Stimmen Gewicht verleihen

Mit Debattierclub und Europatag lässt die Liebfrauenschule Mülhausen Demokratie einüben

In der Bibliothek der Liebfrauenschule trifft sich der Debattierclub dienstags für eine Stunde. (c) Axel Küppers
In der Bibliothek der Liebfrauenschule trifft sich der Debattierclub dienstags für eine Stunde.
Datum:
21. Mai 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 20/2019 | Axel Küppers

Europa driftet mehr und mehr auseinander. Autokraten diktieren bei Twitter oder auf Militärparaden selbstherrliche Botschaften. Und in Parlamente verirren sich außer den Politikern höchstens noch ein paar Touristen.

An der Liebfrauenschule Mülhausen ist wegen dieser Tendenzen bereits vor einiger Zeit ein Debattierclub eingerichtet worden. „Das ist eine AG, in der die Schülerinnen und Schüler lernen, mit Worten umzugehen, für ihre Argumente einzustehen und eine Meinung zu vertreten“, beschreibt es Lehrerin Alexandra Lochthowe. Dienstags nachmittags treffen sich in der Schulbibliothek ein Dutzend Heranwachsende im Alter zwischen 14 und 19 Jahren, um die hohe Schule des Diskutierens zu trainieren. Ihr Können unter Beweis stellen können die Jugendlichen in einer Art Wettbewerb. Der nennt sich „Model United Nations“ und findet auf regionaler Ebene im Schloss Neersen statt. Aber auch auf europäischer Studentenebene haben die Liebfrauenschüler bereits in Maastricht bewiesen, dass ihre Stimme im Nachwuchs-Parlament Gewicht hat.

„Diese AG ist umso wichtiger geworden, weil in Kürze die Europawahl ansteht, die unsere Schüler brennend interessiert. Drei aus der AG sind auch schon stimmberechtigt“, sagt Maike Schwich, die sich die AG mit Alexandra Lochthowe aufteilt. Diesmal geht es in der Bibliothek um das Thema „Vereinigte Staaten von Europa“. Jeder der acht Schüler am Tisch vertritt ein Land und eine Position. Es gibt Befürworter, aber auch Gegner des gemeinsamen europäischen Gedankens. „What about the integration of the countries in the United States of Europe?“, fragt Anton Gehnen in die Runde. Alles läuft – wie in den echten Parlamenten in Brüssel, Straßburg, New York oder Maastricht – auf Englisch ab. Der 17-Jährige aus Oedt ist so etwas wie der Chairman, der die Runde leitet. Zunächst trauen sich nur die Älteren, das Wort zu ergreifen. Niklas Erkes (18) stellt gestenreich die Frage, ob die einzelnen Länder sich tatsächlich mit einem Gebilde wie den Vereinigten Staaten von Europa abfänden. Felix Tilgner (18) aus Süchteln zieht die ökonomische Karte und hinterfragt, ob reiche Länder wie Deutschland die ärmeren wie Griechenland, Italien oder Spanien auffingen. Nach spätestens 20 Minuten gehen auch Jüngere wie Leo Loetzke (14) aus Süchteln aus sich heraus und diskutieren in wohlgeformten englischen Sätzen mit. Corey Frazier (19), Austauschschülerin aus Alaska, wirft immer wieder ihre Erfahrungen mit den USA in die Liebfrauen-Debattierrunde.

Jan Fenten (14) aus Oedt muss sich von Anton nicht zweimal bitten lassen, nun das Wort zu ergreifen. Nach einer halben Stunde hat sich die Runde fast in Rage geredet, einige Wangen sind gerötet, sodass Anton hier und dort eingreifen muss: „Okay, that‘s enough.“ Hitzig wird’s aber nicht, immer obsiegt am Ende ein Lächeln oder eine lustige Bemerkung. „Der Debattierclub macht erfinderisch, selbstbewusst und schult, die Gedanken sortiert zu formulieren“, sagt Pädagogin Alexandra Lochthowe. Eine wunderbare Vorbereitung für die „U-18-Europawahl“ vom Landesjugendring NRW für Schulen, für die sich die Liebfrauenschule ebenfalls gemeldet hatte. Mit der Veranstaltung soll der Politikverdrossenheit begegnet und für mehr Demokratieverständnis bei denen gesorgt werden, die noch nicht wahlberechtigt sind. Hinten an den Wahlkabinen sehen die Lehrerinnen Alexandra Heydhausen-Steiger und Maike Schwich indes nach dem Rechten. Sie kümmern sich seit Wochen intensiv um das Thema „Europa“ an der Liebfrauenschule, die seit einigen Monaten zertifizierte Europaschule in NRW ist. „Von der Möglichkeit, an der U-18-Europawahl teilzunehmen, ist erfreulich rege Gebrauch gemacht worden“, berichtet Michaela Heydhausen-Steiger mittags.

Gwenifer Schmitt hat gewählt. Die 15-Jährige hat sich im Pädagogischen Zentrum (PZ) der Liebfrauenschule Mülhausen beim Wahlhelferteam einen Stimmzettel geholt, ist in eine der beiden Wahlkabinen gegangen, hat ihr Kreuzchen gemacht. Heute ist Europatag in der Liebfrauenschule Mülhausen. Mehrere 100 Schülerinnen und Schüler durften sich für eine der 40 Parteien entscheiden, die ins künftige EU-Parlament einziehen wollen. „Hm, wenn ich die Diskussion so höre, hätte ich mich vielleicht vorhin anders entschieden“, sagt Gwenifer mit Blick in Richtung Podium. Dort diskutieren fünf Kandidaten – allesamt Männer mittleren Alters – für die Europawahl und stellen sich den Schülerfragen. Als eine Siebtklässlerin die Politiker auf das Thema Naturschutz anspricht, brandet unter den 280 Liebfrauenschülern im PZ spontaner Applaus auf. Gwenifer klatscht mit. Als das „heiße Eisen“ Internet-Gerechtigkeit aufkommt, wird es emotional. Jetzt beharken sich die Politiker auf der Bühne. Es riecht nach Wahlkampf. „YouTube, Instagram, Facebook, der Artikel 13 – das ist für uns junge Menschen einfach sehr relevant“, sagt Gwenifer, die aus Oedt kommt und die neunte Klasse besucht. Auf der Bühne fassen die Schüler-Moderatoren Alexander Domeier, Melina Heimes und Henning Grün nach bei der angetretenen Politriege vom gesamten demokratischen Spektrum. „Nutzt die Gelegenheit, Fragen zu stellen, hier habt ihr die Ansprechpartner hautnah vor euch“, ruft Schulleiter Lothar Josten ins Forum. Wie die Liebfrauenschüler bei der U-18-Europawahl ihre Stimmen verteilt haben, wird am 23. Mai – drei Tage vor der Europawahl – bekannt gegeben. Darauf ist auch Gwenifer Schmitt gespannt.