Niemand spricht gerne über den Tod. Vor Kindern schon gar nicht. „Wir wollen unsere Kinder schützen, sie vor schwierigen Themen und leidvollen Erfahrungen bewahren“, sagt Maria Wissing-Hilke. Dieses gut gemeinte Abschirmen führe aber dazu, dass eine Auseinandersetzung mit diesem Thema oft gar nicht stattfinde und Kindern das notwendige Rüstzeug fehle.
„Sterben und Tod gehören zum Leben dazu“, weiß die ehrenamtliche Hospizhelferin. Wie Freude und Leid, Blühen und Vergehen. Krankheit, Sterben und Tod treten dabei oft ganz plötzlich in unser Leben, lassen keine Zeit für einen Plan B der Vermittlung. Kurzum: Der Tod ist Teil der kindlichen Erlebniswelt. Im schulischen Lehrplan kommt er aber nicht vor, auch Eltern sind im Fall eines Todesfalls in der Familie oft eher sprachlos, obwohl Kinder viele offene Fragen haben und mit Gefühlen konfrontiert werden, die sie weder einordnen noch verarbeiten können.
Die Idee, Kindern im Grundschulalter das Thema Tod und Sterben altersgerecht nahe zu bringen, geht auf ein vom Bundesjugendministerium gefördertes Modellprojekt zurück. Das Konzept einer „Hospiz macht Schule“ getauften Projektwoche an Grundschulen wurde maßgeblich im Jahr 2005 von der Hospizbewegung Düren-Jülich entwickelt und ist seitdem bundesweit im Einsatz. Mittlerweile hat „Hospiz macht Schule“ sogar im Ausland Schule gemacht.
„Es gehört zu den Grundkompetenzen, sich auch mit schweren Themen auseinanderzusetzen. ‚Hospiz macht Schule‘ stärkt das Kind für das, was im Leben noch auf dieses Kind zukommt“, sagt Gerda Graf von der Hospizbewegung Düren-Jülich. Fakt sei: So sehr wir es auch versuchen, niemand kann sich selbst und schon gar nicht seine Kinder vor schwierigen und traurigen Situationen bewahren. „Aber wir können alles dafür tun, damit Kinder mit solchen Situationen besser klar kommen, die Ursachen verstehen und Methoden gelernt haben, Trauer, Wut und Verzweiflung zu empfinden und zu verarbeiten“, sagt Gerda Graf. „Hospiz macht Schule“ rücke nicht nur die Themen Tod und Sterben aus der Tabuzone zurück ins Leben, sondern biete auch den Gegenentwurf zur heutigen sehr funktionalen Welt. Gerda Graf: „Alles muss funktionieren. Auch Kinder. Wir ermöglichen es, Gefühlen freien Lauf zu lassen, sich im geschützten Rahmen mit ihnen auseinanderzusetzen.“
Aber wie sprechen die eigens dafür geschulten Ehrenamtlichen der Hospizbewegung mit Dritt- oder Viertklässlern über den Tod? Indem die Schülerinnen und Schüler behutsam an die Thematik herangeführt werden. Nicht ohne Grund ist die Projektwoche auf fünf aufeinanderfolgende Tage angelegt, wird wechselnd in Groß- und Kleingruppen gearbeitet.
„Am ersten Tag beschäftigen wir uns unter anderem mit dem Werden und Vergehen in der Natur“, erklärt Maria Wissing-Hilke. Das Curriculum knüpft an schulische Themen an, greift Elemente des Kunst- und Musikunterrichts auf, knüpft an den Religionsunterricht an. Doch die Kinder lernen in der Woche auch, welche Krankheiten es gibt, die geliebte Menschen verändern, warum Menschen sterben, wie ein Sterbeprozess aussehen kann. Ganz wichtig ist es auch, Abschiedsrituale kennenzulernen. Die Ehrenamtler greifen dabei auch auf Filme zurück, setzen auf kreative Angebote. An einem Tag geht es um Trost und ums Trösten. Die Kinder erfahren, welche Wirkung ein aufmunternder Brief haben kann, ein Besuch am Krankenbett. Langsam wird der Bogen zurück in den Alltag gespannt. Am letzten Tag machen die Eltern mit, wird ein kleines Fest zum Abschied der Projektwoche gefeiert, blicken alle auf das Gelernte zurück. Mittlerweile gibt es auch ein Konzept für weiterführende Schulen, das auf zwei Projekttage reduziert ist.
Vor dem Beginn jeder Projektwoche gibt es einen Elternabend, an dem die Hospizbewegung das Konzept vorstellt. „Gerade zu Beginn war das oft ein Kraftakt“, blickt Gerda Graf zurück. Doch trotz mancher Vorbehalte und Ängste sei es bislang immer geglückt, die Projektwoche stattfinden zu lassen. „Die Erfahrungen von Lehrerinnen und Lehrern sind, dass die Klassengemeinschaft davon profitiert, dass die Kinder achtsamer sind und rücksichtsvoller miteinander umgehen“, sagt Maria Wissing-Hilke. „Hospiz macht Schule“ sei ein Kompetenztraining für Kinder, die dabei lernen, auch in belastenden Situationen handlungsfähig zu bleiben – aber gleichzeitig beispielsweise auch in die Familien tragen, welche Wege des Umgangs mit Trauer es gibt, wie die Begleitung schwerstkranker Menschen aussehen kann, welche Möglichkeiten des Abschiednehmens es gibt. Gerda Graf: „Kinder sind nicht so verkopft wie wir. Sie erkennen die Natürlichkeit von Leben und Sterben, haben viel weniger Berührungsängste, als wir annehmen.“