Die Münster-Basilika in Mönchengladbach ist ein Ort der Zuversicht. Seit über 1000 Jahren
bietet sie den Menschen Schutz. Als Wahrzeichen der Stadt sehen neben Katholiken auch Protestanten und Atheisten in ihr „ihre“ Kirche. Hier sollen alle Zuflucht und Hoffnung finden. Besonders jene, die am Rand der Gesellschaft stehen.
Es kommt darauf an, aus welcher Perspektive auf den Schriftzug geblickt wird. Außenstehende sehen in dem ins Holz eingeritzten Wort einen Fall von Vandalismus. Die Mönchengladbacher aber sehen darin einen echten Beuys. Im Rahmen einer Performance am Karfreitag 1972 ritzte Joseph Beuys das Wort „Exit“ in das Hauptportal der Münster-Basilika von Mönchengladbach. Heute wird die Geschichte bei Führungen oft und gerne erzählt. Damals schüttelten die Mönchengladbacher über das Verhalten des Künstlers den Kopf – manche empörten sich auch lautstark.
Dass Beuys mit dem Schriftzug den Eingang zum Ausgang machte, sieht Propst Peter Blättler heute entspannt. „Man kann es ja auch anders interpretieren“, sagt er und verweist auf Edmund Erlemann, der von 1984 bis 1991 Propst war. „Er interpretierte Exit in einem Buch so: Bei jeder Krise ist der Weg in die Kirche ein Ausweg aus der Welt, um Kraft zu tanken.“ Ein Zufluchtsort für jene, die eine Pause von dem irdischen Leben brauchen. Für Menschen, die Sorgen haben, die am Rand der Gesellschaft leben oder die einfach dankbar für ihr Leben sind. Zur Heiligtumsfahrt 2014 zeigte der 2015 verstorbene Erlemann eindrücklich, was er damit meinte, als er mit Obdachlosen der Stadt zum Mönchengladbacher Münster pilgerte und mit ihnen durch das Hauptportal einzog.
Das Münster ist nicht einfach nur eine große, wichtige Kirche. „Es ist ein Wahrzeichen der Stadt“, sagt Blättler. Noch mehr: Es ist das Gotteshaus, mit dem sich die Mönchengladbacher identifizieren – unabhängig von ihrer Konfession und ihrer Religion. „Selbst nach dem Krieg, als die Ökumene noch nicht so ein Thema war, hat die Stadtgesellschaft gesagt: ,Wir wollen das Münster wieder aufbauen und keinen Parkplatz draus machen.‘“ Die Bürger der Stadt haben Geld gesammelt und die zerstörte Kirche wieder aufgebaut.
Mit vereinten Kräften, die Hindernisse überwanden. Denn Geld war knapp, Baumaterial auch. Aber das Münster ist auch ein Zeichen des Pragmatismus der Menschen rund um den Abteiberg. Zu besonderen Anlässen ist das Hauptportal geöffnet. Dann schreiten die Kirchenbesucher über die hellen Bodenplatten, von denen einige sonderbare Motive haben. In Spiegelschrift wird darauf für alkoholhaltige Getränke geworben.
Beim Wiederaufbau wurden Druckplatten der alten Druckerei B. Kühlen verwendet, die damit Etiketten für Flaschen und Plakate druckte. Jeden Freitag stellt eine Dame der Münster-Aufsicht ein Fläschchen „St. Vitus Boonekamp“ auf eine der Platten. Und genauso regelmäßig nimmt jemand das Fläschchen weg.
Charlotte Lorenz koordiniert die Festlichkeiten zum 750. Jubiläum der Weihe der Chorhalle und war 2023 als Geschäftsführerin für die Heiligtumsfahrt in Mönchengladbach verantwortlich. Das Münster ist so etwas wie ihr zweites Zuhause. Fragt man Lorenz, welcher Ort in dem Gebäude für sie ein Hoffnungsort ist, dann fällt die Antwort anders als erwartet aus. „Hoffnung gibt mir kein Ort, sondern die Menschen hier“, sagt sie. Auch Blättler nennt die Menschen auf dem Abteiberg als das größte Zeichen der Hoffnung. „Wenn ich beim Gottesdienst am Altar stehe und in die Gesichter der Menschen sehe, das gibt mir die meiste Kraft.“
Dazu gehört die gelebte Ökumene, an der hier viele Menschen beteiligt sind; dass es zum Beispiel möglich war, zur Heiligtumsfahrt 2023 die Reliquie, ein Stück des Tischtuchs vom letzten Abendmahl, in die evangelische Hauptkirche zu bringen und dort zusammen mit den evangelischen Glaubensgeschwistern und Bischof Helmut Dieser zum ökumenischen Friedensgebet zusammenzukommen.
Schon bei der Eröffnung der Heiligtumsfahrt waren die evangelischen Glaubensgeschwister ein aktiver Teil. Sie hatten ihren Platz vorne, direkt neben dem Altar mit dem Schrein, in dem die Reliquie aufbewahrt wird. Der evangelische Pfarrer Till Hüttenberger hat zusammen mit Charlotte Lorenz das Stück Tuch der Gemeinde präsentiert. „Wir sind nicht wahrhaft katholisch, wenn wir nicht ökumenisch sind“, sagte Bischof em. Heinrich Mussinghoff zum Abschluss der Heiligtumsfahrt 2014 beim ökumenischen Gottesdienst am Fuße des Abteibergs.
Diese Worte werden auf dem Abteiberg gelebt. Zusammen feierten Katholiken und Protestanten auf dem Geroplatz unterhalb des Münsters Pfingsten 2024 ein ökumenisches Tauffest. Beim Chorweihe-Jubiläum sind die evangelischen Geschwister ebenfalls ein aktiver Teil der Feierlichkeiten. „Sie sehen das Münster auch als ihr Münster“, sagt Blättler. „Das gab es ja schon weit vor der Reformation.“
Die Gründungsgeschichte des Münster-Bauvereins zeigt, wie tief diese Identifikation geht: Er wurde direkt nach dem Zweiten Weltkrieg als überkonfessionelle, politisch unabhängige Bürgerinitiative gegründet. Von Anfang an waren die evangelischen Glaubensgeschwister dabei und sind auch heute mit Pfarrer Karl-Heinz Bassy im Vorstand vertreten. Ziel des Münster-Bauvereins war es zu seiner Gründungszeit, das nach zwei Bombenangriffen schwer beschädigte Gotteshaus wieder aufzubauen.
Heute widmet sich der Verein der Erhaltung und Verschönerung des Münsters. Jüngstes Projekt ist die Neugestaltung und Öffnung des Brunnenhofs, der einst der Innenhof der Abtei war. Wo früher die Benediktiner-Mönche sich am Brunnen wuschen, steht heute ein moderner Tellerbrunnen, in Beeten wachsen Heilkräuter, die in der Klostermedizin verwendet wurden. Der Brunnenhof ist zu einem stillen Kraftort mitten in der Innenstadt geworden, an dem sich Menschen treffen, sich ausruhen oder besondere Momente zusammen feiern. „Es gibt Brautpaare, die hier nach ihrer Hochzeit den Empfang ausrichten“, sagt Blättler. Er freut sich darüber, dass dieser Ort dazu beiträgt, das Ensemble rund um das Münster zu einem ganz selbstverständlichen Teil des bürgerlichen Lebens zu machen.
Auch hier ist die besondere Atmosphäre der Münster-Basilika Sankt Vitus zu spüren, die Zuversicht gibt – gerade in schweren Zeiten. „Das Münster ist Symbol dafür, dass sich für alles eine Lösung findet“, sagt Gemeindereferent Christoph Rütten. „Diese Kirche steht seit über 1000 Jahren hier. Sie hat Kriege, Pest und das Mittelalter überstanden. Es sind konkrete Geschichten damit verbunden.“
Sogar vor dem Teufel schützt das Münster. So sagt es die Legende. Auf der Grabplatte des Heiligen Albertus in der Krypta finden sich Risse. Dort sollen sich während des Dreißigjährigen Krieges Soldaten dem Glücksspiel hingegeben haben – verführt vom Teufel. Gerade als sie ihre Seele an ihn verloren hatten, klingelte oben im Münster die Sakristeiglocke zum Gottesdienst. Der Teufel konnte sein Werk nicht beenden. Wütend stampfte er mit seinem Pferdefuß auf die Grabplatte und verursachte so die Brüche. Dabei verschüttete er die Becher mit Wein und flüchtete aus dem Fenster. Die Flecken sind heute noch zu sehen.