Die Passionsgeschichte ist sicherlich – neben dem Weihnachtsevangelium – die bekannteste Geschichte der Christenheit. Doch was geschieht noch mal im Einzelnen zwischen Jesu Einzug in Jerusalem, seiner Kreuzigung und Auferstehung? Beim Oster-Parcours rund um die Kirche Heilig Geist in Aachen können Familien den Weg Jesu in seinen letzten Tagen nachgehen und die Geschichte für sich (wieder-)entdecken.
Entwickelt hat den Familien-Oster-Parcours Gemeindereferentin Bärbel Gerads-Kriescher, im Team der Pfarrei St. Jakob, zu der Heilig Geist gehört, für die Familienpastoral zuständig. Seit einigen Jahren ist die Heilig-Geist-Kirche Familienkirche. Hier finden regelmäßig Gottesdienste für Familien (und alle Gemeindemitglieder mit Familiensinn) statt. Bis zur Corona-Pandemie gab es regelmäßig Angebote zur Begegnung und Unterstützung von Familien. Das alles musste dann zunächst pausieren. Erst so langsam tasteten sich alle Beteiligten wieder vor und schauten, was gehe, sagt Bärbel Gerads-Kriescher.
Aus der Pandemiesituation heraus (nur ganz wenige waren Ostern 2021 bereits geimpft) ist auch die Idee zum Familien-Oster-Parcours entstanden. Sie habe Familien ein Angebot machen wollen, aus dem sie etwas für sich mitnehmen könnten und bei dem sie außerdem „vor die Tür“ kämen, erzählt Bärbel Gerads-Kriescher. „In der ganzen Home-Schooling-Phase hatten viele Familien genug von Arbeitsblättern und Aufgaben für zu Hause.“ Die Idee eines Parcours mit Stationen bot die Möglichkeit, einen kleinen Ausflug mit der Beschäftigung mit den letzten Tagen im Leben Jesu zu verbinden. Jede Familie konnte den Weg zu einer für sie guten Zeit und in ihrem eigenen Tempo gehen. Das sei gut angekommen. So gut, dass es in diesem Jahr an Karfreitag und Karsamstag eine Neuauflage gibt. „Zwar können wir in diesem Jahr schon wieder mehr machen, weil die meisten geimpft sind. Aber das Konzept ist etwas, das Familien auch unabhängig von Corona anspricht, die etwas anderes suchen als Alternative zum Kreuzweg, und das auch denen entgegenkommt, die weiter vorsichtig sein müssen oder wollen.“
Startpunkt ist am Kirchenportal. Von hier aus machen sich die Parcours-Teilnehmenden auf den Weg. Wie sich das gehört, ausgerüstet mit einer Karte, auf der der Weg von Station zu Station verzeichnet ist. Der führt dabei kreuz und quer über das Gelände der Familienkirche, von der Kirche vor das Pfarrheim und in den Garten… Auf geradem Weg wäre es ja nur halb so spannend. Außerdem erhalten alle ein Begleitheft zu den einzelnen Stationen. Darin gibt es die jeweiligen Geschichten, einen Impuls zur Vertiefung, ein Lied und/oder ein Gebet und immer auch eine kleine praktische Aufgabe. Das ist besonders für die jüngeren Kinder wichtig und auch, dass es am Ende etwas gibt, das sie mit nach Hause nehmen können.
Die erste Station führt in die Kirche. Ein Eselchen und bunt geschmückte Palmzweige stehen für den Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag. Während einer die Geschichte liest, dürfen die anderen selbst ein Palmbüschel mit bunten Kreppbändern verzieren. Im Impuls stellt sich die Frage: Wie die Menschen sich wohl damals diesen König vorgestellt haben, der sie befreien sollte? Ein König mit Krone, Prunk und großem Gefolge ist Jesus jedenfalls nicht… Was macht ihn also aus? Mit dem Palmsonntagsgeschehen zu beginnen, ist Bärbel Gerads-Kriescher wichtig. „Nicht alle Familien haben das am Sonntag zuvor selbst miterlebt.“ Weshalb sie die geschmückten Palmbüschel auch mit nach Hause nehmen dürfen.
„Kommt und esst mit mir!“ lautet der Titel der zweiten Station. Sie erinnert an das letzte Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat. Am Altar stehen Brot und Trauben, und eine Picknickdecke lädt dazu ein, das Brot miteinander zu teilen. Wer mag, nimmt sich ein Gesangbuch und singt gemeinsam das Lied „Eingeladen zum Fest des Glaubens“ oder das Vaterunser. An einer großen blauen Stellwand können die Familien Figuren mit ihren Namen anheften und so Teil der Tischgemeinschaft mit Jesus werden.
Zur nächsten Station geht es aus der Kirche hinaus ins Freie. Thema ist die Gefangennahme und Verurteilung Jesu. Jesus wird mit einer Dornenkrone gekrönt, gedemütigt und verspottet, das schwere Kreuz, das er den ganzen Weg bis zum Hügel Golgota tragen muss, wird ihm auf die Schulter gelegt. Kein leichtes Thema für Kinder. Die machten sich viele Gedanken dazu, berichtet Bärbel Gerads-Kriescher aus den Rückmeldungen der Familien und aus eigenen Erfahrungen. „Eine Krone aus Dornen, das tut doch weh“, so eine kindliche Reaktion. Auch den Hohn und Spott können sie nachfühlen und wie schwer das Kreuz ist. Sie sind eingeladen, aus kleinen Zweigen selbst ein Kreuz zu basteln, das sie als Erinnerung mitnehmen dürfen.
An der vierten Station begegnet Jesus einigen Frauen, die weinen, weil es sie schmerzt, ihn so leiden zu sehen. Neben der Kirche ist dazu eine Mauer aufgebaut, eine Klagemauer. Sie bietet Platz für alles, was den Familien auf dem Herzen liegt, was sie traurig macht und bedrückt, was sie von Gott erhoffen und erbitten. Das dürfen sie auf kleine Zettel schreiben und in die Ritzen der Klagemauer stecken. Die Zettel werden in der Osternacht ungelesen im Osterfeuer verbrannt. Eine Station, die im vergangenen Jahr mitten in der Pandemie mit all ihren Belastungen in die Zeit gepasst habe und besonders intensiv gewesen sei, sagt Bärbel Gerads-Kriescher. „Und die, insbesondere angesichts des Kriegs in der Ukraine, leider immer noch aktuell ist.“
Station fünf schließlich ist Jesu Tod am Kreuz gewidmet. Für Kinder ist das wohl die schwierigste und für Eltern eine der herausforderndsten Stationen des Parcours. Neben der Geschichte von Jesu Sterben gibt es im Begleitheft die Einladung, einen Moment in Stille zu beten und ein Teelicht für Jesus und alle Verstorbenen, die ihnen nahe sind, anzuzünden. Zwar ist erst Karfreitag oder Karsamstag, wenn die Familien den Oster-Parcours gehen, doch auch der Familienkreuzweg ende bei ihnen in der Pfarrei nicht mit Kreuzigung und Tod. Kinder bräuchten den Ausblick auf Ostern, das Zeichen der Hoffnung, dass Jesu Tod am Kreuz nicht vergebens war, erklärt Bärbel Gerads-Kriescher.
Die sechste und letzte Station führt in den Garten hinter der Kirche, wo die Familien erwartet, was auch die Frauen vorfanden, die am Ostermorgen zu Jesu Grab kamen. Vor der kleinen nachgebauten Grabeshöhle ist der Stein weggeschoben. Das Grab ist leer. Er ist auferstanden. Als Zeichen dafür dürfen die Familien an ihren Kreuzen eine Osterblume befestigen. „Eine Familie hat mir im vergangenen Jahr erzählt, dass sie das Kreuz mit der Blume zu Hause in Wasser gestellt habe und beides habe zu sprießen begonnen. Ein schönes Zeichen, oder?“, sagt Bärbel Gerads-Kriescher mit einem Lächeln.