Ums Geld geht’s hier nicht

Worauf konzentriert sich künftig die Kirche? Finanzdirektor Martin Tölle wirbt dafür, positiv mitzugestalten

Welche Rolle nimmt Kirche in der künftigen Gesellschaft ein? Diese Zukunftsdiskussion läuft. (c) www.pixabay.com
Welche Rolle nimmt Kirche in der künftigen Gesellschaft ein? Diese Zukunftsdiskussion läuft.
Datum:
1. Sept. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 36/2020

Das Krisenmanagement der Diözese in der Coronazeit hat auch ihn stark gebunden. Aber über dieses aktuelle Thema hinaus gestaltet Martin Tölle als Finanzdirektor und Ökonom die finanzielle Entwicklung der Diözese verantwortlich mit. Im Gespräch mit der KirchenZeitung schildert er, was ihm in seinem Amt wichtig ist und worum es ihm generell, ganz unabhängig von der Pandemie, geht.

Ein Finanzdirektor mit Werten und Idealen: So gestaltet Martin Tölle sein Amt im Kreislauf des Geldes. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Ein Finanzdirektor mit Werten und Idealen: So gestaltet Martin Tölle sein Amt im Kreislauf des Geldes.

Sie haben sich 20 Jahre lang als Wirtschaftsprüfer betätigt und dabei zahlreiche Diözesen geprüft. Nun sind Sie auf die andere Seite des Schreibtisches gewechselt. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich bin in einer spannenden Zeit als Wirtschaftsprüfer unterwegs gewesen. Viele Bistümer haben ihre Finanzverwaltung modernisiert, sind wichtige Schritte zu mehr Transparenz gegangen und haben Rückstellungen und Rücklagen zur Vorsorge für die Zukunft aufgebaut. Meine Rolle beschränkte sich in diesen Umbruchprozessen auf die Beratung beziehungsweise Prüfung. Mein Schreibtischwechsel ermöglicht es mir nun, als Verantwortlicher im operativen Alltag zu gestalten und zu entscheiden. Das hat mich schon sehr gereizt.

 

In welcher finanziellen Situation haben Sie das Bistum Aachen vorgefunden?

Durch vorausschauende Haushaltspolitik hat es in guten Jahren Rücklagen gebildet, sodass es aktuell in der Lage ist, prognostizierte Einnahmeausfälle durch die Pandemie auszugleichen. Zwar sind Diözesen keine Wirtschaftsunternehmen, aber ökonomische Rahmenbedingungen und Anforderungen an ordnungsmäßige Geschäftsführung gelten hier ebenso. 
 
Sie sagen gerade, ein Bistum ist etwas anderes als ein Wirtschaftsunternehmen. Wie haben Sie das gemeint?

Die Kirche erwirtschaftet keine Erträge und Gewinne auf der Basis von Leistung und Gegenleistung. Als Verantwortlichem für den Bistumshaushalt geht es mir darum, die anvertrauten Mittel „gewinnbringend“ für den Dienst der Kirche einzusetzen. Natürlich muss ich dafür Sorge tragen, dass wir wirtschaftlich unterwegs sind. Sofern sich in guten Jahren Überschüsse ergeben, geht es immer darum, für die Aufgaben Verkündigung, Seelsorge, Caritas und Bildung auch künftig die finanziellen Ressourcen bereit zu stellen.


Die Öffentlichkeit erwartet Transparenz, wie das geschieht. Wie sieht es damit aus?

Auch hier sehe ich die Diözese auf einem sehr guten Weg. Der Anspruch der Öffentlichkeit auf Rechenschaft ist völlig legitim. Schließlich verwalten wir hier Kirchensteuermittel und Zuweisungen der öffentlichen Hand. Wir müssen Auskunft geben und wir können das auch. Da bin ich nochmal ganz Wirtschaftsprüfer: Das Zahlenwerk der Diözese ist sicher und belastbar und eine sehr gute Grundlage, gegenüber den eigenen Gremien und Verantwortlichen sowie der Öffentlichkeit qualifiziert Auskunft zu geben.

 

Ist das nicht mit Blick auf die Komplexität der kirchlichen Strukturen eines Bistums eine Mammutaufgabe?

In der Tat fordert es heraus. Bei einer Organisation dieser Größe kann das auch nicht anders sein. Umso wichtiger sind daher klare Regeln, die für Verlässlichkeit und Transparenz sorgen. Ich denke da zum Beispiel an das Rechnungswesen und die Compliance-Vorgaben. In meinen Rollen als Finanzdirektor und Ökonom stehe ich für die Ordnungsmäßigkeit aller wirtschaftlichen und finanziellen Strukturen und Vorgänge im Bistum Aachen, im Zusammenspiel mit den Aufsichtsinstanzen, insbesondere dem Kirchensteuerrat und dem Vermögensverwaltungsrat.

 

Nicht nur Corona setzt der Kirche zu. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit ihren Zukunftsperspektiven, auch im Bistum Aachen. Wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?

Ich finde es ganz wichtig, Veränderungsprozesse anzustoßen. Wir müssen uns fragen: Was wollen wir in Zukunft als Kirche tun? Das finanzielle Thema ist eine Rahmenbedingung, aber mehr auch nicht. Das Kernproblem der Kirche liegt woanders. Zugespitzt gesagt, tritt niemand ein, weil unsere Rechnungslegung korrekt ist. Die inhaltlichen Aspekte sind absolut vorrangig. Und sie müssen auch mit Prioritäten versehen werden, was uns als Bistum Aachen besonders wichtig ist. Denn weder personell noch finanziell werden wir alles so weitermachen können wie bisher. Da können wir noch so gut vorsorgen, die Prognosen sind einfach zu eindeutig. 

 

Heißt dieser Ausblick in Ihren Augen: Der Letzte macht das Licht aus?

Nein, da werbe ich ganz klar um Vertrauen und eine andere Sichtweise. Wir können jetzt gestalten, wohin die Reise geht. Mir ist wichtig, dass weder bei Hauptberuflichen noch bei Ehrenamtlichen die Erwartung und Haltung einkehren: Jetzt geht alles den Bach runter. Das sehe ich nämlich ganz anders. Wir sind nicht nur in der aktuellen Coronakrise, sondern auch in den nächsten Jahren ein Partner, auf den sich die Pfarreien, die Einrichtungen und die Beschäftigten verlassen können. Wir haben ausreichend Vorsorge getroffen, um solide allen Verpflichtungen nachzukommen und finanziellen Spielraum für pastorale Aufbrüche und Handlungserfordernisse gewährleisten zu können. Das soll so bleiben. Wir müssen aber genau schauen, worauf wir uns konzentrieren, um den Menschen in unserem Bistum eine verlässliche Begleitung auf ihrem Lebensweg anbieten zu können. Die Basis für diesen Veränderungsprozess ist für mich das, was uns als Kirche und als Christen die Botschaft des Evangeliums an Werten und Aufgaben mitgibt. 

 

Nicht wenige werden diese nahenden Veränderungen als Bedrohung empfinden. Was sagen Sie ihnen?

In der Tat sind die Verlustängste riesig. Ich möchte demgegenüber sagen: Es geht nicht vorrangig darum, alles Mögliche abzuwickeln, um Geld zu sparen. Sondern es geht darum, gemeinsam herauszufinden, was eine gute Lösung für möglichst viele Beteiligte ist. Dieser Grundgedanke ist mir sehr wichtig. Veränderungsprozesse bergen ein großes Risiko, Menschen zu frustrieren und zu enttäuschen. Wenn aber was Gutes für alle Seiten herauskommt, entsteht neue Kraft daraus. 

 

Was bedeutet all das für Ihre beruflichen Aufgaben im Bistum Aachen?

Mir ist klar, dass sich in den nächsten 20 Jahren sehr viel verändern wird, schon demografisch und gesellschaftlich. Veränderungen, die sich schon länger abzeichnen, treten nun mit großer Kraft ein. Corona beschleunigt das noch. Bisher ließ sich diese Entwicklung, dank guter Finanzverwaltung und guter Konjunktur, finanziell kompensieren. Diesen Status quo können wir mittelfristig nicht mehr halten. Ich persönlich gehe diese Herausforderung mit einem positiven Gestaltungswillen an. Mit reinem Verwalten kommt man in den nächsten 20 Jahren nicht mehr weit. Das gilt für mich als Finanzdirektor genauso wie für andere Verantwortliche, auf allen Ebenen. Das Bistum Aachen, wie ich es kennengelernt habe, ist ein guter Ort zu arbeiten. Ich habe persönlich Gestaltungsmöglichkeiten, die ich für eine gute Zukunft der Kirche im Bistum wahrnehme. Und ich denke, auch andere Christen in unserer Diözese, an den jeweiligen Orten ihres beruflichen oder ehrenamtlichen Einsatzes, haben Möglichkeiten. Ich werbe dafür, gemeinsam zu schauen, wie wir auch bei weniger Ressourcen und Katholiken Kirche positiv gestalten können.

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.

 

Info

Martin Tölle wurde 1974 in Bonn geboren, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er hat Volkswirtschaftslehre an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität studiert und dort das Diplom abgelegt, absolvierte erfolgreich die Prüfungen zum Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Kurz vor Ausbruch der Pandemie in Deutschland, zum 1. Februar 2020, übernahm Martin Tölle die Leitung der Hauptabteilung „Finanzen und Vermögen Bistum/Kirchengemeinden“ im Bischöflichen Generalvikariat. Vorher engagierte er sich als Wirtschaftsprüfer mit Schwerpunkt auf Unternehmen des Gesundheits- und Sozialwesens sowie kirchliche Einrichtungen, darunter zahlreiche Bistümer. Zum 9. Januar 2020 hatte er bereits von Generalvikar Andreas Frick das Amt des Ökonomen des Bistums Aachen übernommen.