„Bitte nehmen Sie die Kappe ab!“ Ein sicherer Blick, ein freundlicher Hinweis, und schon hat der junge Mann seine knallbunte Kopfbedeckung in der Hand und schaut ein wenig verunsichert.
Willi Radel, Organisator des Domschweizer-Dienstes, nickt ihm zu, der Aachener Dom, den jährlich rund 1,3 Millionen Menschen besuchen, ist jetzt bereits ein Erlebnis für den Mann mit der Mütze, der staunend unter den funkelnden Mosaiken in Richtung Hauptaltar wandert.
Domschweizer und Domschweizerinnen haben ein Auge auf die Menschen, die zeitweise in großen Gruppen in den Dom drängen. Das ist Konzentrationsarbeit pur, es gilt, die Würde und Sicherheit des Ortes zu bewahren. Und sie bieten eine Form von Gastlichkeit, denn an sie wendet man sich spontan, wenn Fragen auftauchen – zum Dom („Ist der wirklich so alt?“), zur Beichtmöglichkeit, überhaupt zur Tatsache, dass hier Gottesdienste gefeiert werden – kein Museum, immer noch lebendiges Glaubensleben. „Wir verweisen natürlich auf Domführungen, aber ein paar Details wissen wir auch“, betont Irmgard Vogel, eine von inzwischen vier Domschweizerinnen. Erst seit kurzem ist dieser Bereich keine Männerdomäne mehr.
Rund sechs Stunden pro Einsatz ruhig und konsequent bleiben, sämtliche Schlüssel verwalten, die Abläufe der Gottesdienste begleiten – das fordert alle Sinne. Sogar das Läuten der Freitagsglocke um 15 Uhr kann Pflicht der Schweizer sein, falls der Küster nicht da ist. Doch es gibt Probleme: Von 16 Aktiven werden demnächst einige nicht mehr dabei sein, weil sie das entsprechende Alter von 75 Jahren erreicht haben, mit dem jeder Kirchendienst endet, ein Verlust, der die Planung von Organisator Radel sehr erschwert, denn täglich von 7 bis 13 Uhr, von 13 bis 18 Uhr, an Wochenenden bis 19 Uhr und zu Sonderzeiten bei bestimmten Ereignissen ist Bedarf.
„Wir können nur Frauen und Männer dringend ermutigen, sich für uns zu interessieren“, betont Radel. „Eine wirklich schöne Aufgabe“, ergänzt Irmgard Vogel, die einstige Lehrerin. „Selbst nach zwei Jahren entdecke ich noch immer Neues.“ Und die schwere festliche Kleidung wird nur bei besonderen Anlässen wie dem Karlsfest am 28. Januar getragen. Heute sind alle modern und praktisch gekleidet. Die warme Weste gegen die Zugluft gehört dazu.
Die Suche nach Bewerbern ist mühsam – dabei bieten sich interessante Einsatzbereiche und sogar ein Entgelt. „Man ist in einer Gruppe, die zusammenhält, in der man sich gut und sicher fühlt“, nickt Irmgard Vogel. Gute Erinnerungen nimmt gleichfalls Erhard Sickert mit, der kürzlich altersbedingt Abschied nehmen musste. „In zehn Jahren habe ich eine Menge erlebt, auch einige sehr schwierige Menschen waren dabei“, berichtet er, der gutgelaunt und eloquent die Besucher empfangen hat. Die Sammelbox, in die man einen Euro für die Fotoerlaubnis werfen soll, steht ganz vorn, dort, wo man nach der Chorhalle den Dom betritt, sozusagen unter Beobachtung der Domschweizer. „So schön finden wir das nicht, aber die Spenden sind wichtig“, meint Radel, der für angehende Kollegen ein umfangreiches Programm zur Einarbeitung entworfen hat.
Die Neuen tasten sich Schritt für Schritt heran. Standfest sollte jeder sein, denn nur selten gibt es im Dienst die Gelegenheit, sich einmal hinzusetzen. „Zunächst begleitet man die Kollegen eine Weile, das ist bereits spannend“, erklärt Radel. Wer sich im Schweizerzimmer mit entsprechender Kleidung vorbereitet hat, darf in die Geheimnisse des Doms vordringen – und staunen, denn vom Hauptportal über das Oktogon, die Kapellen rundum, die Chorhalle mit den Schreinen, Hochmünster, Sakristei, Steuerungstechnik bis zur Domschatzkammer sind wachsame Augen gefragt –, das beginnt beim morgendlichen Öffnen zur Sieben-Uhr-Messe und geht bis zur Domschließung am Abend.
„Die Kerzenständer müssen regelmäßig gereinigt werden, das gehört zur Sicherheit“, beschreibt Irmgard Vogel Alltägliches, das gar nicht auffällt. Das ab und zu bei ansteigendem Lärmpegel ertönende „Schschscht“ wird nur in Notfällen eingesetzt. Wirkt aber.
Am liebsten haben es Domschweizerinnen und Domschweizer, wenn der Dom nicht allzu voll ist, sie die einzelnen Gäste noch unterscheiden können. „Hunde und Katzen sind nicht erlaubt, aber immer wieder versuchen Leute, das zu unterlaufen, sind empört“, beschreibt Erhard Sickert eine Situation, in der ein Vierbeiner einfach in den Kinderwagen gepackt wurde oder im Baby-Tragetuch versteckt war. Bei Medizinischen Begleithunden ist das anders, sie dürfen und sollen mit.
Geht gar nicht: lautes Schwadronieren und Lachen, Fast Food und Getränke sowie Kleidung, die den Dom-Schützern auffällt – Männer in Muscle-Shirts – da werden sie aufmerksam, zu viel nackte Haut. Was tun? „Wir bitten solche Besucher in die Vorhalle und fragen, ob sie eine Jacke oder einen Pullover im Rucksack haben“, erklärt Radel. Wenn nicht, dürfen diese Gäste den Dom nur von außen betrachten.
Was ist schön an dieser Aufgabe? Stets wechselnder Kontakt zu internationalem Publikum, Zusammenarbeit mit dem Bistum Aachen, Dompropst Rolf-Peter Cremer, allen Priestern, Messdienern und nicht zuletzt mit denen, die für Musik und Chorgesang sorgen.
Wenn bei bestimmten Anlässen sogar das große bronzene Portal geöffnet wird, müssen Domschweizer und ihre Kolleginnen zweieinhalb Tonnen Bronze bewegen, stets ein großer Moment. „Und ein schöner“, versichert Irmgard Vogel. Überraschungen gibt es täglich – zuletzt eine Artisten-Gruppe vom Zirkus „Roncalli“, alle in Kostümen und geschminkt. „Das war schon eigenartig, so ein Clown im Dom“, erinnert sich Radel. „Aber sie waren sehr nett und wirklich ehrfürchtig.“
Frauen und Männer, die sich für die Domschweizer-Gruppe interessieren (sie müssen nicht katholisch sein), melden sich bei der Verwaltung, Günter Schulte, per Email guenter.schulte@dom.bistum-aachen.de oder rufen dort an, Rufnummer 0241/47 70 91 20.