Stoffe erzählen vom Leben

In Aachens Citykirche eröffnet Kunstinstallation „Lebenskleider“ als Wegweiser zur Heiligtumsfahrt 2023

Appold wählte ein neues Taufkleid als Symbol dafür, dass es zum Tragen bereit ist. (c) Domkapitel Aachen/andreas Steindl
Appold wählte ein neues Taufkleid als Symbol dafür, dass es zum Tragen bereit ist.
Datum:
29. Juni 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 26/2021 | Kathrin Albrecht

Bei der Heiligtumsfahrt spielen vier Tuchreliquien eine zentrale Rolle, die für die Gläubigen im Dom zur stillen Verehrung ausgestellt und auch in den Pilgergottesdiensten gezeigt werden. Der Künstler Uwe Appold hat diesen Aspekt in der dreiteiligen Kunstinstallation „Lebens-kleider“ aufgegriffen. Der erste Teil kann ab sofort in der Citykirche St. Nikolaus in Aachen besichtigt werden. 

Uwe Appold vor seinem Kunstwerk in der Citykirche. (c) Domkapitel Aachen/Andreas Steindl
Uwe Appold vor seinem Kunstwerk in der Citykirche.

Es strahlt einem förmlich entgegen – das weiße Taufkleid vor dem tief violetten Grund. Kommt man etwas näher, ist die goldene Umfassung erkennbar. Der erste Teil der insgesamt dreiteiligen Kunstinstallation mit dem Titel „Lebenskleider“ zieht definitiv den Blick auf sich. Geschaffen hat es der Designer, Bildhauer und Maler Uwe Appold. Mit seinem Kunstwerk greift er gleich mehrere Aspekte auf. Da ist zuerst die Tatsache, dass in Aachen „keine Knochen, sondern Textilien verehrt werden“, erläutert Dompropst und Wallfahrtsleiter Rolf-Peter Cremer. „Kleidung zu verehren, ist eher ungewöhnlich. Es sind Alltagsgegenstände, die vom Leben erzählen.“

Als Reliquien verehrt werden die Windeln Jesu, das Kleid Mariens, das Lendentuch Jesu und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. Sie spiegeln Abschnitte des Lebens, quasi vom ersten bis zum letzten Kleid. Es mache sie zu Lebenskleidern, führt Cremer weiter aus.

Damit spielt auch Uwe Appolds Kunstwerk. Auch das Taufkleid steht für einen wichtigen Lebensabschnitt, und zwar für die Aufnahme in die christliche Glaubensgemeinschaft. Außerdem ist die Taufe das Sakrament, das katholische und evangelische Christen teilen.
Ein passendes Kunstwerk in einer Kirche, die offen für alle Menschen ist, unabhängig von Konfession oder Weltanschauung. Außerdem hat sich Appold, der in Norddeutschland lebt und arbeitet, intensiv mit den drei Karfreitagsbildern des Barockkünstlers Abraham van Diepenbeeck (1596–1675) befasst, die vor dem Brand in der Citykirche in der Silvesternacht 2010/11 in den Einfassungen des Hochaltars zu sehen waren. Der Rubensschüler van Diepenbeeck malte 1630 die Kreuzigung, die Kreuzabnahme und eine Pietà, wie sie modern war für seine Zeit, erläutert Appold, dessen künstlerische Laufbahn 1962 mit einer Lehre zum Bildhauer begann. 


Bis 2023 wird jedes Jahr ein weiterer Teil enthüllt

Auch weist er auf die zahlreichen Querverweise auf die Bibel und die damalige Theologie hin, die in den Karfreitagsbildern zum Ausdruck kamen: „Im unteren Bereich der Kreuzigung ist zu sehen, dass Johannes hinter dem Kreuz die Hand der Maria ergreift. Damit nimmt van Diepenbeeck Bezug auf die Stelle ,Siehe, dein Sohn, siehe, deine Mutter‘ im Johannesevangelium.“ Im mittleren Teil des Altars, der die Kreuzabnahme darstellt, zeichnet das Tuch, in das Jesus gehüllt wird, die Form eines X, das symbolisch für Christus steht. Dennoch: „Die Theologie des Barock war eine andere. Johann Sebastian Bach dichtete in dieser Zeit ,Komm, süßer Tod‘. Der Tod wurde als Erlösung aus dem harten irdischen Dasein begriffen. Wir haben heute einen anderen Zugang zu diesem Thema.“
 Die drei Bildthemen Uwe Appolds spannen in ihrer Gesamtheit den Bogen von 1630 über die Gegenwart in die Zukunft.

Das Weiß des Taufkleides spielt auf die Putten an, die in der Kreuzigungsszene zu sehen waren. Die Kontrastierung des dunklen Hintergrundes mit dem hellen Kleid im Vordergrund greift die Hell-Dunkel-Kontraste des Barock auf. Das Violett deutet auf die Passion, aber auch auf die Adventszeit als Vorbereitung auf die Geburt Jesu hin. Das goldene Oval ist ein Merkmal des Barock, nicht nur der überbordende Gebrauch des Blattgoldes und der Farbe, sondern auch die Form: „Die Formen im Barock dehnten sich aus, griffen dynamisch in den Raum hinein“, beschreibt es Appold, der für das katholische Hilfswerk Misereror das Hungertuch für die Jahre 2019/20 entwarf. So kam der Kontakt mit der Vorbereitungsgruppe der Installation zustande, zu der Domvikar Mathias Fritz und die Pfarrerin der Evangelischen Studierenden-Gemeinde, Swantje Eibach-Danzeglocke, gehören.Bis zur Heiligtumsfahrt, die coronabedingt in das Jahr 2023 verschoben wurde, wird nun jedes Jahr ein weiterer Teil der Installation enthüllt.

Hatte Appold zunächst überlegt, ein historisches Taufkleid zu verwenden, entschied er sich um und bestellte, „wie man es jetzt so macht“, ein Taufkleid im Internet. So steht es als Symbol dafür, dass es zum Tragen bereit ist. Auch das Gebetshäuschen im Vordergund des Altars ist in die Installation einbezogen. Der Vorhang wurde entfernt, an seine Stelle tritt eine dornenlose Rose als Symbol der Gottesmutter.

Wie die fertige Installation sucht schon jetzt der erste Teil den Dialog mit den Gästen der Citykirche. Während der Wallfahrt 2023 wird es außerdem noch eine zusätzliche Live-Performance geben. Ausgestellt werden insgesamt zwölf Kleidungsstücke von Frauen aus aller Welt, zu den ausgestelltlen Stücken werden Texte der Frauen gelesen, die sie getragen haben. „Kleider drücken alles aus, was die Würde des einzelnen Menschen ausmacht“, beschreibt Swantje Eibach-Danzeglocke das Konzept. Zu sehen sein werden unter anderem ein Blaumann einer Doktorandin, die am Institut für Werkstofftechnik der RWTH arbeitet, und eine Jacke aus Rettungsdecken, die geflüchtete Frauen in Griechenland für andere geflüchtete Menschen genäht haben, um ihnen ein wenig Schutz und Wärme zu geben. 
Wie wichtig Kleidung für Menschen ist, habe sie in den Gesprächen mit den Trägerinnen erfahren, erzählt die Pfarrerin:„ Bei vielen Frauen, gerade aus anderen Teilen der Welt, drückte sich die Sehnsucht nach ihrem Heimatort in dem Kleidungsstück aus, das sie für die Ausstellung zur Verfügung gestellt haben.“

Ob es bereits jetzt ein ergänzendes Programm zu den einzelnen Teilstücken gibt, sei laut Timotheus Eller, katholischer Pfarrer an der Citykirche, noch offen. „Wir haben jetzt Zeit, in Ruhe zu überlegen, wie wir die Installation einbinden können.“ Beim Mittagsimpuls, der montags bis freitags um 12.15 Uhr stattfindet, soll das Werk in jedem Fall eine Rolle spielen.

Uwe Appold, der immer wieder in seinem Schaffen zu theologischen Themen arbeitet, beschreibt seinen Eindruck so: „Es strahlt Ruhe und Würde aus. Das sollte vom Altar ausgehen, wenn man die Kirche betritt. Es hat genauso geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben.“ 

Die Citykirche St. Nikolaus ist täglich von 10 bis 19 Uhr für Besucher geöffnet.