Glaube ist meist etwas sehr Persönliches. Wer glaubt, dem geht Gott „unter die Haut“. Auch Tattoos sind Ausdruck von Persönlichkeit, von der Suche nach sich selbst, die nicht nur sprichwörtlich unter die Haut gehen. Es gibt noch mehr Gemeinsames.
Timotheus Eller, katholischer Pfarrer an der ökumenischen Citykirche, Literaturwissenschaftler Stefan Wieczorek und der Autor und Theologe Paul-Henri Campbell gaben Einblicke in das „Grenzland von Religion, Poesie und Tattoos“. „Menschen sind auf der Suche nach tragfähigen Bildern und Zeichen, die ihr Auf-dem-Weg-Sein veranschaulichen“, beschreibt Wieczorek. Literatur und Poesie können eine Ausdrucksform sein – eine andere, sich den Namen eines geliebten Menschen, ein Zitat oder auch ein Zeichen für das, woran man glaubt, auf den Körper schreiben oder zeichnen zu lassen.
Manchmal verbindet sich auch beides, wie bei dem Gedicht „Honger“ (Hunger) von Maarten Inghels. Es besteht aus elf Zeilen, die sich elf Menschen haben als Tattoo stechen lassen. Nur wenn alle zusammenkommen, ist das Gedicht komplett. Etwas Ähnliches hat Tattoo-Künstler Mikael de Poissy im Sinn, der sich von den Glasfenstern der großen französischen Kathedralen inspirieren lässt und unter anderem einer Gruppe Menschen jeweils einen Fensterausschnitt auf den Rücken tätowiert hat. Er ist einer von 16 Menschen, mit denen sich Paul-Henri Campbell für sein Buch „Tattoo & Religion“ unterhalten hat, aus dem er auch in Aachen erzählt.
Die Tradition christlicher Tattoos reicht weit zurück bis ins frühe Mittelalter. Für koptische Christen waren sie Erkennungszeichen in der Diaspora, für Pilger ein Nachweis für ihre Wallfahrt nach Jerusalem oder Santiago de Compostela, für viele Kreuzfahrer die Möglichkeit, stets und besonders im Falle ihres Todes ein Kreuz bei sich tragen zu können. Christliche Mystiker wie Heinrich Seuse und die selige Christina von Stommeln trugen die Leidenszeichen Jesu als Tätowierungen am Körper. Aus dem Wort Stigma lässt sich nicht von ungefähr auch die Bedeutung „stechen“ ableiten.
Für Timotheus Eller lag der Reiz des Themas auch darin, über den Abend zwei auf den ersten Blick fremde Welten zu verbinden, Menschen das Gefühl zu geben: Auch für sie interessiert sich Kirche. Für die Ankündigung des Abends hatte er sich bewusst für das Bild eines tätowierten Christus entschieden, was ihm einige heftige Diskussionen eingebracht habe, wie er erzählt. „Aber wenn einer so gelebt hat, dass es unter die Haut geht, dann Jesus.“ Und er sieht noch eine Verbindung zur Religion: Wie auch Seelsorger seien Tätowierer nah dran an den Menschen, hörten viel und hörten zu, oft bei sehr persönlichen Themen.
Paul-Henri Campbell: Tattoo & Religion. Die bunten Kathedralen des Selbst. 192 Seiten, Verlag das Wunderhorn, Heidelberg 2019, Preis: 29,80 Euro