Täter sollen genannt werden

Einbindung von Betroffenenrat, Aufarbeitungskommission und Beraterstab. Schutz der Betroffenen vorrangig

„Betroffene dürfen keine neuen Ohnmachtserfahrungen machen“, sagt Aachens Bischof Helmut Dieser. Der Nennung der Täter komme dabei eine besondere Bedeutung zu. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
„Betroffene dürfen keine neuen Ohnmachtserfahrungen machen“, sagt Aachens Bischof Helmut Dieser. Der Nennung der Täter komme dabei eine besondere Bedeutung zu.
Datum:
10. Mai 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 19/2023

Die Nachricht kommt unerwartet und überraschend: Das Bistum Aachen habe sich in intensiven Beratungen mit dem Betroffenenrat, der Aufarbeitungskommission und dem Beraterstab abgestimmt und gibt jetzt bekannt, die Täter sexualisierter Gewalt öffentlich zu machen. „Der Nennung von Tätern und Beschuldigten kommt im Zuge der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eine ganz besondere Bedeutung zu“, heißt es einleitend. 

Als Täter gelten diejenigen, die entweder verurteilt wurden oder nach Überzeugung der Kirche im Bistum Aachen Täter waren oder sind. Damit sollen bislang noch unbekannte Betroffene aufgerufen werden, sich zu melden. „Betroffene müssen sich anvertrauen können und dürfen keine neuen Ohnmachtserfahrungen machen“, betont Bischof Helmut Dieser. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.“

Interdisziplinäre Fachexperten werden in Absprache mit den verschiedenen Gremien, die die Aufarbeitung kontrollieren und begleiten, eine Systematik erarbeiten, die als Grundlage für die öffentliche Nennung dient. Um diese Aufgabe gut und verantwortlich leisten zu können, brauche es eine angemessene und tiefgründige Vorbereitung. „Die Persönlichkeitsrechte von Tätern treten hinter den Schutz und die Interessen der Betroffenen zurück“, betont Christoph Urban, Leiter der Stabsabteilung PIA (Prävention – Intervention – Ansprechpersonen). „Es gilt, das Dunkelfeld weiter zu erhellen. Jeder Fall muss individuell betrachtet werden.“

Die Grundlage für die öffentliche Nennung soll bis Herbst vorgelegt werden. Entscheidend sei, sagt Urban, dass diese überprüfbar ist und juristischen Einwänden standhält. Veröffentlicht werden sollen nicht nur die Namen der Täter, die im Gutachten aus dem Jahr 2020 genannt werden, sondern auch in begründeten Einzelfällen darüber hinaus.

2020 wurde im Bistum Aachen das Gutachten zur sexualisierten Gewalt öffentlich gemacht. (c) BIstum Aachen/Andreas Steindl
2020 wurde im Bistum Aachen das Gutachten zur sexualisierten Gewalt öffentlich gemacht.

Bei der öffentlichen Nennung von Tätern, die im Ausland im Einsatz waren, bedarf es mit Blick auf Betroffene noch einmal einer besonderen Sensibilität. In einigen Teilen der Welt werden Betroffene sexualisierter Gewalt immer noch selbst für das Verbrechen verantwortlich gemacht, werden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und stigmatisiert. 

„Wenn es um die Wahrung der Rechte und den Schutz der Betroffenen geht und dies eine Veröffentlichung der Namen von Tätern erforderlich macht, dann ist dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch der Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten der Täter und deren Bedürfnis nach Anonymität einzuräumen“, sagt Hans Wimmer, Richter im Ruhestand und Mitglied des Ständigen Beraterstabes des Bistums Aachen. Dies ist auch in der gemeinsamen Erklärung festgelegt, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem UBSKM auf- gesetzt und vom Bistum Aachen unterzeichnet worden ist. Darin heißt es: „Die (Erz-)Diözesen respektieren die individuelle Aufarbeitung der Betroffenen als 
Prozess, der sich grundsätzlich an den Interessen, Verarbeitungsphasen und -bedürfnissen der Betroffenen orientieren soll.“

Um Retraumatisierungen zu vermeiden und jeden Fall mit der notwendigen Sensibilität begleiten zu können, müssen parallel zur öffentlichen Nennung zusätzliche Unterstützungs- und Hilfsangebote bereitgestellt werden. Diese notwendigen Angebote werden parallel zur Erstellung des Konzeptes weiter ausgebaut. Hier arbeitet das Bistum Aachen nicht nur mit unabhängigen Ansprechpersonen, sondern auch mit unabhängigen Beratungsstellen und Psychologen eng zusammen.

Mit der Erstellung des Konzeptes zur öffentlichen Nennung von Tätern setzt das Bistum Aachen die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt konsequent fort. Neben dem Ständigen Beraterstab und der Unabhängigen Aufarbeitungskommission wird der Betroffenenrat beteiligt, um die Perspektive und Bedürfnisse zu respektieren. Im November 2020 hatte die Münchener Kanzlei Westphal Spilker Wastl für das Bistum Aachen ein unabhängiges Gutachten zur sexualisierten Gewalt im Bistum Aachen veröffentlicht. 

„Gebotene Dynamik“ fehlt

Paul Leidner war früher unter anderem Leiter des Geschäftsbereiches Altenhilfe und Pflege beim Caritasverband für das Bistum Osnabrück. (c) Kathrin Albrecht
Paul Leidner war früher unter anderem Leiter des Geschäftsbereiches Altenhilfe und Pflege beim Caritasverband für das Bistum Osnabrück.

Nachgefragt bei Paul Leidner vom Betroffenenrat im Bistum Aachen

Aus der Pressemitteilung, so war auf Nachfrage zu hören, habe der Betroffenenrat vom Vorhaben des Bistums Aachen erfahren, die Täter sexualisierter Gewalt öffentlich namentlich zu benennen. Paul Leidner reagierte mit einiger Skepsis: „Es ist ja zunächst mal nur die Ankündigung, dass eine entsprechende Konzeption erarbeitet werden soll.“ Außerdem sieht der Vertreter des Betroffenenrates in dem Vorhaben die Einlösung dessen, was sie bereits vor einem Jahr beim konstituierenden Gespräch mit dem Bischof angesprochen hätten. „Dass bislang dazu noch nichts Wesentliches passiert ist, ist mir ein bisschen schleierhaft“, sagt Leidner. Es sei sehr mühsam. Nur mit „Druck und Dampf“ werde etwas erreicht. „Aber es ist nicht wirklich wahrzunehmen, dass sich die sachlich gebotene Dynamik entwickelt hat.“ Das gelte allerdings bundesweit für viele Bistümer.                                                                               tee