Tierliebe ist kein Gebot

Theologie-Professor Simone Paganini zum Verhältnis von Tier und Mensch in Bibel und Christentum

Simone Paganini, RWTH-Professor für Biblische Theologie. (c) privat
Simone Paganini, RWTH-Professor für Biblische Theologie.
Datum:
24. Nov. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 47/2021

Christentum und Tierethik: ein Bereich, der sich erst langsam entwickelt. Doch was sagen Bibel und Tradition zu dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch? Ein Gespräch mit Simone Paganini, Professor für Biblische Theologie an der RWTH in Aachen. Er beschäftigt sich mit biblischen und altorientalischen Gesetzestexten sowie mit Tieren in der Welt und Umwelt der Bibel. 2016 war er Mitbegründer des Centre for Human Animal Studies in Aachen.
Erste oder zweite Schöpfungserzählung? Herrschaftsauftrag über alle Lebewesen oder Garten Eden mit den Tieren als Hilfe?

Glückliches Tier, glücklicher Mensch: Simone Paganini und die Tiere. (c) privat
Glückliches Tier, glücklicher Mensch: Simone Paganini und die Tiere.

1. oder 2. Schöpfungserzählung? Herrschaftsauftrag über alle Lebewesen oder Garten Eden mit den Tieren als Hilfe ?

Mit dem Herrschaftsauftrag beziehen Sie sich auf Genesis 1,26. Wenn man sich anschaut, in welcher kulturellen Umgebung die Texte entstanden sind, gibt es bei der Interpretation keine Frage: Der Herrschaftsanspruch ist ganz klar ein Herrschaftsanspruch, herrschen heißt herrschen. Die Frage ist: Wo wird dieses hebräische Verb sonst verwendet? Was sind in der übrigen Bibel die Subjekte von diesem Verb? Und da merken wir, dass nicht nur Menschen, sondern auch Könige und sogar Gott herrschen. Und in diesen beiden Fällen haben wir nicht mit einer Tyrannei oder einer Diktatur zu tun, sondern mit einem Herrschen, das sehr stark mit Verantwortung zu tun hat. Es geht also nicht um Ausbeutung oder um die Macht, alles zu zerstören, sondern um ein verantwortungsvollen – heute würden wir „nachhaltiges“ sagen – Handeln. Die Perspektive ist dennoch ganz klar. Der Herrschaftsanspruch ist unmissverständlich anthropozentrisch. Da geht es um den Menschen, und insbesondere in der altorientalischen Gesellschaft, wo diese Texte entstanden sind, um den Mann.

 

Die Bibel skizziert also ein anthropozentrisches Weltbild. Lässt sich daraus eine christliche Tierethik formulieren?

Man muss differenzieren. Die Bibel ist kein „Ethik-Buch“. Und das, was die Bibel sagt, kann man nicht einfach auf unsere heutige Situation übertragen. Zuerst einmal muss man „Ethik“ im biblischen Sinn klären. „Ethik“ in der altorientalischen Welt hat mit Gesetzen zu tun. Es gibt keine Moral wie im christlichen Sinn, die dem Gewissen entstammt. Wenn man wissen will, wie die Menschen damals ethisch agiert haben, braucht man sich nur die Gesetze, die übermittelt worden sind, anzuschauen. In der Torah finden wir Gesetze, die sehr wohl mit dem, was wir heute „Tierethik" bezeichnen, vergleichbar sind. Wir finden sogar Stellen, die besser sind als das Tierschutzgesetz, das man momentan in Deutschland hat. Wir finden Beispiele, wo das Tier als Rechtssubjekt agiert, was in Deutschland absolut nicht der Fall ist. Seit der Aufklärung, seit Descartes und Kant, ist das Tier eine bessere Sache. Sie trägt absolut keine Verantwortung.

 

Warum ist der Rechtsstatus von Tieren Voraussetzung für Aspekte des Tierschutzes?

Es gibt ein Gesetz in der Torah, das besagt, dass es verboten war, dem Stier oder der Kuh beim Dreschen das Maul zuzubinden. Das ist in meinen Augen ein wunderschönes Beispiel, das zwei Aspekte betont. Das erste ist, dass das Tier mitarbeitet und somit ein Recht auf einen Anteil der Ernte hat. Das zweite ist, dass es selber den Anteil bestimmen darf. Diese Regelung wird für Rabbiner als höchst moralisch eingestuft. Es gibt einige, die sagen, dass genau diese Regelung der Unterschied zwischen der jüdischen Ethik und der Ethik aller anderen Völker sei, weil Rechte für die Menschen einzuräumen, für die Kinder, für die Schwachen, für die Witwen, das können alle Völker. Aber dass bei den Juden sogar Tiere so ein Recht haben, das ist die höchste Stufe der Ethik. Dieses Solidaritätsethos, das man in Deuteronomium 15 für Waisen, Witwen und Fremden immer wieder vorfindet, gilt an manchen Stellen auch für Tiere. Die Bibel ist kein Ethikbuch, will es auch gar nicht sein, aber man findet immer wieder Stellen, die auch heute noch für die Tierethik relevant sind. In der Bibel hat das Tier außerdem nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Wenn bei uns ein Hund bissig ist, wird eingeschläfert. Aber die rechtliche Verantwortung liegt beim Besitzer. In der Bibel wird in einigen Fällen ein Tier, das einen Menschen umbringt, selber zur Verantwortung gezogen, nicht den Besitzer. Da sieht man ganz klar, wo der Unterschied auf der Ebene liegt.

 

>>Ich bin der Meinung, dass der Mensch kein Recht hat, leidfähige Lebewesen mit einer klaren Zukunftsorientierung zu töten um sie zu essen.<<

Simone Papganini

 

 Woher nimmt das Christentum die Legitimation zur Tierethik?

Eine christlich begründete Tierethik existiert nicht wirklich. Im Gegenteil, gerade das Christentum und christlich beeinflusste Gesellschaften sind mitunter ein Grund dafür, warum heute mit den Tieren so umgegangen wird.: sie werden genutzt, ausgebeutet, problemlos getötet und gegessen. Das ist eine Folge der christlichen menschenzentrierten Ethik. Christliche Theologie hat immer nur den Menschen im Blick, nie das Tier. Es gibt jetzt in Dortmund ein Institut für theologische Zoologie, in Brixen, Dresden, Innsbruck gibt es ein paar Theologen, die beginnen, die Rolle des Tieres zu reflektieren. Aber es gibt im Christentum kein Gebot, kein Fleisch zu essen. Es gibt kein Gebot: Töte kein Tier! Im Gegenteil.

 

Warum sollen Christen sich dafür einsetzen?

Weil man weder die Bibel noch eine Religion braucht, um Richtiges und Gutes zu tun. Das ist der gleiche Grund, wieso ich mich für arme ausgebeutete Menschen einsetze. Brauche ich die Bibel dafür? Die Tatsache, dass ich mit Lebewesen in Kontakt komme, die leidens- und freudenfähig sind – und ich habe das Glück, Pferde, Katzen, Hunden, und sogar Meerschweinchen zu haben –, ist Grund genug, um zu sagen: Wer bin ich, um das Recht zu beanspruchen, diesen Wesen Leid zuzufügen? Nur weil sie mir schmecken? Oder weil es mir egal ist? Wenn man will, findet man dann in der Bibel Ansätze, die eine Tierethik begründen können. Aber man braucht die Bibel nicht, um ein guter Mensch zu sein. Im Gegenteil, wenn ich lese, dass die Bibel kein Problem damit hat, Tiere zu töten, um diese zu essen, habe ich die Pflicht, diese Erzählung zu hinterfragen. Genauso, wie ich die Erzählungen über gerechte Kriege, oder Unterdrückung von Frauen oder Homosexuelle hinterfragen muss. Da ist kein Unterschied.

 

Was halten Sie von dem Projekt „Schwein haben“?

Ich bin der Meinung, dass der Mensch kein Recht hat, leidfähige Lebewesen mit einer klaren Zukunftsorientierung zu töten um sie zu essen. Ich bin aber bereit, mit jeder Person zu reden, die sich für das Tier- und Menschenwohl engagiert. Und Projekten, die sensibilisieren, informieren und die Gesellschaft zu einem besseren Ort für Mensch und Tier machen wollen, sind jederzeit willkommen. Die Bibel als „Rechtfertigung“ für das Essen von Fleisch zu zitieren ist aber falsch, denn damals gab es kaum Fleisch, und das Fleisch, das man essen dürfte, musste aus einer sakralen Schlachtung am Tempel stammen… Auch hier gilt: die Bibel ist kein Freibrief für Haltungen, die gegen Tier, Umwelt und Mensch sind.