So berichtet Nermin Ermis vom Verein Goldrute von einer aus Syrien geflüchteten Frau, die sich schutzsuchend auf den Boden warf, als ein Hubschrauber über Düren flog. Niemand weiß, welch schwierigen Wege Geflüchtete hinter sich haben, welches Leid sie schon in ihrer von Krieg oder Not geplagten Heimat erlitten haben. „Frauen werden als Waffe genutzt, sie werden vergewaltigt oder Opfer von Sklaverei“, weiß Nermin Ermis aus ihrer täglichen Arbeit. Die Beratung und Unterstützung von gewaltbetroffenen und traumatisierten Flüchtlingsfrauen ist eine Aufgabe des Vereins Goldrute und des Migrantinnen-Netzwerks gegen häusliche Gewalt. In Zusammenarbeit mit dem Verein „Frauen helfen Frauen“ und dem Caritasverband für die Region Düren-Jülich wurden unter anderem Ehrenamtler, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, geschult, Anzeichen einer Traumatisierung zu erkennen, Frauen sensibel zu betreuen und Brücken zum bestehenden Hilfesystem zu bauen. Unterstützung gibt es vom NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration.
Aktuell arbeitet Goldrute mit der Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörde Düren zusammen, um Flüchtlingsfrauen den Besuch von Selbstverteidigungskursen zu ermöglichen. Auch mit „Frauen helfen Frauen“ wird weiter kooperiert. Die Arbeit kennt keine religiösen und kulturellen Grenzen, im Vorstand sitzen Christinnen ebenso wie Muslima. „Gewalt gegen Frauen macht keine Unterscheidungen nach Herkunft oder Glaubensbekenntnis“, sagt Jadigar Kesdogan. Die Ärztin ist Vorsitzende des Vereins Goldrute.
2017 wurden bislang 56 traumatisierte Flüchtlingsfrauen beraten. In den Gesprächen kann der Verein auf die eigenen Wurzeln zurückgreifen: die Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen Migrantinnen. Neben der Beratung und Unterstützung von Flüchtlingsfrauen ist dies nach wie vor eine der Hauptaufgaben. Als Bindeglied zwischen Ehren- und Hauptamt fungiert das von Goldrute als Förderverein unterstützte Migrantinnen-Netzwerk. „Wir kennen viele Hilfs- und Beratungsstellen sowie Mediziner und Therapeuten“, erklärt Parrie Kadir, die ehrenamtlich viel Zeit investiert. Die zwölf Beraterinnen aus acht verschiedenen Ländern und Kulturkreisen beherrschen zusammen 14 Sprachen. „Viele haben selbst eine Migrationsgeschichte oder sind aus einem Land geflohen“, sagt Beraterin Arzu Gürgoz. Das erleichtere es vielen Geflüchteten und Migrantinnen, schneller Vertrauen zu fassen.
„Unsere Brückenbauerinnen sind alles gestandene Frauen, die den Gedanken der Emanzipation vorleben und andere Frauen stärken wollen“, fügt Jadigar Kesdogan hinzu. Der Alltag ist oft mit dem Bohren dicker Bretter verbunden. Meist empfinden von Gewalt betroffene Frauen Scham und Angst. Oder sie wissen nicht, an wen sie sich wenden können, kennen ihre Rechte nicht. So berichten die Beraterinnen beispielhaft von einer jungen Frau, die zwar lange in Düren lebte, aber nie viel von der Stadt gesehen hatte. Mehrere Generationen der Familie ihres Ehemannes wohnten unter einem Dach, die Frau wurde von der Außenwelt isoliert und Opfer von häuslicher Gewalt. „Sie durfte nur raus, wenn ihr Mann dabei war“, berichtet Nermin Ermis. Was in den eigenen vier Wänden geschah, blieb dort verborgen. Lange Zeit. Erst das Eingreifen einer Verwandten, die nicht im gleichen Haus wohnte, brachte die Frau dazu, Hilfe zu suchen. Der Weg führte sie zu den Beraterinnen des Migrantinnen-Netzwerks. Die Mitglieder vermitteln Hilfsangebote, überwinden Sprach- und Kulturbarrieren, suchen den Kontakt zu anderen Organisationen, begleiten die Opfer bei Behördenbesuchen, zur Polizei und zu Gerichtsterminen und helfen bei der Wohnungssuche. „Gemeinsam lassen sich Mauern der Gewalt und der Bedrohung überwinden“, sagt Nermin Ermis. Der erste Schritt sei meist ein Treffen mit Netzwerk-Mitgliedern – auch im Geheimen. Und der erste Schritt ist oft der schwierigste. „Keine Frau muss diesen Weg alleine gehen“, betont Jadigar Kesdogan.
weitere Info unter www.goldrute-ev.de