Kirchen als „Bühnenbild“ fürs Theater? Das Grenzlandtheater Aachen ist auf Pfarreien und Gemeinden im Bistum zugegangen und auf offene Ohren gestoßen. Neun Kirchen stimmten einer Aufführung zu. Das Stück ist passend zu den Orten biblisch: „Judas“. Am vergangenen Wochenende wurde Premiere in St. Gregorius in Aachen gefeiert.
„Kennen Sie mich?“ Das ist die Einstiegsfrage, mit der das Publikum sich kon-frontiert sieht. Natürlich, möchte man spontan antworten, denn selbst kirchenfremden Menschen ist die Figur des „Judas“ ein Begriff. Sie ist in der abendländischen christlichen Kultur der Inbegriff für Verrat und Schuld. „Es ist eine bekannte Geschichte, jedenfalls was die Tatsachen anbetrifft – und es ist eine unbekannte Geschichte“, lässt Autorin Lot Vekemans ihren „Judas“ in dem gut eineinviertel Stunden langen Monolog sagen.
Felix Frenken in seiner Rolle als „Judas“ nimmt die Menschen mit auf eine Spurensuche: Wer ist dieser Judas? Was hat ihn bewegt? Was sind die Abgründe, denen er sich gestellt hat? In mitreißender und grandioser Form lässt Felix Frenken die Menschen Judas’ Werdegang mitfühlen, indem er wütet und verzweifelt, anklagt und reflektiert, traurig macht und belustigt. Der Schauspieler bringt die ganze Palette menschlicher Gefühle hautnah an sein Publikum – und das zuweilen im Wortsinn, wenn er nicht nur den Altarraum als Bühne nutzt, sondern zwischen den Bankreihen agiert. Dabei wirft er das Publikum immer wieder auf sich selbst zurück: „Möchte jemand beichten?“ „Wo hätten Sie gestanden?“ „Haben Sie schon einmal Reue empfunden?“ Stellvertretend für „die Menschen“ wirft „Judas“ diese Fragen auf.
Das Grenzlandtheater stellt mit „Judas“ eine der biblischen Figuren in den Mittelpunkt, die weniger polarisiert als eint. Und doch ist sie wohl gerade in der jetzigen Zeit ein gutes Sinnbild für die aktuelle Situation in der Kirche. Autorin Lot Vekemans lässt „Judas“ sagen: „Sie glauben wahrscheinlich: Ein Mensch handelt vor allem aus einem Glauben heraus. Das ist nicht so. Glaube braucht keine Aktion – Zweifel schon. Glaube will man behalten – Zweifel will man loswerden. Dafür muss man aber was tun.“
„Ich erlebe die Kirche in einer Situation, in der sie versucht, sich neu zu definieren“, sagt Regisseur Ingmar Otto, und doch sei das Stück nicht nur religiös, sondern folge mehr den existenziellen Fragen der Menschen. Der Aufführungsort „Kirche“ habe sich aus der Frage nach dem Bühnenbild ergeben. Darüber hinaus gelte für die Kirche wie fürs Theater: Mit neuen Räumen kann man Menschen neu interessieren. Die „Tournee“ durch das Bistum ist für das Theater besonders, denn „es wird jedes Mal anders sein: Jeder Raum ist anders, und das Publikum ist anders – diese Spannung muss der Schauspieler aushalten.“
Für Judas-Darsteller Felix Frenken wird jede Aufführung wie eine kleine Premiere sein, denn er kennt keine der Kirchen und weiß, dass er ein Publikum vorfinden wird, dass sich zwischen den Polen konservativ und progressiv bewegen wird. Für ihn, der sich selbst als spirituellen und gläubigen Menschen beschreibt, ist der „Spielort Kirche“ etwas Besonderes. „Man hat Ehrfurcht vor dem Kirchenraum – das muss man beibehalten und auch etwas verlieren, sonst darf ich das Stück nicht spielen.“ Gleiches gilt für die Rolle des „Judas“, in die Frenken schlüpft. „Ich habe sehr viel gezweifelt – auch im Probenprozess – bei manchen Sätzen, Geschichten, bei der Grundfrage: Kann und will ich das spielen? Was habe ich für eine Botschaft? Wofür bin ich jetzt hier der Anwalt?“ Das ist ein Grund, warum es auf seinen Wunsch hin ein Treffen mit einem Priester gegeben hat.
„Ich musste mich beim spirituellen Weg rückversichern“, sagt der Schauspieler, denn letztlich müsse auch er unversehrt bleiben. „Ich darf für mich als Felix nicht mit einem Schuldgefühl aus dem Abend gehen. Man nimmt immer etwas mit aus der Rolle. Und darum ging es auch: Was nimmt ein Judas mit? Womit versöhnt er sich zum Schluss?“
„Ich muss vorsichtig sein, was ich sage“, führt „Judas“ anfangs in das Stück ein. Und die Konfrontation, die folgt, gibt ihm recht. Sie gipfelt schließlich in der Behauptung – oder Selbstwahrnehmung: Nicht Christus sei für die Sünden der Menschen gestorben, es sei Judas gewesen. Jener, der die Schuld all derer auf sich genommen hat, die Jesus nicht verteidigen konnten oder wollten, ihn nicht retteten. Und darum habe er sich selbst richten müssen, weil es kein anderer tat. Eine gewagte Äußerung mit Sprengkraft und viel Diskussionsstoff. „Versuchen Sie nicht, irgendetwas begreifen zu wollen an diesem Abend“, hatte „Judas“ anfangs gesagt. Und doch ging es genau darum für jeden Einzelnen in diesem Kirchenraum: Begreifen, dass die Welt eben nicht zwischen zwei Pole – gut und böse – zu fassen ist und dass in allen auch ein Funken „Judas“ steckt, der die Sinnfragen des Lebens stellt.
Spieltermine und -orte, Beginn jeweils um 19.30 Uhr:
3., 4. und 5. März sowie 21. und 22. März: Pfarrkirche St. Gregorius,
Am Chorusberg 3a, Aachen
11. März: Evangelische Annakirche, Annastraße 35, Aachen
12. März: Pfarrkirche St. Barbara, Alt Breinig 42, Stolberg
13. März: Propsteikirche St. Mariä Himmelfahrt, Stiftsherrenstraße 15, Jülich
16. März: Pfarrkirche St. Hubertus, Händelstraße 6, Aachen
17. März: Pfarrkirche St. Bonifatius, Jülicher Straße, Eschweiler-Dürwiß
19. März: Pfarrkirche St. Andreas Setterich, An der Burg 1a, Baesweiler-Setterich
24. März: Evangelische Kirche Roetgen, Rosentalstraße 8, Roetgen
25. März: Pfarrkirche St. Castor, Burgstraße 2, Alsdorf
Eintrittskarten unter Tel. 02 41/4 74 61 11 oder E-Mail: tickets@grenzlandtheater.de sowie unter www.grenzlandtheater.de.