Spuren jüdischen Lebens in Düren

Der neue Friedhof blieb in der NS-Zeit weitgehend von Schäden und Schändungen verschont. Er ist ein letztes Fragment der jahrhundertealten Geschichte einer Gemeinde, deren gewaltsames Ende 1938 mit dem Novemberpogrom eingeläutet wurde.

(c) Stephan Johnen
Datum:
22. Jan. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 04/2025 | Stephan Johnen

Der neue jüdische Friedhof – zwischen der Danziger und der Binsfelder Straße gelegen – ist ein letztes Fragment der jahrhundertealten Geschichte jüdischen Lebens in Düren. Er blieb während der NS-Zeit, anders als die Synagoge der Gemeinde, die in der Reichspogromnacht in Brand gesteckt wurde, von Schäden und Schändungen weitgehend verschont. „Vielleicht, weil er damals am Rand der Stadt lag“, mutmaßt Ludger Dowe von der Geschichtswerkstatt Düren. 

Seit vielen Jahren nimmt der pensionierte Deutsch- und Geschichtslehrer Ludger Dowe Besucherinnen und Besucher mit auf Rundgänge über den neuen jüdischen Friedhof. (c) Archiv / Stephan Johnen
Seit vielen Jahren nimmt der pensionierte Deutsch- und Geschichtslehrer Ludger Dowe Besucherinnen und Besucher mit auf Rundgänge über den neuen jüdischen Friedhof.

Seit vielen Jahren begleitet er regelmäßig Schüler- und Besuchergruppen über den heute inmitten der Wohnbebauung liegenden Friedhof. „Immer wieder stehen Menschen vor dem Tor und fragen sich, was das wohl für ein Ort ist“, sagt der pensionierte Deutsch- und Geschichtslehrer, der in direkter Nachbarschaft wohnt, einen Schlüssel für das Tor hat und sich gerne die Zeit nimmt, mit Besuchern einen Rundgang zu machen.

Vor dem Holocaust lebten in der damals rund 40 000 Einwohner zählenden Stadt etwa 400 Juden. Die Geschichte jüdischen Lebens reicht bis in das 13. Jahrhundert zurück. Während der NS-Diktatur konnte rund die Hälfte der jüdischen Bürgerinnen und Bürger fliehen, die andere Hälfte wurde deportiert, ermordet oder in den Selbstmord getrieben. „Vielleicht zehn Überlebende kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Eine jüdische Gemeinde gründete sich nicht mehr“, blickt Ludger Dowe zurück.

Der neue Friedhof ist Zeugnis eines einst florierenden Gemeindelebens. Je länger er sich mit der Geschichte dieses Ortes und der Geschichte der jüdischen Gemeinde beschäftigte, desto dicker wurde die Kladde, die Ludger Dowe immer mal wieder aufschlägt, um Fotos zu zeigen, Lebensgeschichten und Schicksale nachzuzeichnen, die sich hinter Namen verbergen. Flankierend hat er zwei prall gefüllte Aktenordner zu den in der Stadt verlegten „Stolpersteinen“ – es sind Namen und Schicksale von Dürenerinnen und Dürenern, Familiennamen, die auch auf vielen Grabsteinen auftauchen, die ins 19. Jahrhundert zurückreichen.

Wer heute das Gelände betritt, nimmt den ursprünglichen Hintereingang. Das Hauptportal befand sich 1888 im Jahr der Eröffnung an der „Binsfelder Chaussee“. „Bestattet wurde von rechts nach links, Reihe für Reihe“, erklärt Ludger Dowe. Anders als bei christlichen Friedhöfen werden Gräber nicht aufgegeben: Ein jüdischer Friedhof ist bis zum Ende der Zeiten der Ort der ewigen Ruhe. Aufgrund des Reglements sind auf dem Friedhof bis in die 1920er Jahre Ehepaare nach dem Todesjahr getrennt begraben. Bei manchen Ehepartnern, die in verschiedenen Reihen liegen, sind die Grabsteine identisch.

„Die traditionelle Idee, dass im Tode alle gleich sind, wurde offenbar im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgegeben“, spricht Ludger Dowe von einer beginnenden Angleichung an christliche Begräbnisbräuche. Während die ersten Grabsteine noch auf dem Rasen stehen, tauchen nach und nach Einfassungen auf, die Grabsteine unterscheiden sich in Form und Material, künden zum Teil vom Wohlstand einiger zum Großbürgertum gehörenden Familien. Um 1900 tauchen vermehrt Elemente des Jugendstils auf Grabsteinen auf. Auch die Beschriftung veränderte sich mit den Jahrzehnten.

Salli Goldschmidt kehrte nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Theresienstadt im Jahr 1946 wieder nach Düren zurück. Er und seine Frau wurden auf dem Friedhof bestattet. (c) Stephan Johnen
Salli Goldschmidt kehrte nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Theresienstadt im Jahr 1946 wieder nach Düren zurück. Er und seine Frau wurden auf dem Friedhof bestattet.

„Die traditionelle Sitte der hebräischen Beschriftung mit der Schriftplatte zum Grab hin wird mit der Zeit aufgehoben, es finden sich zahlreiche Gräber mit doppelter Beschriftung in Deutsch und Hebräisch“, sagt Dowe. Schon im ersten Drittel des Friedhofes finden sich Gräber mit deutscher Beschriftung auf der Vorder- und hebräischer Beschriftung auf der Rückseite.

Der Friedhof ist letzte Ruhestätte für fast 300 Menschen. Zwei der 36 Reihen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur offiziellen Schließung des Friedhofes im Jahr 2000 angelegt, es sind 15 Gräber von Überlebenden des Holocaust. Etwa 100 Mitglieder der jüdischen Gemeinde blieben während des Zweiten Weltkriegs bis zum Beginn der Deportationen 1941 in der Stadt, die Emigration hatte schon 1933 begonnen. Es waren zum Teil die Ärmeren, die blieben, und Menschen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmerten. Sie wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Es gab aber auch Überlebende wie Salli Goldschmidt, der nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Theresienstadt im Jahr 1946 wieder nach Düren kam. „Im Dezember 1945 bat er von Köln aus den Dürener Bürgermeister, ihm eine Wohnung zu vermitteln. Sein ehemaliges Haus an der Wirtelstraße war beim verheerenden Luftangriff auf die Stadt am 16. November 1944 vollständig zerstört worden“, berichtet Ludger Dowe. Goldschmidts Frau Regina starb 1948 im Alter von 74 Jahren, 1956 starb Salli Goldschmidt im Alter von 86 Jahren. Vor dem Doppelgrab auf dem jüdischen Friedhof findet sich eine Gedenkplatte, auf der an die Tochter Grete, deren Mann Dr. Max Isaak und die Söhne Hans Hermann und Helmut erinnert wird, die „im Osten ermordet“ wurden.

Im November 1954 weihten Überlebende der jüdischen Gemeinde einen Gedenkstein auf dem Friedhof ein. Die Inschrift lautet „Den Opfern der Verfolgung aus Stadt und Kreis Düren zum Gedenken — den Lebenden zur Mahnung — 1933-1945“. Ein weiterer Gedenkstein erinnert an den früheren Lehrer und Kantor Max Oppenheim, der nach der Zerstörung von Synagoge und Schule in seinem Haus am Goebenplatz noch mindestens ein Jahr lang jüdische Kinder unterrichtete, später nach Brüssel emigrierte und dort den Zweiten Weltkrieg überlebte.

Vom Wohlstand einiger Familien zeugt beispielsweise die repräsentative Ruhestätte des 1915 verstorbenen Abraham Löwenstein, dem Gründer des Geschäfts Löwenstein & Freudenberg und späteren Besitzers der Firma Hannemann, der Vorsitzender der Synagogengemeinde war. Sein Sohn Hermann und dessen Ehefrau Else wurden im Juni 1942 als letzte Dürener Juden deportiert, wahrscheinlich nach Sobibor. Den drei Töchtern und ihren Familien gelang noch 1938 die Ausreise in die USA. Heute erinnern Stolpersteine an der Holzstraße an die einst hoch angesehene Familie. Hermann Löwenstein war wie sein Vater Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde; er saß im Stadtrat, war Mitglied der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer Aachen und Vorstandsmitglied der Dürener Kreisbahn. Im Dezember 1938 begann die sogenannte „Arisierung“ des Unternehmens „Gebr. Hannemann & Co.“

Die letzten auf dem jüdischen Friedhof bestatteten Menschen sind Hanna (1911 - 1999) und Emil Kamp (1907 - 2000). 1938 verließ der in Embken geborene Emil Kamp, der in Düren arbeitete, Nazi-Deutschland und wanderte nach Kolumbien aus, wo er seine Ehefrau Johanna aus Wickrath kennenlernte, die von Düsseldorf aus ins Rigaer Ghetto deportiert worden war, den Krieg überlebte und ebenfalls auswanderte. Aus „unbeugsamer Liebe“ kehrte Emil Kamp mit seiner Frau nach Düren zurück – wo beide 30 Jahre lebten. Über sechs Jahrzehnte hat Kamp seinen Träumen, Ängsten, Hoffnungen und Sehnsüchten Ausdruck in Gedichten verliehen. 1998 veröffentlichte er einen Gedichtband „Man nannte mich auch Emilio“. Am 10. August 2000 fand er in stiller Feier neben dem Grab seiner Frau auf dem neuen jüdischen Friedhof seine letzte Ruhe. Es war die letzte Beerdigung dort. 

Führungen

Ludger Dowe bietet mehrfach im Jahr Führungen über den neuen jüdischen Friedhof an der Binsfelder/Danziger Straße und zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Düren an – gerne auch für Schulklassen. Bei Interesse reicht eine E-Mail an 
ludgerdowe@gmx.de oder ein Anruf: 0 24 21/7 43 29.