Über goldene Zeiten

Prediger-Wettstreit anlässlich des 50. Aachener Zeitfenster-Gottesdienstes

Auch der
Auch der "goldene" Zeitfenster-Gottesdienst wurde in St. Foillan gefeiert.
Datum:
12. Feb. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 07/2019 | Andrea Thomas
Zum 50. Mal Gottesdienst „mit Nahrung für Herz und Hirn“ in der Aachener Zeitfenster-Gemeinde – Goldjubiläum also. Wie ließe sich das besser begehen als mit einem „Preacher-Slam“, zu deutsch einem Prediger-Wettstreit?
Am Ende gab es mit Annette Jantzen (l.) und Hanna Jacobs gleich zwei Gewinnerinnen. (c) Andrea Thomas
Am Ende gab es mit Annette Jantzen (l.) und Hanna Jacobs gleich zwei Gewinnerinnen.

Der sich, dem Anlass gemäß, mit „Goldenen Zeiten“ befasst. Bevor es in die Tiefe geht, wie ganz unterschiedlich man diese Vorgabe interpretieren kann, zunächst etwas zu Rahmen und Regeln. Der „Rahmen“ ist die wie immer stimmungsvoll ausgeleuchtete Kirche St. Foillan. Sie ist an diesem Abend bis auf den letzten Platz, auf dem man noch stehen kann, gefüllt. Sitzplätze waren bereits eine Dreiviertelstunde vor Beginn Mangelware. Nicht nur treue Zeitfenster-Besucher sind gekommen, sondern auch viele neue Gäste. Alle neugierig, wie die etwas andere Gemeinde ihren 50. Gottesdienst gestalten würde. „Anders als erwartet, sonst wären wir nicht Zeitfenster“, klärt Ursula Hahmann vom Leitungsteam auf, die durch den Abend führt. Für den musikalischen Teil sind die „Mufab Big Band“ und Sängerin Missi Wainwright verantwortlich. Es wird wie üblich eine freie Zeit geben, in der man ins Gespräch mit anderen kommen, eine Fürbitte aufschreiben oder sich segnen lassen kann – und statt einer Predigt diesmal gleich sechs Kurz-Predigten.

Die Regeln für den „Preacher-Slam“ sind vom „Poetry-Slam“ entliehen, einem modernen Dichterwettstreit, bei dem Autoren ihre selbstgeschriebenen Texte auf einer Bühne vor Publikum präsentieren. Die Texte müssen selbstgeschrieben sein, es dürfen keine Kostüme oder Requisiten verwendet werden und nach fünf Minuten ist die Redezeit vorbei – es sei denn, das Publikum gibt mit „Weiter!“ noch etwas Zusatzzeit. Die Jury besteht aus 150 Menschen aus dem Publikum, die jeweils zehn Ein-Cent-Stücke erhalten haben, die sie am Ende auf die sechs Prediger verteilen. Gewonnen hat der mit dem schwersten Einmach-Glas. Zum Thema „Goldene Zeiten“ treten gegeneinander an: Pfarrer Sebastian Baer-Henney von den „beymeistern“, einer christlichen Gemeinschaft aus Köln; Titelverteidiger Peter Otten, Pastoralreferent im Sendungsraum Innenstadt, ebenfalls aus Köln; die evangelische Pfarrerin Hanna Jacobs vom Glaubensprojekt „raumschiff.ruhr“ in Essen; Regina Laudage-Kleeberg, Leiterin der Abteilung Kinder, Jugend und junge Erwachsene im Bischöflichen Generalvikariat Essen; Christian Hennecke, Leiter der Hauptabteilung Pastoral und Leitung bzw. Fach-bereich Pastorale Grundfragen im Generalvikariat Hildesheim, sowie Annette Jantzen, Zeitfenster-Leitungsteam, Geistliche Verbandsleitung des BDKJ Aachen und seit Jahresbeginn Frauenseelsorgerin für die Aachener Bistumsregionen.

Nehmen wir das Ende auch noch kurz vorweg: Der Sieg geht zu gleichen Teilen an Hanna Jacobs und Annette Jantzen, es folgen auf den Plätzen Regina Laudage-Kleeberg, Peter Otten, Christian Hennecke und Sebastian Baer-Henney. „Goldene Zeiten“: Zum Auftakt gerät Annette Jantzen darüber in ein (Streit)-Gespräch mit Gott. Der kann an diesen unseren Zeiten derzeit nichts golden finden. Im Gegenteil, sie regen ihn auf und deprimieren ihn zutiefst. Der Grund: das, was Menschen, die sagen, dass sie an ihn glauben, Kindern antun. Damit möchte er nicht weiter in Verruf gebracht werden, zumal er findet, dass wir Menschen in Schuldeinsicht ganz schlecht seien. Da seien ihm die Dinosaurier ja fast noch lieber: zwar nicht sehr intelligent, aber die hätten immerhin ihre Kleinen in Ruhe gelassen...

Ob es noch mal goldene Zeiten geben wird? Das liegt wohl ganz an uns. Hanna Jacobs sinniert darüber, dass Gold Sehnsucht sei und was uns an Glanz, Gloria und Goldstaub so fasziniert, wir uns „Tage mit Goldrand“ wünschen und Zeiten mit „mehr Lametta“. Denn, wenn wir zu den Wurzeln unseres Glaubens und zu Jesu Tod am Kreuz gehen, dann war da nicht viel Gold. Leben sei Alltag, Tage ohne Sinn, sei Schwere und manchmal Trauer. „Goldene Zeiten“ findet, wer hinter den Glanz schaut, das Leben und das Provisorium schätzt und sich nicht mit (falschem) Gold zufrieden gibt. Auch Regina Laudage-Kleeberg geht – in Gedichtform – der Frage nach „Was ist golden?“ „Für dich ist es dies, für dich ist es das“, aber immer etwas, was dem Einzelnen wertvoll ist. Gold, das ist „mehr als Alltag und banale Gewohnheit“, das sind besondere Menschen und Momente, das Helle, die echte Erleuchtung, die große Idee... Glaube, Gott! Peter Otten nimmt das Publikum mit zu einem Paar, das sich erst spät im Leben gefunden und nun verloren hat. Sie hadert mit Gott, weil er, den sie liebt, krank ist, weil er leidet, weil er nun tot und sie allein ist, wo doch weder sie noch er in ihrem Leben jemandem etwas getan hätten. Es geht um goldene, weil gemeinsame Zeiten, ums Lieben und Leben, ums Trauern und dennoch Weitermachen.

Christian Hennecke schaut mit einer Zeile aus einem Leonard-Cohen-Song („There is a crack in everything, that’s how the light gets in“) auf Brüche im Leben, durch die es golden schimmert. In China werde eine Vase, die zerbrochen sei, geklebt und die Risse würden vergoldet. Es sei „Endzeit in vielem“, in der doch auch vieles leuchte. Vielleicht müssten wir neu sehen lernen, dass sich im Geheimnis des Zerbrochenen eine neue Kraft durchsetzen könne. So wie Gott, der am Kreuz zerbricht, aber auch aufersteht. Sebastian Baer-Henney überträgt die Geschichte von Jona in unsere Zeit. Gott schickt ihn nach Berlin, wo er die Welt, geprägt von Dieselskandal, Braunkohle, Klimawandel, sozialer Schwere und AfD, wieder richten soll. Jona flieht, stürzt sich ins Mittelmeer und wird von der „Sea-Watch“ aufgefischt. Gott lässt ihn nicht so leicht aus der Verantwortung: Zeiten voll Gerechtigkeit und ohne Hass zu schaffen, ist harte Arbeit. „Goldene Zeiten“, so wird an diesem Abend klar, haben viele Facetten – und sie liegen immer auch an uns.

 

Info

„Zeitfenster“ hat sich 2010 gegründet in eigenen Worten als „Gemeinde für Menschen, die in den bestehenden Gemeinden keinen Platz mehr für sich finden, aber Sehnsucht haben nach ‘mehr’, nach Zeit für Gott und für sich. Wer sich hier engagiert, nimmt Taufe und Firmung ernst, will mitwirken an einer sich erneuernden Kirche.“ 2014 kamen die immer am zweiten Freitag im Monat stattfindenden Gottesdienste in der Aachener Innenstadtkirche St. Foillan dazu, weitere Angebote folgten. Mehr unter www.zeitfenster-aachen.de