die Kunsthistorikerin mit dem Thema befasste, um so mehr interessierte es sie. „Mich hat daran fasziniert, dass dieser Bildtypus so oft vorkommt und den mittelalterlichen Menschen präsent war und er heute nicht mehr bekannt ist.“
Praktisch im Selbstauftrag begann Preising zu forschen. Daraus erwuchs die Ausstellung „Der Schmerz des Vaters? Die Trinitarische Pietà zwischen Gotik und Barock“, die in Kooperation mit der Ludwigsgalerie Schloss Oberhausen entstand und dort zuerst gezeigt wurde. Es ist eine kleine, feine, nur einen Raum füllende Werkschau, in deren Mittelpunkt fünf hauseigene Werke und einige Leihgaben stehen, die aber den Gesamtaspekt des Bildmotivs anschaulich abbilden.
Im Zentrum steht immer die Trinität, die Darstellung der Dreifaltigkeit. „Dieses Dogma aus dem 7./8. Jahrhundert, das im 13. Jahrhundert noch mal bestätigt und nie wieder angezweifelt worden ist, ist komplex, abstrakt und schwierig zu verstehen. Man kann es ja rational nicht durchdringen, dass Gottvater, Sohn und Heiliger Geist drei verschiedene Personen sind, aber doch eine Einheit bilden. Der mittelalterliche Mensch hat sich Bilder geschaffen, um dieser Trinität näher zu kommen.“ Die älteste Darstellung ist der sogenannte „Gnadenstuhl“: Gottvater präsentiert dem Betrachter Christus am Kreuz flankiert von einer Taube. Für frühere Generationen war die Darstellung selbsterklärend: Wer kann sich über Christus erhöhen außer Gottvater? Gestaltet wird die Figur immer als älterer Mann und Vaterfigur, der eine Krone oder Tiara trägt. „Es gibt keinen Heiligen, der so gezeigt wird“, unterstreicht Preising. Und so ist sie auch eindeutig zu unterscheiden von der sogenannten „Engels-Pietà“, von der auch einige Bildbeispiele in der Ausstellung zu sehen sind.
Im 14. Jahrhundert kommt – obschon inhaltlich dasselbe meinend – ein neuer Typus hinzu: Die Künstler verzichten auf das statische Kreuz und zeigen Christus als Schmerzensmann, der von Gott „getragen“ wird. Als „Not Gottes“ wurde dieses Motiv in der Vergangenheit bezeichnet, was Dagmar Preising nicht gelungen findet. „Ich nenne diese Gruppe nicht mehr so, weil man unter der Not Gottes die Todesangst Christi am Ölberg versteht. Deshalb möchte ich für diese Bildgruppe den Titel ,Trinitarische Pietà‘ verwenden. Ich beziehe das auf den ,Imago Pietatis‘, wie man im Mittelalter den Schmerzensmann bezeichnet hat.“
Skeptisch ist Dagmar Preising auch in der inhaltlichen Deutung der Gruppe: „Der Schmerz des Vaters? Trauert Gottvater wirklich?“, hinterfragt sie frühere
Interpretationen und formuliert ihre Sichtweise: „Ich denke, dass es eher das göttliche Erbarmen ist – anders als bei der Mutter Maria, die um den toten Sohn trauert.“ Ihrer Ansicht nach lautet die Botschaft des Ensembles: „Ich fange Dich auf. Ich habe Dich gesandt zur Erlösung. Und Gottvater nimmt dieses Erlösungsopfer ja dann auch wieder an.“
Die Darstellung hat eine große religiöse Tiefe. Es spielen mehrere Aspekte eine Rolle, wie Preising aufzählt: „Neben der Dreieinigkeit Gottes geht es um die Passion, mit der der Mensch sich auseinandersetzen soll, und dann die Eucharistie. Gezeigt wird der eucharistische Christus und damit ein Verweis auf die Messe.“ In beiden christlichen Kirchen ist die „Trinitarische Pietà“ zu finden, wenn auch in unterschiedlicher Funktion: Gilt sie in der katholischen Kirche als Andachtsbild, das zum Gebet auffordert, steht sie in evangelisch-lutheranischen Kirchen mehr als Erläuterung, als Illustration des „Wortes“. In beiden Fällen gehe es aber darum, zum Nachdenken anzuregen. „Der Schmerzensmann wurde dem Betrachter ,gereicht‘, damit er in die Meditation kommen konnte. Der Schmerz sollte den Betrachter anrühren, er sollte letztlich aufgefordert werden, Christus nachzufolgen.“
Und diese Aufforderung erging nicht nur im kirchlichen Raum wie auf dem Altar, auf liturgischer Gewandung, an Reliquiaren, Weihwasserbecken, Glasfenstern und Schlusssteinen. Das Motiv hielt Einzug in das Leben der Menschen, in profane Räume. Als ein Beispiel wird in der Ausstellung einerseits ein Triptychon gezeigt, dass der persönlichen Andacht zu Hause diente, aber ebenso auch eine Ofenkachel, die die „Trinitarische Pietà“ zeigt. „Daran kann man sehen, dass das Thema sehr weit verbreitet war“, sagt die Kuratorin.
Ihre Erkenntnisse niedergelegt hat Dagmar Preising in einem ausführlichen Katalog, der weit über die Ausstellung hinausgeht. Er beleuchtet nicht nur die kunst- und kulturhistorischen Aspekte sowie die Ikonografie, sondern auch Kult, Frömmigkeit und das Fortwirken im Kontext der katholischen Reform.
„Der Schmerz des Vaters? Die Trinitarische Pietà zwischen Gotik und Barock“ im Suermondt-Ludwig-Museum Aachen, Wilhelmstraße 18, wird bis 5. Juni gezeigt.
Führungen mit der Kuratorin Dagmar Preising werden sonntags, 12 Uhr am 3. und 24. April sowie 22. Mai angeboten. Darüber hinaus können unter Tel. 02 41/4 79 80 40 Führungen gebucht werden.