Spiel im Spannungsfeld

„Theater Ludus“ macht Aachens Kirchen zu seiner Bühne

Spiel im Spannungsfeld (c) Hermann-Josef Polzin
Spiel im Spannungsfeld
Datum:
2. Okt. 2017
Von:
Andrea Thomas
Kirche und Theater hatten es im Laufe der Geschichte nicht immer leicht miteinander, trotz gewisser Parallelen. Verstehen sich beide doch auf eine gute Inszenierung, um ihr „Publikum“ immer wieder neu für eine zeitlos aktuelle Geschichte zu begeistern.
Spiel im Spannungsfeld (c) Hermann-Josef Polzin
Spiel im Spannungsfeld

Theater widmet sich ebenso wie der Glaube den existenziellen Fragen des Lebens. In den Geschichten der Bibel steckt ebenso viel Moral wie in den Stücken manch großen Dichters. Glaube, Mensch und darstellende Kunst in den kunsthistorischen Kulissen der Kirchen, das hat Ingrid Wiederhold von Beginn ihrer Ausbildung zur Theaterpädagogin an fasziniert. „Die Jesuiten haben das Theater in die Kirche geholt und als Schulungsmittel eingesetzt“, erzählt sie. Der Altar wurde zur Bühne. Eine spannende Auseinandersetzung, in die auch sie sich hineinbegeben wollte. Aus dieser Idee heraus entsteht 2002 das offene Theaterensemble „Theater Ludus“. Mit einigen Gleichgesinnten bringt sie seitdem als Regisseurin das Theater in Aachener Kirchen. Mit Stücken, die sich auf die eine oder andere Weise mit Glauben, Tod und Vergänglichkeit und existenziellen Fragen des menschlichen Lebens beschäftigen. „Es ist sinnstiftend, in einer Kirche zu spielen. Wir schaffen Bilder, wo es sonst eher wortlastig zugeht“, sagt Ingrid Widerhold. Erster fester Spielort ist – passenderweise – die Kirche der Aachener Jesuiten St. Alfons; die ersten Stücke, die sie spielen, sind Jesuitendramen. Als Kloster und Kirche geschlossen und entwidmet werden, ist „Theater Ludus“ zunächst heimatlos und beginnt dann wechselnde Kirchen in Aachens Innenstadt zu seiner Bühne zu machen. Dabei kämpft die Gruppe mit sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen. So brauchen die Theaterleute in der Citykirche, in der sie schon häufiger aufgetreten sind, stets Bühnenelemente, damit ihr Spiel auch bis in die hinteren Reihen sichtbar ist. An ihrem nächsten Spielort, St. Fronleichnam im Aachener Ostviertel, ist das nicht nötig. „Hier haben wir einen Altarberg und herrlich weiße Wände, um mit entsprechender Beleuchtung einen tollen Rahmen zu erzeugen. Dafür ist der Hall hier eine echte Herausforderung“, fasst Ingrid Wiederhold zusammen.

 

Theater im besten Sinne, das immer wieder zur Auseinandersetzung anregt

Eine Herausforderung ist auch das Stück, das „Theater Ludus“ hier im Rahmen der Nacht der offenen Kirchen am 20. Oktober aufführen wird: „Die Goldberg-Variationen“ von George Tabori, mit denen es im Frühjahr bereits in der Citykirche war. Bei dem ein oder anderen Zuschauer aus dem kirchlichen Umfeld, sind sich Schauspieler und Regisseurin sicher, werden sie damit anecken. Geht das Stück rund um ein Theaterensemble in Jerusalem, das Szenen aus der Bibel auf die Bühne bringt, doch nicht immer zimperlich mit der Vorlage um. „Der Jude Tabori begreift die triumphale Niederlage des Juden Jesus am Kreuz als wunderbar komische Geburt der Religion aus dem Geist des Theaters. Gott führt Regie. Aber Jesus rettet die Premiere“, hat Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier das 1991 uraufgeführte Stück einmal beschrieben. Theater, das zur Auseinandersetzung anregt, Theater im besten Sinne also. Dass so etwas im Bistum Aachen möglich ist, man ihm ein solches Maß an Freiheit, sich auszuprobieren, zugesteht, dafür ist das Ensemble dankbar. „Es gab nie Korrekturen im Vorfeld, obwohl es manchmal sicher auch für andere eine Zumutung war und ist“, sagt Axel Wiederhold, Ehemann der Spielleiterin, langjähriger Bistumsmitarbeiter und selbst Ensemblemitglied. Aber das müsse manchmal sein, um Menschen ins Nachdenken zu bringen. Da passe „Goldberg“ als Auseinandersetzung auch mit deutscher Vergangenheit gut. Bert Voiss, der im Stück den Regisseur Mr. Jay spielt, der auch Gott ist, ist froh, „dass wir dieses religionskritische Stück hier in St. Fronleichnam spielen dürfen“. Das sei mutig von den Verantwortlichen in der Pfarrei. „Das Stück ist auch eine persönliche Auseinandersetzung damit, was das mit mir macht, was ich sage, wie man mir begegnet. Da bin ich als Mensch gefordert“, sagt Irmgard Vogel, die im Stück den Juden Goldberg spielt. Das arbeite in ihnen und auch ihrem Publikum. Wie so viele ihrer Stücke. Man tanke in der Theaterarbeit ganz viel, aber sie verlange auch viel, sind sich die Ensemblemitglieder, allesamt Amateure mit Theaterleidenschaft, einig. Das liegt nicht zuletzt auch an ihrer Regisseurin, die sie fordert, aber ihnen auch Möglichkeiten bietet, sich selbst in das jeweilige Stück und ihre Rolle einzubringen.

 

Bei Straßentheaterprojekten ganz direkt mit Leuten in Interaktion kommen

Zum Repertoire des „Theater Ludus“ zählen ganz unterschiedliche Stücke. So hat die Gruppe in den letzten Jahren unter anderem den „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal gespielt, eine hochdeutsche Fassung von „Der Brandner Kasper und das ewig’ Leben“ und „Hanneles Himmelfahrt“, Schauspiel und Totentanz nach Gerhart Hauptmann und Hugo Distler. Als nächstes steht Goethes „Faust“ auf dem Plan. An „Hannele“ denken die Schauspieler besonders gerne zurück. „Wir haben dabei mit einem Chor zusammengearbeitet, das war schon sehr beeindruckend. Eine ganz andere Ausdrucksform, die aber gut gepasst hat“, erzählt Bert Voiss. Erfahrungen, die nachklingen, verbindet die Gruppe auch mit ihren Ausflügen ins Straßentheater: „Das Abendmahl“ nach Leonardo da Vinci (2013), „Unser täglich Brot – für die Tonne?“ (2014) und „Sara und Abraham“ zur Aachener Heiligtumsfahrt (2014). „Das war toll, an Orte zu gehen, wo Menschen sind, und mit ihnen in Interaktion zu kommen“, sagt Ingrid Wiederhold, die das zu einem passenden Thema gerne nochmal machen würde. Die Reaktionen des Publikums seien dabei noch einmal besonders unmittelbar. „Als wir mit Sara und Abraham in der Stadt unterwegs waren, haben einige irritiert geguckt und andere haben sofort gesagt, das ist biblisch.“ Überhaupt, ihr Publikum. Das trage sie und auch, wenn es immer wieder mal kritische Stimmen gebe, sei das Echo doch überwiegend positiv. Wie das bei „Goldberg“ zur „Nacht der offenen Kirchen“ ausfallen wird, darauf sind sie schon jetzt gespannt. „Die Goldberg-Variationen“ sind zu sehen im Rahmen der „Nacht der offenen Kirchen“ in Aachen, am 20. Oktober, 20 Uhr, in St. Fronleichnam an der Leipziger Straße.

Mehr zu Ingrid Wiederholds Arbeit und zum „Theater Ludus“ gibt es im Internet unter: www.theaterpaedagogik-wiederhold.de.

Spiel im Spannungsfeld (c) Hermann-Josef Polzin
Spiel im Spannungsfeld (c) Andrea Thomas
Spiel im Spannungsfeld (c) Hermann-Josef Polzin