Sehen und angenommen sein

Ostern ist das Fest, um in Beziehung mit Christus zu treten, die Hoffnung gibt

(c) Thomas Hummel/ CC BY-SA 4.0 (via wikimedia commons
Datum:
4. Apr. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 14/2023

Liebe Leserin lieber Leser,
wenn zu Ihnen jemand käme und sagt: „Ich habe den Herrn gesehen“,
wie würden Sie reagieren?

„Die Frauen am Grabe“ ist das Motiv einer der Bodenplatten des Barbarossaleuchters im Aachener Dom. (c) Foto: Domschatzkammer Aachen
„Die Frauen am Grabe“ ist das Motiv einer der Bodenplatten des Barbarossaleuchters im Aachener Dom.

 Ich bin mir sicher, ich würde interessiert fragen: „Und, wie war er? Wie sieht er aus? Erzähle!“; und das nicht aus purer Neugier, sondern aus brennendem Interesse. Von dieser menschlichen Reaktion ist in den Oster-erzählungen kaum etwas zu spüren. 
Was gäben wir wohl darum, Jesus nur ein einziges Mal sehen zu können!

Dabei bin ich mir sicher, jede und jeder von uns hat seine Vorstellung von Jesus, dem Christus, wie er mir vor Augen steht, welche Gesichtszüge ihn prägen. Seine Frage an die Jünger „Für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15), die uns bei den Heiligtumsfahrten im kommenden Juni in Aachen und Kornelimünster begleiten wird, kann uns auch im Hinblick auf den österlichen Herrn zum Nachdenken anregen.

Welches Osterbild haben Sie vor Augen?
Über die äußere Gestalt des auferstandenen Christus hüllen sich die Ostererzählungen eigentlich in respektvolles Schweigen. Während die Osterzeuginnen und -zeugen davon sprechen, dass sie den Herrn gesehen haben, heißt es von Jesus nur: Er kam hinzu, er trat in ihre Mitte, er ließ sich sehen, er entzog sich ihren Blicken, er erschien, oder: Gott hat ihn erscheinen lassen. Dahinter steht die Glaubenseinsicht, dass die Auferstehung nicht einfach eine Rückkehr des irdischen Jesus ist, sondern eine tiefgehende Verwandlung. Den Gottessohn Jesus können wir uns als Mensch von seiner Geburt bis zu seinem Begräbnis vorstellen, wir dürfen ihn abbilden. Aber der Auferstandene lässt das im Grunde nicht mehr zu. Kein Bild genügt mehr. Denn jede künstlerische Darstellung verstellt mehr, als sie anschaulich macht. 

Der letzte Satz des Osterevangeliums ist formuliert: „Ich habe den Herrn gesehen“, bezeugt Maria von Magdala vor den Jüngern. „Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte“ (Joh 20,18). Es zählt allein, wie Jesus mit seinen Freundinnen und Freunden in Kontakt tritt. Er ruft sie beim Namen. Und das bedeutet biblisch: Ich kenne dich von Grund auf, und du kennst mich. Stets beginnt Vertrautheit damit, einander beim Namen zu nennen.

Die Stimme macht dabei viel aus. Sie übermittelt Gefühle, Stimmungen, Absichten. Eltern betonen beispielsweise den Namen ihrer Kinder oft je nach Situation ganz unterschiedlich. Die Stimme, die meinen Namen ruft, sagt oft genug. Der Auferstandene spricht. Was er zu sagen hat, das weckt in den Enttäuschten die Lebensgeister.  Denn sie verspüren Mut. „Geh und verkünde“, das wirkt wie ein Kompass und macht Sinn. Vertieft wird das gegenseitige Vertrauen, indem man miteinander isst und trinkt; da beginnen „die Herzen zu brennen wie bei frisch Verliebten“. Hier haben wir auch eine Verbindung zur dritten Heiligtumsfahrt unseres Bistums. In Mönchengladbach wird das Abendmahlstuch in diesem Jahr unter dem Motto „Verwoben“ verehrt.

 

Dompropst Rolf-Peter Cremer (c) Dorothée Schenk
Dompropst Rolf-Peter Cremer

Und schließlich der Blick auf die Wunden des Auferstandenen, von denen uns das Evangelium berichtet: Wenn ich bereit bin, einem oder einer anderen meine Blöße, meine Verletzlichkeit, meine Wunden zu zeigen, dann vertraue ich ohne Vorbehalt. Der Auferstandene tut es, an seinen Wunden wird er ganz und gar erkannt. Diese Wunden erinnern nicht nur an das Kreuz, sie deuten den Tod Jesu und seinen Lebenseinsatz im neuen Licht. Für mich rückt der Blick des leidenden Christus im Aachener Friedenskreuz daher auch nahe an meine Vorstellung vom auferstandenen Herrn heran. Aus Anlass der Entstehung vor 75 Jahren lud es im vergangenen Jahr an verschiedenen Stellen im Bistum erneut zum Nachdenken und Gebet ein. Denn auch in der Auferstehung ist das Kreuz nicht wegzudrängen. Das 150 Kilo schwere Eichenholz, in dessen Mitte das Gesicht des leidenden Christus zu sehen ist, entstand 1947 auf Initiative von Krefelder Kriegsheimkehrern. Auf zahlreichen Schweigemärschen, Bußgängen und Wallfahrten im In- und Ausland kam es hauptsächlich bis in die 1960er Jahre zum Einsatz, um ein kraftvolles Zeichen für Frieden und Völkerverständigung zu setzen. 

Immer wieder schaue ich in sein Gesicht auf diesem Kreuz, wenn ich im Kreuzgang unseres Doms daran vorbeikomme. Der Auferstandene, der den Jüngern den Frieden wünscht, gibt uns den Auftrag für den Frieden in den Kriegsgebieten unserer Welt, für Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, für den Einsatz für Gottes Schöpfung, für Klimagerechtigkeit, für den Einsatz gegen Arbeitslosigkeit. 

Um diesen österlichen Auftrag Jesu wachzuhalten und Menschen einzuladen, mit dem Blick auf Christus Kraft zu schöpfen für das eigene Leben, für den gemeinsamen Auftrag als Christinnen und Christen wird das Friedenskreuz während der Aachener Heiligtumsfahrt in der Nikolauskapelle des Aachener Doms zum Innehalten und Gebet einladen.

Auch wenn wir eine Kreuzesdarstellung, auch wenn wir Gemälde der Auferstehung sehen, so ist Ostern, darin sind sich alle Evangelien einig, nicht wie der Gang in ein Museum, wo man ein Kunstwerk bestaunt. Wer Ostern feiert und dem Gekreuzigten und Auferstandenen nicht innerlich begegnet, der verpasst den Evangeliums-Bezug. 
An die Auferstehung zu glauben, heißt für mich, in eine Beziehung mit Christus einzutreten. Das hat mein Leben verändert. Durch ihn hat es an Tiefe gewonnen, hat einen langen Atem der Hoffnung bekommen. 

Darum ist es für mich nicht nur eine Frage der Gewichtung, sondern tiefe Überzeugung: Ostern ist das höchste Fest, der Glaube an die Auferstehung das orientierende Fundament, das uns jedes Jahr neu geschenkt wird, jeder und jedem persönlich, aber auch uns als Gemeinschaft der Christinnen und Christen.

Deshalb dürfen wir Ostern feiern und vertrauen, dass Jesus in uns und unserer Welt lebt und wirkt und uns den Mut zum Einsatz in der Welt und den Friedensauftrag schenkt. 


Gesegnete Ostern!

 

Rolf-Peter Cremer,
Dompropst und Wallfahrtsleiter der Aachener Heiligtumsfahrt 2023