Seit über 20 Jahren gibt es zwischen der Schule und dem Caritashaus eine Kooperation. Ins Leben gerufen von Rainer Prinz, dem damaligen Schulleiter. Mittlerweile ist Prinz im Ruhestand, aber ehrenamtlich noch immer in diesem Miteinander der Generationen engagiert. Lina und Laura haben „Opfer“ gefunden und begleiten sie jetzt in den Gemeinschaftsraum des Wohnbereichs 5. Da sitzen schon andere Seniorinnen mit Schülern an kleinen Tischen. Mittendrin auch Bianca Boender, anfangs als Caritas-Mitarbeiterin dabei, heute – im Ruhestand – als Ehrenamtlerin. Rainer Prinz ist noch mit zwei Jungen unterwegs, Spielerinnen abholen. So alt das Projekt als solches auch ist, für Lina, Laura und die anderen ist die Situation neu. Sie sind heute Ersatzspieler. Die Schüler der Klasse 9, die sonst hier ihre Donnerstagnachmittage im Rahmen des Ergänzungsunterrichtes verbringen, befinden sich zur Zeit im dreiwöchigen Praktikum. Damit das Projekt während dieser Zeit nicht brachliegt, haben sich Freiwillige aus der achten und der zehnten Klasse gefunden. Lina und Laura besuchen das achte Schuljahr und haben schon die ersten Seniorinnenherzen erobert. „Kommst du nächste Woche wieder?“, ist Laura gefragt worden. Und jetzt sieht die Schülerin treuherzig ihre Lehrerin Eva Jütte an: „Ja? Frau Jütte, darf ich?“ Frau Jütte kann nicht definitiv zusagen, da sich auch schon andere Schüler als Ersatzspieler angedient haben.
Lucas geht von Tisch zu Tisch, kennt jede Seniorin mit Namen. Hier ein liebes Wort, dort ein Glas Wasser und ein Lächeln. Für alle Spieler hat der 16-Jährige heute Plätzchen im Angebot. Lucas Nolte besucht die Fachoberschule für Soziales und Gesundheitswesen in Krefeld. Das einjährige Praktikum absolviert er im Caritashaus. „Der Lucas war vorher auf unserer Schule“, erzählt Rainer Prinz. „Und er hat bei unserem Spiele-Projekt mitgemacht.“ Dadurch sei ihm klar geworden, sagt der Fachoberschüler, dass er „auf jeden Fall etwas Soziales machen“ wolle. Seine weiteren Pläne werden jetzt konkret. Mit dem Fachabitur in der Tasche will er dann im Haus „Hildegundis von Meer“ eine Ausbildung zum Kranken- pfleger machen. Die Chancen stünden gut, versichert Sabine Eckstein, Leiterin des sozialen Dienstes der Einrichtung.
138 Senioren wohnen derzeit hier auf sieben Wohnbereichen. Zwei davon sind geschlossen. Aufgrund von Weglauftendenzen“, wie es Frau Eckstein formuliert. Lina und Laura und ihre betagten Mitspielerinnen sind in ihr Rummikub-Spiel vertieft. Die Gesichtszüge aller verraten ein hohes Maß an Konzentration. Am Nachbartisch wird „Mensch, ärgere dich nicht“ gespielt. „Das ist mein Haus“, ist von dort zu vernehmen. „Ich hab dich nicht verstanden. Ich höre nicht mehr so gut“, kontert eine ältere Frau. „Das ist mein Haus“, schreit die Schülerin. Alle lachen. Humor kommt bei diesen Spiele-Nachmittagen nie zu kurz. Lucas ist an allen Tischen gerne gesehener Gast. Er bietet immer wieder Plätzchen an und achtet nebenbei darauf, dass die Damen auch genug trinken.
Wie alles anfing? Darüber spricht der ehemalige Schulleiter sehr gerne. „Das war 1997. Da sind erstmals Schüler von uns mit Instrumenten ins Hildegundis-Heim gegangen, haben gespielt und die Bewohner zum Mitsingen animiert.“ Für diese Aktion sollten die Schüler mit dem Elisabeth-Preis des Caritasverbandes ausgezeichnet werden. Später seien seine Schüler mit ihren Haustieren zu Besuch gekommen, erzählt Prinz. Lieselotte Saft lebt schon länger im Caritashaus und erinnert sich gerne an diese Aktion. Meerschweinchen, Hasen und Hunde streicheln, das habe einfach Spaß gemacht. Kurz darauf war ein Gegenbesuch fällig. Und einige Senioren schilderten im Geschichtsunterricht der Realschule ihre Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg. „Die haben so authentisch und berührend erzählt, da war es so still im Raum“, ist Eva Jütte noch heute beeindruckt, „da hätte man eine Stecknadel fallen hören.“
Seit dem ersten Musizieren hat es immer einen lebendigen Austausch der beiden Einrichtungen gegeben. Regelmäßig absolvieren Realschüler hier ihr dreiwöchiges Praktikum. Es gibt seit Jahren immer wieder ausreichend Mädchen und Jungen, die sich für das Projekt „Soziales Lernen“ interessieren. „Und das, obwohl die Zeit hier mit Abholen und Zurückbringen der Senioren mehr Zeit in Anspruch nimmt als offiziell angesetzt“, sagt Rainer Prinz. Lina und Laura spielen immer noch Rummikub. Längst hat die dritte und letzte Runde angefangen. An den anderen Tischen wird schon zusammengeräumt. Aber das hält die Rummikub-Crew nicht davon ab, weiterzumachen. Lina ist es klar, dass sie im neunten Schuljahr das „Hildegundis-Projekt“ wählen wird. Und bis dahin will sie, so denn Platz ist, freiwillig zum Spielen und Chillen kommen. „Man kann den Leuten, die schon so viel erlebt haben, was geben“, begeistert sich Lucas. „Es ist so einfach, ein bisschen Spaß in deren Leben zu bringen.“ Und für die Schüler, die das Projekt noch nicht kennen, hat er eine Botschaft: „Es ist nicht uncool, ins Altenheim zu gehen. Egal, wie alt man ist.“