„Tryptychon“ findet Antependium

Altartuch von unschätzbarem Wert, das lange auf der Rückseite des Aachener Domaltares hing, stammt aus dem Hause Nesselrode

Heftete sich auf die Fährte des „Antependiums von Mechernich“: Peter Schweikert-Wehner, ehrenamtlicher  Rechercheur und Autor für das  Internetlexikon Wikipedia. (c) Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Heftete sich auf die Fährte des „Antependiums von Mechernich“: Peter Schweikert-Wehner, ehrenamtlicher Rechercheur und Autor für das Internetlexikon Wikipedia.
Datum:
11. Sept. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 37/2024

Wie im Zusammenhang mit einer Veröffentlichung über den Roggendorfer Klappaltar bekannt wurde, verbirgt sich hinter dem Wikipedia-Rechercheur und Autor „Tryptychon“ kein anderer als der Mechernicher Apotheker, Kommunalpolitiker und TuS-Vorsitzende Peter Schweikert-Wehner.

Eine kostbare Stickerei aus Mechernich zierte fast 20 Jahre die Rückseite des Hochaltars im  Aachener Dom. Jetzt muss das Antependium aus der Zeit des Barock erneut restauriert werden. (c) Peter-Lorenz Könen/pp/Agentur ProfiPress
Eine kostbare Stickerei aus Mechernich zierte fast 20 Jahre die Rückseite des Hochaltars im Aachener Dom. Jetzt muss das Antependium aus der Zeit des Barock erneut restauriert werden.

Über 3600 kunstgeschichtliche Expertisen hat er bereits für das vielgenutzte Internetlexikon erarbeitet, hauptsächlich über Kölner Kirchenschätze, aber auch aus dem Stadtgebiet Mechernich, beispielsweise über den Roggendorfer Schnitzaltar und die Kallmuther Pietà.
Jetzt hat „Tryptychon“, Jahrgang 1968, einen neuen Coup gelandet. Gemeinsam mit dem Regionalhistoriker Peter-Lorenz Könen und dem Journalisten Manfred Lang kam er dem „Antependium von Mechernich“ auf die Spur. Diese Stickerei von unschätzbarem Wert stammt ursprünglich wahrscheinlich aus der Schlosskapelle des untergegangenen Hauses Rath zwischen Strempt und Roggendorf und hing bis vor einigen Jahren auf der Chorseite des Aachener Domaltares.

Das sakrale Kunstwerk besteht in der Hauptsache aus Leinen, 29 verschiedenen Stoffen als Applikationsmaterial und 16 verschiedenen und verschiedenfarbigen Stickgarnen. Das Altartuch hat äußersten Seltenheitswert.

Jetzt ist das kostbare Stück wieder in den Asservaten der Aachener Domschatzkammer unter Verschluss, weil es in seinen öffentlichen Jahren im Dom doch erheblichen Schaden genommen hat. Die Textilexpertin der Domschatzkammer Monica Paredis-Vroon muss das „Antependium von Mechernich“ nach den 90er Jahren ein weiteres Mal restaurieren. Bis dahin liegt das Altartuch wie andere wertvolle Textilien der Domschatzkammer bei konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Dunkeln – ohne den schädlichen Einfluss von Insekten und Staub.

Heimatforscher Anton Könen deckt den „Kirchenkrimi“ auf

Monica Paredis-Vroon ist glücklich, dass die aus Mechernich stammende 86,2 Zentimeter breite und 92,2 Zentimeter hohe Stickerei, die unter dem ersten Aachener Bischof Berdolet zu Napoleons Zeiten ins dortige Münster gelangte, nun auf absehbare Zeit nicht mehr als rückwärtiger Schmuck des Hauptaltars genutzt werden soll.

Peter Schweikert-Wehner will demnächst alle Fakten zum „Antependium von Mechernich“ zusammentragen und darüber publizieren. Auch verwandte Arbeiten hat er bereits in den Domschatzkammern zu Köln und Mainz aufgetan und will darüber auf Wikipedia berichten. Das hatte er erst zur Jahreswende 2023/24 auch über den „Roggendorfer Schnitzaltar“ gemacht, der um 1500 an der Nahe entstand und 1891 als Schenkung der Bergbaubetreiber-Familie Kreuser nach Roggendorf kam.

Dass Peter Schweikerts heimliche Leidenschaft Kirchenschätzen und ihren Ursprüngen gehört, mag den überraschen, der ihn bislang nur als Karnevalsprinz, Fußballpräsident und Stadtratskandidat wahrgenommen hat. Für ihn selbst ist alles ganz logisch: „Ich bin in Sinzig aufgewachsen und habe mich schon von Kind auf für die Sinziger Kirchen und ihre Darstellungen fasziniert.“

Anfang der 2000er Jahre war der Mechernicher Heimatforscher Anton Könen der Aachener Domschatzkammer bei Recherchen zum „Antependium von Mechernich“ behilflich. Bei seinen Nachforschungen stieß Könen auf einen Kriminal- fall zur Zeit des Barock, den Raub des Mechernicher Kirchenschatzes im Jahre 1732. In jenem Jahr wurde die Mechernicher Kirche gleich zwei Mal von Kirchenräubern ausgeplündert und unter anderem „aller Leinwand und der Gewänder“ beraubt. Das entnahm Könen einem Bericht des Mechernicher Pfarrers Johannes Toller (1730–1753).

Vor 1732 konnte das Altartuch sich also jedenfalls nicht im Besitz der Pfarrei St. Johannes Baptist befunden haben. Der Heimatforscher stieß bei seinen weiteren Untersuchungen auf eine Schenkung der Freifrau von Nesselrode auf Haus Rath, einem heute verschwundenen Herrschaftssitz zwischen Strempt und Roggendorf. Die Mitinhaberin der halben Reichsherrschaft Mechernich vermachte der beraubten Pfarrei 1733 unter anderem ein Altartuch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, laut Könen und Paredis-Vroon, handelte es sich dabei um das heutige Altartuch im Hohen Dom zu Aachen, das „Antependium von Mechernich“.

Und das hing möglicherweise seit seiner Herstellung 1624 in der Schlosskapelle des Hauses Rath. Denn die Freifrau von Nesselrode stiftete nach 1733 noch eine Reihe weiterer Kunstgegenstände aus ihrer aufgehobenen Schlosskapelle an die Pfarrei Mechernich.
Bischof Berdolet, der erste Bischof des von Napoleon Bonaparte geschaffenen ersten Bistums Aachen, das aber nachher wieder aufgelöst wurde, stattete dem Dekanat Zülpich, zu dem auch Mechernich gehörte, 1805 eine ausgedehnte Visitation ab.

Nahm Bischof Berdolet das Tuch  aus Mechernich mit?

Peter Schweikert-Wehner, der als „Wikipedianer“ das Pseudonym „Tryptychon“ benutzt und auch seinen 13-jährigen Sohn Lukas schon in seine kunsthistorischen Betrachtungen einbezieht, hat entscheidend zu einer Publikation in der Rheinzeitung über den „Roggendorfer Schnitzaltar“ beigetragen. (c) Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Peter Schweikert-Wehner, der als „Wikipedianer“ das Pseudonym „Tryptychon“ benutzt und auch seinen 13-jährigen Sohn Lukas schon in seine kunsthistorischen Betrachtungen einbezieht, hat entscheidend zu einer Publikation in der Rheinzeitung über den „Roggendorfer Schnitzaltar“ beigetragen.

Nachgewiesen ist von diesem Besuch, dass Berdolet aus der Pfarrkirche in Nemmenich ein wertvolles Holzkreuz mitnahm, eine Schenkung des Grafen Latour. Das Kreuz wurde im Kreuzgang des Aachener Münsters aufgestellt.

Anton Könen schrieb 2000 in seinem Bericht an das Aachener Domkapitel: „Auf die gleiche Art und Weise könnte auch das Tuch von Mechernich nach Aachen gelangt sein.“ Berdolet werde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bei seiner Visitation 1805 auch Mechernich, das damals größte Bleibergwerk im französischen Kaiserreich, besucht haben. Dabei könnte er auf der Suche nach weiteren Requisiten für eine würdige Ausgestaltung der neuen Bischofsresidenz das „Antependium von Mechernich“ nach Aachen mitgenommen haben.

Außer dem im Münster zu Aachen befindlichen Stück gibt es noch zwei weitere dieser Machart. Eines befindet sich im Hohen Dom zu Mainz, das zweite im Domschatz der Erzdiözese Köln. Alle drei Antependien mit einem heiligen Bischof unbekannten Namens im Zentrum sind Klosterarbeiten, möglicherweise aus der Voreifel. Das „Antependium von Mechernich“ trägt als einzige der drei Arbeiten eine Jahreszahl: 1624.

Am Anfang der Recherchen stand die nach 1960 zweite Restaurierung des Aachener Altartuchs durch Monica Paredis-Vroon im Jahre 1997. Die Restauratorin wollte damals wissen, wie das Altartuch nach Aachen gekommen ist, wie es zuvor in den Besitz der ursprünglichen Besitzerin, der Pfarrei Mechernich, gelangt war, und schließlich, in welchem Kloster die Arbeit entstanden war. Das Domkapitel wandte sich unter anderem an Anton Könen.

Als erstes verwarf Könen die bis dahin im Domkapitel zu Aachen vertretene These, das „Antependium von Mechernich“ sei 1856 im Zuge des Neubaus der 1944 zerbombten Mechernicher Pfarrkirche St. Johannes Baptist nach Aachen gekommen. „Zu diesem Zeitpunkt gab es kein Bistum Aachen“, schrieb Könen in seinem Recherchen-Protokoll nach Aachen, und Mechernich hätte die wertvolle 86,2 Zentimeter breite und 92,2 Zentimeter hohe Stickerei im Zweifelsfall ans Erzbistum Köln abgegeben.

Zu dem gehörte die Pfarrei Mechernich seinerzeit nämlich. Dazu hätte aber laut Könen gar keine Veranlassung bestanden, denn die Gemeinde St. Johannes Baptist hatte vor, während und nach den Neubauarbeiten an der Pfarrkirche ja noch die Alte Kirche (Ersterwähnung 1308) auf dem Johannesberg in Benutzung. Dorthin verbrachte die Gemeinde ihre liturgischen Gegenstände und anderes wertvolles Inventar.
Da sich das „Antependium von Mechernich“ 1856 schon nicht mehr darunter befand, war es also schon vorher vom Bleiberg verschwunden. Und zwar laut Könens Recherchen zwischen 1801 und 1821, als es schon einmal kurzzeitig ein von Kaiser Napoleon (Bonaparte) eingesetztes Bistum Aachen gab.
                                                                                                                            pp/Agentur ProfiPress