Themen, die bewegen

Beim Karfreitagsstück des Jugendtheaters Grefrath trifft Jugendkultur auf Glauben

Entwickeln das Stück gemeinsam: Das Jugendtheater Grefrath beim Brainstorming im Jugendzentrum „Dingens“. (c) Kathrin Albrecht
Entwickeln das Stück gemeinsam: Das Jugendtheater Grefrath beim Brainstorming im Jugendzentrum „Dingens“.
Datum:
23. März 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2022 | Kathrin Albrecht

Wenn wir mit Freunden, Familie oder Bekannten sprechen, wünschen wir uns, dass offen gesprochen wird, dass wir die Wahrheit gesagt bekommen. Doch es gibt Themen, da ist die Wahrheit nur schwer auszuhalten – für beide Seiten. Über die  unbequemen Wahrheiten schweigen wir lieber, um uns selbst oder das Gegenüber zu schützen oder vielleicht auch um nicht wieder alte Streitigkeiten hochkochen zu lassen. 

Um genau solche unbequemen Wahrheiten und Tabu-Themen geht es im aktuellen Stück des Grefrather Jugendtheaters. Im Rahmen der Firmvorbereitung in der Pfarrei Heiligste Dreifaltigkeit und des Formats „Fantastic 4 you“ präsentiert die Gruppe das Stück am 1. April in der Kirche St. Thomas Morus in Krefeld. 

Bevor es soweit ist, ist erst einmal Brainstorming angesagt. Zwölf der insgesamt 24 Ensemble-Mitglieder haben sich dafür im Grefrather Jugendzentrum „Dingens“ zusammengefunden, um die unbequemen Wahrheiten auszuloten. Themen wie Depression oder Mobbing kommen zur Sprache, auch persönliche Erlebnisse werden erzählt. Denn Mobbing haben einige buchstäblich am eigenen Leib erfahren müssen. Die Betroffenen schweigen: aus Angst, weil es schlimmer werden könnte; aus Scham, weil sie sich nicht wehren. Auch beim Thema Depression stellt die Gruppe fest, dass über dieses Thema viel zu wenig gesprochen wird, obwohl es viele Menschen in der Gesellschaft betrifft. Ensemblemitglieder tragen oft eigene verfasste Texte vor. Ergänzt wird das mit eingespielten Videosequenzen und Liedern, die zum Thema passen. Der Austausch ist lebendig. Jeder trägt Ideen bei, die kurz diskutiert werden. Julian Göbel protokolliert sie auf seinem Laptop. Als Achtjähriger stieß er zum Grefrather Jugendtheater und ist seitdem dabeigeblieben.

1997 ging das Grefrather Jugendtheater aus einer Theater-AG der damaligen Johann-Horrix-Grundschule hervor. Grundschüler ab der dritten Klasse durften mitmachen. Unter der Leitung von Lehrerin Magdalena Bartoviak entstand einmal im Jahr ein Theaterstück oder Musical, das meistens November/Dezember aufgeführt wurde. 

Die Art, wie die Gruppe sich den Themen nähert, ist gelebter Karfreitag

(c) Jugendtheater Grefrath

Aus einer Anfrage heraus, auch zu Karfreitag oder Ostern ein Stück aufzuführen, entstand das sogenannte Karfrei-tagsstück. „Zuerst hat die Gruppe die Passionsgeschichte nachgespielt“, erzählt Matthias Totten. Er hat das Jugendtheater in seiner Zeit als Gemeindereferent in Grefrath kennengelernt. Da hatte die Gruppe das Karfreitagsstück allerdings schon weiterentwickelt. Die klassische biblische Geschichte trat immer mehr in den Hintergrund. In den Vordergrund rückten Themen, die die jungen Menschen selbst bewegten und die gesellschaftliche Relevanz haben: Fremdenhass und Extremismus, Missbrauch, Suizid. Es sind Themen, die buchstäblich an die Substanz gehen und die auch im Publikum niemanden kalt lassen. „Es ist beeindruckend zu sehen, in welcher Tiefgründigkeit sich die Protagonisten diesen Themen nähern und diese auf der Bühne umsetzen“, schildert Matthias Totten.

Inzwischen nimmt das geplante Stück zunehmend Konturen an. Zum Themenblock, den Julian Göbel mit „Mentale Gesundheit“ umschreibt, kommen noch weitere hinzu. Die Gruppe einigt sich auf das Thema Umwelt. „Der Klimawandel ist eine Wahrheit, die die wenigsten wahrhaben wollen“, sagt Julian Göbel. Weil das Thema ernstzunehmen eben auch bedeutet, sein eigenes Leben und die Art, wie wir konsumieren, von Grund auf umzukrempeln. Dazu will die Gruppe vor allem die Verzahnung der Großkonzerne offenlegen. Welche Unternehmen gehören eigentlich zu diesen Konzernen, von denen man das nicht weiß?

Auch die Themen Homo- und Transphobie, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit will die Gruppe ansprechen – und auch das Thema Kindesmissbrauch. „Wie sieht das eigentlich aus im Umfeld Kirche? Können wir das ansprechen?“, fragt Julian Göbel. Man muss sogar, ist Matthias Totten überzeugt: „Wir müssen das schonungslos ansprechen. Wenn wir schweigen, stützen wir das System.“ 

Es ist viel Stoff zusammengekommen für ein Stück, das eine gute Stunde dauern soll. Die einzelnen Elemente miteinander zu verbinden, das wird die Aufgabe der kommenden Wochen bis zur Aufführung sein. Die Gruppe erarbeitet alles selbst: von den Texten bis hin zu den Plakaten, die für die Stücke werben.

Geplant ist auch, das Publikum und seine Erfahrungen in das Stück mit einzubeziehen. Es wird eine Box aufgestellt, in die Zuschauerinnen und Zuschauer ihre unbequemen Wahrheiten einwerfen können, die später im Stück vorgetragen werden. 
Für die Ensemblemitglieder selbst ist das Theater wie eine zweite Familie – eine starke Gemeinschaft, in der sich die Mitglieder gegenseitig stützen und unterstützen, die der und dem Einzelnen aber auch Raum gibt zur eigenen Persönlichkeitsentfaltung. Die jüngsten sind zehn, die ältesten 26 Jahre alt.

Eine Verbindung zwischen Leben und Glauben – das ist auch die Idee des neuen Jugendformats „Fantastic 4 you“, das nach einer zweijährigen coronabedingten Pause nun an den Start gehen soll. Das Theaterstück ist für Matthias Totten der ideale Erstaufschlag, denn: „Diese Arbeit, die die jungen Menschen hier leisten, das ist gelebter Karfreitag. Karfreitag muss zu den Menschen gehen, nicht anders herum.“

Das Ergebnis ist am 1. April ab 19 Uhr in der Kirche St. Thomas Morus, Kempener Allee 70 in Krefeld, anzuschauen. Alle interessierten Besucherinnen und Besucher ab 13 Jahren sind eingeladen. Der Eintritt ist frei.