Segensreich

Weil weniger den Segen nachfragen, geht Thomas Wieners neue Wege.

Für die St. Martins-Züge im pastoralen Raum Wassenberg hat Thomas Wieners (r.) mit Bernd Warten eine Station aufgebaut, an der er segnet. (c) Garnet Manecke
Für die St. Martins-Züge im pastoralen Raum Wassenberg hat Thomas Wieners (r.) mit Bernd Warten eine Station aufgebaut, an der er segnet.
Datum:
19. Nov. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 31/2025 | Garnet Manecke

Thomas Wieners geht in die Hocke, um mit den Kindern auf Augenhöhe zu sein. „Wer möchte den Schokoriegel durchbrechen und wer möchte wählen?“, fragt er. Mika will teilen, seine Schwester Via darf wählen. 

Der Junge nimmt den Riegel und versucht, ihn in der Mitte zu durchbrechen. Das ist schwierig, weil die Süßigkeit mehrere Kerben hat, die Mitte aber nicht in einer Kerbe liegt. Deshalb bricht der Sechsjährige ein größeres und ein kleineres Stück ab. Seine dreijährige Schwester wählt den größeren Teil. Mika ist trotzdem zufrieden, St. Martin hat ja auch nicht gefragt, ob er den größeren Teil seines Mantels hergibt oder den kleineren.

Mika bricht einen Schokoriegel in zwei Teile, von denen sich seine kleine Schwester Via eines aussuchen kann. Seine Eltern schauen ihm dabei zu. (c) Garnet Manecke
Mika bricht einen Schokoriegel in zwei Teile, von denen sich seine kleine Schwester Via eines aussuchen kann. Seine Eltern schauen ihm dabei zu.

Mit einem neuen Format will Pfarrer Thomas Wieners wieder an alte Traditionen erinnern und den Segen stärker ins Bewusstsein der Eltern bringen. Weil auch in Wassenberg die Kirchen immer leerer werden und vor allem junge Familien den Weg in die Kirche oft nicht mehr gehen, kommt Wieners eben zu den Familien. Zum Zug an St. Martin versammeln sie sich und Wieners ist bereit.

Dafür hat Gemeindemitglied Bernd Warten einen besonderen Rahmen für das Bild von St. Martin gebaut, der von innen beleuchtet werden kann. Auf dem Bild ist der Heilige zu sehen, als er gerade seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Eine Woche hat der 71-Jährige dafür in seinem Keller gesägt, gebohrt und geschraubt. Das Bild steht nun neben der Feuerwache in Wassenberg auf einem Regal. Davor liegen Schokoriegel und Clementinen, die Wieners an die Kinder verteilen will.

Die Zeiten, in denen die Kinder vor dem St. Martins-Zug in die Kirche kamen, um die Geschichte zu hören und sich den Segen abzuholen, sind lange vorbei. Das weiß auch Wieners. Aber den Segen zu den Kindern zu bringen, ist ihm wichtig. Auch wenn das mühsam ist. „Es ist nicht mehr gesellschaftlicher Konsens, dass gesegnet wird“, sagt Wieners. „Wir erleben von Jahr zu Jahr einen abbruchartigen Abrutsch der Zahl der Kirchenmitglieder.“

Auch hier ist zu beobachten, dass diejenigen, die zu Wieners gehen, in der Unterzahl sind. Die weitaus meisten kommen nur zum Zug. St. Martin ist an vielen Orten ein Event geworden, dessen Bedeutung sich auf eine kleine Szene mit einem Mann auf einem Pferd an einem großen Feuer und das anschließende Austeilen von mit Süßigkeiten gefüllten Tüten reduziert. Bei vielen Zügen sind die Kinder inzwischen in der Unterzahl, gesungen wird nur noch vereinzelt.

Das ist auch eine Folge davon, dass mit Halloween ein anderes Fest zunehmend beliebter wird und einen festen Platz in den Kalendern von Kindern, Jugendlichen und so manchem Erwachsenen hat. Auf die Frage, was St. Martin bedeutet, antwortet die sechsjährige Efelya: „Weiß ich doch nicht.“ Das Mädchen feiert auch Halloween, weil „das Spaß macht“. Als ihre Mutter Mariola in Efelyas Alter war, kam Halloween in Deutschland gerade auf. „Das war zu meiner Zeit noch ganz wenig“, erinnert sich die 40-Jährige.

Im Alter von fünf Jahren ist Mariola mit ihrer Familie aus Polen nach Deutschland gezogen. „Hier haben wir erst die St. Martins-Tradition kennengelernt“, sagt sie. Auch ihre Mutter Eva Vitorek kannte diese Tradition nicht. „In Polen wird kein St. Martin gefeiert“, sagt die 67-Jährige. Aber Mutter und Tochter haben diese Tradition direkt aufgenommen. Auch der Segen ist ihnen wichtig. Ihr erster Weg führt sie zu Thomas Wieners.

„Diejenigen, die zu mir kommen, denen bedeutet das auch was“, sagt Wieners, der gerade von einigen Kindern umringt wird. „Ihr habt sicher Angst vor Weihwasser, oder?“, fragt er in die Runde, aus der ihm ein lautes „Nein!“ entgegenschallt. Wieners taucht das Aspergill in das Weihwasser und besprengt damit die Kinder, von denen einige ihre Augen schließen. Auch die Laternen der Kinder segnet der Geistliche.

Frustriert es ihn nicht, dass der Segen für viele so wenig Bedeutung hat? „Es geht um jeden Einzelnen“, sagt er. „Jeder ist wichtig, davon bin ich zutiefst überzeugt. Sonst könnte ich das nicht machen.“ Segnen bedeute positive Lebenskraft, Gemeinschaft mit Gott und miteinander.

Gemeinschaftlicher Zusammenhalt ist auch Thema der St. Martin-Geschichte. Dass der Soldat seinen Mantel mit dem frierenden Bettler teilt, ist ein Akt der Barmherzigkeit, der alle Beteiligten weiterbringt: Der Bettler friert nicht mehr, St. Martin hat es auch mit seinem Mantelrest warm.

Gerade den Aspekt des Teilens und die Werte, für die die Geschichte des Heiligen steht, sind Christine und Sascha wichtig. Die beiden sind die Eltern von Mika und Via. Sie haben schon ihre Kinder von Thomas Wieners taufen lassen. Nun schauen sie zu, wie ihr Sohn mit seiner kleinen Schwester den Schokoriegel teilt. Wenn er auch am Ende das kleinere Stück behält, ist der Sechsjährige zufrieden. St. Martin fände er besser als Halloween, sagt der Sechsjährige. „Da kann man ein Foto machen und kriegt einen Weckmann“, ist seine Erfahrung.

Aber bevor es soweit ist, ruft Wieners nochmals die Kinder aus der nun schon deutlich angewachsenen Menschenmenge zu sich. Der Pfarrer spricht ein paar Segensworte und segnet mit dem Weihwasser die kleine Schar um ihn herum. „Diejenigen, die kommen, bei denen ist es den Eltern auch wichtig“, weiß er. Dann packt er das Bild mit dem Regal und die Süßigkeiten wieder ein und geht.