Sich selbst kritisch hinterfragen

Das dritte interreligiöse Wohnzimmergespräch hat sich mit Rassismus im religiösen Kontext beschäftigt

Plakatmotiv der interkulturellen Woche 2013, das an Aktualität nicht verloren hat. (c) Interkulturelle Woche
Plakatmotiv der interkulturellen Woche 2013, das an Aktualität nicht verloren hat.
Datum:
2. Nov. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 44/2022 | Andrea Thomas

Interkulturelles und interreligiöses Miteinander zwischen der katholischen, evangelischen und muslimischen Gemeinde hat im Aachener Ostviertel Tradition. Als in der Pandemie die interkulturellen Spaziergänge durchs Viertel nicht möglich waren, entstand das interreligiöse Wohnzimmergespräch als Online-Format. So erfolgreich, dass es auch 2022 fortgesetzt wurde.

Thema der interkulturellen Woche, in deren Rahmen das Gespräch stattfand, war in diesem Jahr „#offen geht“. Es ging darum wegzukommen von Schubladendenken, Klischees und Vorurteilen, die mit zu strukturellem Rassismus beitragen, hin zu mehr Offenheit im Umgang miteinander und zu einer selbstkritischen Reflexion des eigenen Denkens und Handelns.

Die wenigsten möchte gerne Rassisten sein, doch niemand ist völlig frei davon. Immer wieder müssen wir unsere eigenen Denkmuster hinterfragen, so die Erkenntnis des Wohnzimmergesprächs, das die Werkstatt der Kulturen Aachen – diesmal sowohl mit Live-Publikum als auch als Videoübertragung im Internet – organisiert hatte. Unter der Überschrift „Rassismus und Diskriminierung im religiösen Kontext“ hatten sich in der Bibliothek der Yunus-Emre-Moschee versammelt: Pfarrer Hans-Christian Johnsen, Evangelische Kirche Eilendorf, Pfarrer Ruprecht van de Weyer, katholische Gemeinde St. Fronleichnam, Imam Mehmed Jakubovi´c, bosnische Gemeinde Aachen-Einlendorf und Fatih Bahadir Kaya, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Antidiskriminierungsstelle Ditib. Die Moderation hatte Pfarrer Erik Schumacher vom Diakonischen Werk im Kirchenkreis Aachen, dem Träger der Werkstatt der Kulturen.

Den Einstieg ins Thema übernahm Norbert Frieters-Reermann, Professor an der Katholischen Hochschule Aachen, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Beschäftigung mit dem Thema Diversität, Rassismus, Diskriminierung und Migrationsgesellschaft gehört. In seinem Impulsvortrag warf er die Frage auf „Was ist eigentlich Rassismus?“ Eine Antwort gibt die Definition von Birgit Rommelsbacher, die seit den 80er Jahren zum Thema forscht. Sie beschreibt Rassismus „als ein System von Diskursen und Praktiken, die historisch entwickelte, aber auch aktuelle Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren“. 
Das geschehe auf Basis von vier Wirkmechanismen: Naturalisierung (Charaktereigenschaften, Verhaltensweisen, Fähigkeiten usw. werden als biologisch festgeschrieben), Pauschalisierung (es wird unterstellt, dass alle Mitglieder, auf die das zutrifft, auch alle gleich sind), Polarisierung (die einen haben diese Merkmale, die anderen nicht) und schließlich eine Hierarchisierung, die einer Gruppe Rechte und Teilnahmemöglichkeiten zuspricht und einer anderen nicht.

„Rassismus ist mehr als ein individuelles Verhalten, Gesinnung oder Praxis. Rassismus ist zutiefst in den Verhältnissen in unserer Gesellschaft verankert.“ Zu betrachten und zu benennen gilt es die tieferliegenden Kulturen und Strukturen des Rassismus. Die seien vielen Menschen gar nicht bewusst, erklärt Norbert Frieters-Reermann. Religion könne missbraucht werden, zu Rassismus beizutragen, aber sie könne immer auch Friedensstifter sein. Es ist eine permante Lebensaufgabe, eine kritische Selbstreflexion zu betreiben, auch in Bezug auf die eigene Religion. „Wenn wir das ernst nehmen, fangen wir bei uns selber an.“

Das kann auch die Gesprächsrunde nur bejahen. Die Teilnehmer berichten von Rassismuserfahrungen aus ihrem Umfeld, die dazu anregten, die tieferliegenden Mechanismen aufzudecken und zu hinterfragen. Fatih Bahadir Kaya beschreibt zum Beispiel, wie der 11. September die Wahrnehmung von Muslimen verändert und zu einer starken Pauschalisierung geführt habe. Der erste Schritt sei, sich selbst bewusst zu machen: „Was passiert da eigentlich, welchem Narrativ folge ich da?“, sagt Pfarrer Schumacher. Die Ursachen reichen oft weit zurück, sind tief in unserer Kulturgeschichte verwurzelt. Was könnten wir tun? Wir sollten die Vielfalt zwischen den Religionen als Stärke nutzen, sagt Fatih Bahadir Kaya. „Es ist die Aufgabe religiöser Menschen, um die Wahrheit zu ringen. Daraus entsteht Dialog.“ Etwas, wo man in Aachen-Ost schon auf einem guten Weg ist.