Umfeld verbessern

Neue Sozialprojekte der Caritas und der Wabe am Aachener Kaiserplatz

Der Kaiserplatz mit St. Adalbert im Hintergrund ist noch immer auch ein sozialer Brennpunkt. (c) Andrea Thomas
Der Kaiserplatz mit St. Adalbert im Hintergrund ist noch immer auch ein sozialer Brennpunkt.
Datum:
28. Okt. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 43/2022 | Andrea Thomas

Rund um das Reiterdenkmal Kaiser Friedrichs III. und die Kirche St. Adalbert pulsiert das Leben. Leider nicht immer im Guten – noch immer gehören Drogen, Bettelei, Vandalismus und erzwungene Sexarbeit zum Alltag am Aachener Kaiserplatz. Der Kiosk „Troddwar“ der Caritas und das Projekt „Liane“ der Wabe bieten seit Kurzem Menschen in Drogensucht, Obdachlosigkeit und Zwangsprostitution Hilfen an.

Caritas-Vorstand Bernhard Verholen mit Gudrun Jelich, Leitung der Suchthilfe Aachen, und Mark Krznaric, Leitung Café Plattform und Troddwar (v.l.). (c) Caritas/Wolfgang Offermann
Caritas-Vorstand Bernhard Verholen mit Gudrun Jelich, Leitung der Suchthilfe Aachen, und Mark Krznaric, Leitung Café Plattform und Troddwar (v.l.).

Ein paar Meter neben den ehemaligen Räumlichkeiten des Kontaktcafés, die der Caritasverband vor anderthalb Jahren wegen Unbewohnbarkeit durch Schimmelbefall sowie aufgrund der Pandemie verlassen musste, ist der neue „Kiosk Troddwar“ entstanden. In der Übergangszeit waren die Angebote des Kontaktcafés sowie der medizinischen Ambulanz für suchtkranke Menschen provisorisch im Café Plattform in der Kirche St. Peter integriert worden. Doch der Suchthilfe und  den Verantwortlichen für die Sozial- und Gesundheitspolitik der Städteregion und der Stadt Aachen ist es wichtig, auch weiter vor Ort am Kaiserplatz mit ihrem Expertenteam sichtbar und ansprechbar zu sein. Das führte zur Entwicklung des Angebots „Kiosk Troddwar“.

Das versteht sich als Clearing-Stelle mit Basisversorgung und arbeitet in unmittelbarer Nähe zur offenen Drogenszene. Dies bedeutet einen einfachen Zugang der vornehmlich Kokain und Heroin konsumierenden Personen zum gesundheitsunterstützenden Hilfesystem. Hier erhalten sie Informationen über für sie wichtige Hilfsangebote. Durch Spritzentausch und Harm-Reduction-Beratung sollen konsumbedingte Folgeerscheinungen verringert werden.

„Zur Verbesserung der allgemeinen Umfeld-Bedingungen dient der Kiosk auch den Mitarbeitenden der Polizei, des Ordnungsamts und der Stadtbetriebe sowie unseren Streetworkerinnen und Streetworkern als Netzwerkpunkt“, erläutert Leiter Mark Krznaric. Gudrun Jelich, Leiterin der Suchthilfe Aachen, erläutert das Gesamtkonzept des niedrigschwelligen Angebots, das sich an Frauen und Männer, die wohnungs- und obdachlos sind, richtet, die unter chronifizierten Sucht- und psychischen Erkrankungen leiden oder sich im Umfeld dieser Szenen bewegen: „Der jetzt eröffnete ‚Kiosk Troddwar‘ ist hier ein wichtiger Baustein. Neben dem Kiosk gibt es noch die Module Kontaktcafé, Notschlafstelle, Streetwork, Querbeet, Medizinische Ambulanz und Psychosoziale Begleitung bei Substitution.“ So möchte die Caritas ein vernetztes Angebot weiterentwickeln, das für die Klientinnen und Klienten sowohl die gesellschaftliche Teilhabe, die Stabilisierung der Wohnsituation als auch einen niedrigschwelligen Zugang zum Suchthilfesystem ermöglicht.

Beitrag der Ermöglichungskultur  für die Innenstadtentwicklung

Caritas-Vorstand Bernhard Verholen sieht dieses Engagement als Beitrag der derzeit oft zitierten „Ermöglichungskultur für die Innenstadtentwicklung“. „Die oft über Störungsbilder kommunizierte Diskussion bezüglich von Phänomenen der Verwahrlosung im öffentlichen Raum braucht auch Ideen und Lösungswege zur Gestaltung des ‚Lebensraumes‘ für die Menschen, die vorwiegend auf der Straße leben. Zu dieser Ermöglichungskultur zählt, menschenwürdige Lebens- und Aufenthaltsbedingungen zu schaffen. Es geht nicht darum, eine kurzfristige Versorgungsstruktur vorzuhalten, mit der die Menschen ‚abgespeist‘ sind. Bindungs-und Beziehungsaufbau ist der einzige Schlüssel, Menschen aus der Verwahrlosung herauszuführen.“

Dazu gehören für ihn auch Unterkünfte für die Nacht mit einem Minimum an privater Atmosphäre, kommunikative Orte für den Tagesaufenthalt, die Menschen einbinden, Möglichkeit zur Körperhygiene und Gesundheitsvorsorge, würdiges Essen, menschliche Wärme sowie professionelle Beratung und Begleitung in Lebenskrisen mit Erarbeitung einer Zukunftsperspektive.

Schutzwohnung auch für  niedrigschwellige Beziehungsarbeit

(V. l.) Sozialarbeiterinnen Nora Gehendges und Natalie Kupka, Dagmar Offermann (Wabe), Stadtdirektorin Annekathrin Grehling, OB Sibylle Keupen und Birgitt Lahaye-Reiß (Wabe). (c) Stadt Aachen/Lana Maas
(V. l.) Sozialarbeiterinnen Nora Gehendges und Natalie Kupka, Dagmar Offermann (Wabe), Stadtdirektorin Annekathrin Grehling, OB Sibylle Keupen und Birgitt Lahaye-Reiß (Wabe).

Ein weiteres Problem sind die Menschen, meist junge Frauen, die im Umfeld des Kaiserplatzes rund um die Uhr für eine Handvoll Euro illegaler Sexarbeit nachgehen müssen, um ihre Sucht zu finanzieren. Sie sind dabei oft mit extremen und vor allen Dingen menschenunwürdigen Lebensbedingungen konfrontiert. Um die zu verändern, hat der Verein Wabe mit finanzieller Unterstützung der Stadt Aachen das Projekt „Liane – Schutz- und Ruheraum für straßensexarbeitende Menschen rund um den Kaiserplatz“ gestartet und eine kleine Wohnung angemietet, wo mit den betroffenen Frauen zum Schutz vor Freiern und der Öffentlichkeit eine niedrigschwellige Beziehungsarbeit geleistet wird. Die Stadt Aachen unterstützt das Projekt mit 14900 Euro aus der Stiftung Elisabethspitalfonds. Die Mittel aus dem Fonds dienen ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen und mildtätigen Zwecken; die Stadt Aachen ist Trägerin der Stiftung.

In der Wohnung können die Frauen ankommen, sich ausruhen, auch duschen, Kaffee trinken, miteinander klönen, aber vor allem eine Beziehung und Vertrauen zu den anwesenden Sozialarbeitenden aufbauen. So soll eine niederschwellige Möglichkeit entstehen, sich aus der Abhängigkeit zu befreien und im besten Fall unabhängig wohnen zu können. Drei junge Sozialarbeiterinnen arbeiten im Projekt und haben die Wohnung seit dem Sommer gemütlich eingerichtet, erste Kontakte zu den Frauen geknüpft und bereits viele positive Reaktionen erhalten. Der Redebedarf der Frauen sei groß, berichten sie. Im Kern gehe es darum, den Frauen erst einmal zu helfen, die Achtung vor sich selbst wieder zurückzugewinnen. 

Um die komplexen Lebenslagen der Frauen zu verändern, braucht es ein breites, eng geknüpftes Netzwerk des professionellen Hilfesystems in der Stadt, wie Dagmar Offermann, Geschäftsführerin der Wabe, betont: „Nur so können wir die Frauen optimal unterstützen. Prostitution ist an sich eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die man akzeptieren muss. Aber das, was am Kaiserplatz mit den Frauen passiert, ist schlicht menschenverachtend.“

Das sieht auch Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen so: „Wir wissen, dass einige Frauen am Kaiserplatz unter schrecklichsten Bedingungen versuchen, ihr Leben und ihre Sucht zu finanzieren. Bedingungen, die uns alle erschüttern und kaum vorstellbar sind. Es ist eine untragbare Situation. Diese Frauen brauchen unsere Hilfe, unsere Unterstützung und unseren Schutz. Darum ist die Schutzwohnung wichtig, weil dort die Frauen gestärkt werden können, so dass sie in der Lage sind, Hilfe auch anzunehmen.“

Birgitt Lahaye-Reiß, Aufsichtsrat der Wabe und Initiatorin des Projekts, berichtet von Frauen am Kaiserplatz, die mit extremer Gewalt konfrontiert sind, von Säureanschlägen, von Freiern, die sich auf das Brutalste austobten: „Hier dürfen wir als Gesellschaft nicht wegschauen; diese Frauen brauchen unsere Unterstützung. Wir müssen Frauen weg von den Männern bringen, die sie ausbeuten. Wenn wir es mit dem Projekt ‚Liane‘ schaffen, den Kaiserplatz auch nur ein bisschen gewaltfreier zu machen, sind wir unserem Ziel einen Schritt nähergekommen.“