Selbstverpflichtung

Für die Oblaten des Hl. Franz von Sales steht seit 2010 das Thema „Umgang mit Missbrauch“ regelmäßig auf der Agenda

Die Oblaten des Hl. Franz von Sales war in der Nachkriegszeit bis 2018 Träger des Gymnasiums Haus Overbach. Früher gehörte hierzu auch ein Internat. (c) Olaf Kiel
Die Oblaten des Hl. Franz von Sales war in der Nachkriegszeit bis 2018 Träger des Gymnasiums Haus Overbach. Früher gehörte hierzu auch ein Internat.
Datum:
25. Okt. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 43/2023 | Dorothée Schenk

2010 erlangten Haus Overbach in Barmen und der Orden der Oblaten des Hl. Franz von Sales bundesweit Aufmerksamkeit. Die Deutschsprachige Provinz ging aus eigenem Antrieb mit der Nachricht in die Öffentlichkeit, dass es im Internat und zugehörigem Gymnasium, deren Träger der Orden war, zu sexuellem Missbrauch gekommen ist; lange ehe ein Missbrauchsgutachten überhaupt vorstellbar gewesen wäre.
Ein Gespräch mit Pater Provinzial Josef Költringer.

Ein so frühes und offenes Bekenntnis zu Missbrauchsfällen ist ungewöhnlich.
Zu unserer Geschichte gehört es, dass wir immer relativ ehrlich und offen waren. Wir haben eigentlich nie versucht etwas zu verstecken, weil es uns um die Opfer gegangen ist und nicht um die Täter.
Aber ich bin auch sehr vorsichtig mit meinem Urteil: Ich habe die Sorge, dass Vorfälle uns nicht bekannt sind und Betroffene sich missverstanden fühlen könnten.
Wir sind sensibilisiert, aber es gibt eben auch Fälle, die noch nicht abgeschlossen sind.

Stichwort Sensibilisierung. Wie kann sie gelingen?
Wir führen fort, was wir schon in den vergangenen Jahren begonnen haben: Missbrauch wird in den Gemeinschaften aktiv zum Thema gemacht.
Es gibt eine niedergeschriebene Verhaltensregel, ein Papier, das alle Ordensbrüder unterschrieben zurückgeben mussten. Hier wird unsere Haltung klar formuliert, mit der Verpflichtung, dass – wenn Vorfälle, ob es sich um körperlichen oder auch geistlich-geistigen Missbrauch handelt, bekannt sind – wir keinen Mitbruder durch Totschweigen schützen. 

"Der Fokus lag immer auf den Opfern."

Wie kommt es zu so einer Selbstverpflichtung?
Bevor ich 2009 aus Indien zurückgekehrt bin, bin ich auf den Philippinen das erste Mal ganz intensiv auf dieses Problem des Machtmissbrauchs und auch des Kindermissbrauchs aufmerksam gemacht worden.
Ich habe mit Verantwortlichen der Diözese gesprochen, bin aber auch relativ wenig Gehör gestoßen, weil die meisten ihre eigenen Priester verteidigt haben. Ich war damals noch Generalmissionsdirektor des Ordens. Zu dieser Zeit haben die Generalobere die Initiative ergriffen und in Amerika ein Coaching abgehalten, bei dem uns Psychologen zum Perspektivwechsel gebracht haben.
Sie haben uns von einem Tag auf den anderen geholfen, nicht mehr das Augenmerk auf den Täter, sondern auf die Opfer zu legen. Dieser Umschwung war wesentlich.

War dieses „Coaching“ einmalig?
Die Generaloberen haben die amerikanischen Experten, unter denen auch Jesuiten waren, zu uns nach Europa gebracht.
Alle Ordensoberen sind dann zusammengekommen und haben an Kursen teilnehmen müssen. Der Fokus lag immer auf den Opfern.

12 Jahre lang war Pater Josef Költringer im Kloster Haus Overbach. (c) privat
12 Jahre lang war Pater Josef Költringer im Kloster Haus Overbach.

Können Sie den Haltungswechsel kurz erläutern?
Wir hatten zunächst immer Mitleid mit den Mitbrüdern, die Täter geworden waren. Das muss man sich vorstellen, wie in einer Familie, wo man sich vor Bruder oder Schwester stellt. Wir haben in den Kursen lernen müssen, dass wir den Fokus nurmehr auf die Opfer richten und überlegen: Was ist der beste Weg? Wie kann ich diesem Opfer helfen, dass das, was passiert ist, aufgearbeitet werden kann?

Wie müssen sich Außenstehende das konkret vorstellen?
Wenn ein Fall von Missbrauch bekannt wird, bringen wir es bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige und informieren die Kirchenleitung, also den Bischof. Der Orden hat den Mitbruder dann meist in ein Kloster versetzt, wo er keinen öffentlichen Aufgaben mehr nachgehen durfte. Sobald eindeutig feststand, dass eine Tat vorlag, durften wir schon aus moralischen Gründen dem Mitbruder nicht mehr erlauben, dass er Gottesdienst feiert und mit den Menschen von der Liebe Gottes spricht.
Allerdings gab es auch Fälle, dass Ermittlungen in Verfahren bei noch lebenden Tätern keine Ergebnisse erbracht haben. Wo man gesagt hat: Da muss eine Verwechslung vorliegen. Das kann er nicht gewesen sein.

Fußend auf welchen Fakten?
Wenn beispielsweise klar war, dass der Bruder sich zum angegebenen Tatzeitraum an einem anderen Ort aufgehalten hat. Wenn es hier zu keinem Ergebnis kommt, wird man den Pater wieder in der Seelsorge einsetzen.

Der Orden hat Missbrauchs-Opfer entschädigt. 2011 gab es noch keine Maßstäbe.
Wir haben, soweit ich es weiß, zuerst vor allem die Kosten der Aufarbeitung, der Therapie bezahlt, Gespräche mit einem Unabhängigen – Mann oder Frau –, der entweder aus dem Bereich Sozialpädagogik oder Psychologie kam.
Wir haben versucht zu erfahren, was die adäquate Hilfe für den Einzelnen sein könnte und uns bemüht, dem auch gerecht zu werden. Dann haben wir uns bei kirchlichen und gesellschaftlichen Institutionen erkundigt, wie ein finanzieller Ausgleich aussehen könnte: Die Klasnic-Kommission in Wien hat uns dabei geholfen. Über diese Kommission hat man sich herangetastet, welcher Betrag angemessen sein könnte – auch wenn ein Missbrauch finanziell nie auszugleichen sein wird.

Vielen Dank, Pater Költringer, für das offene Gespräch.