Schutzraum auf Zeit

Krefelder Frauenhaus des SKF vergrößert sich mit einer „Second-Stage“

Einen Schutzraum zu finden, ist der erste Schritt der Gewaltopfer zurück zu einer eigenen Identität. (c) SkF
Einen Schutzraum zu finden, ist der erste Schritt der Gewaltopfer zurück zu einer eigenen Identität.
Datum:
28. Dez. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 01/2020 | Ann-Katrin Roscheck

Zum „Fest der Unschuldigen Kinder“ gedenkt die Kirche des grausamen Mordes an den Söhnen des israelitischen Volkes durch die Schergen von Herodes. Es geht dabei nicht nur um die unfassbare Tat, die die Schwächsten mit dem Leben bezahlen mussten, es geht um Machtmissbrauch. Gleichzeitig ist es eine Mahnung gegen Gewalt und damit auch ein Tag, an dem der Mütter gedacht wird, die dieser Gewalt ebenfalls hilflos ausgesetzt sind.

Martina Müller-West vom Frauenhaus (l.) und SKF-Geschäftsführerin Tanja Himer sind Ansprechpartnerinnen für Frauen in Not. (c) Ann-Kathrin Roscheck
Martina Müller-West vom Frauenhaus (l.) und SKF-Geschäftsführerin Tanja Himer sind Ansprechpartnerinnen für Frauen in Not.

Auch die 25-jährige A. kennt diese Gewalt: Seit ihrem 16. Lebensjahr ist sie mit einem Mann zusammen, der nicht nur sie schlägt und würgt, sondern auch mit psychischer Gewalt ihre Kinder dominiert. Im Krefelder Frauenhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen (kurz SKF) hat die junge Frau bei Martina Müller-West und ihren Kolleginnen einen Schutzraum gefunden, ein Zuhause auf Zeit, das ihr die Möglichkeit gibt, zu heilen und die Kontrolle über ihr eigenes und das Leben ihrer Kinder zurückzugewinnen. „Fast jede dritte Frau auf der Welt ist Übergriffen durch den eigenen Mann oder die Familie ausgesetzt“, beschreibt die Sozial-pädagogin. „Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft. Es ist wichtig, vor diesen versteckten Problemen die Augen nicht zu verschließen.“

Dabei beginnt der Zustand der Haltlosigkeit oft sehr langsam: Wenn das erste Mal die Hand des Mannes ausrutscht, entschuldigt die Frau sein Verhalten. „Das bin ich doch selbst schuld“, oder „Das war sicher ein Versehen“, sind die Ausreden der Partnerin. „Und mit jeder Ohrfeige und Erniedrigung wird die Frau tauber“, erklärt Müller-West. „Oft können nur noch Dritte die Frau dazu bewegen, sich Hilfe zu suchen.“ Über die Polizei oder über Beratungsstellen kommen die Opfer in den Kontakt mit den Frauenhäusern: Bis sie Hilfe zustimmen, sind oft Jahre vergangen, dann aber beginnt sich ein Apparat in Gang zu setzen.

Martin Novak von der Bischöflichen Stiftung „Hilfe für Mutter und Kind“ war in Krefeld vor Ort, um sich das Spendenprojekt „Second-Stage“ anzuschauen. (c) SkF
Martin Novak von der Bischöflichen Stiftung „Hilfe für Mutter und Kind“ war in Krefeld vor Ort, um sich das Spendenprojekt „Second-Stage“ anzuschauen.

Im Bistum Aachen gibt es drei Frauenhäuser, über ein Onlineportal sind alle miteinander verknüpft. Hat ein Haus keine Kapazitäten, um eine Frau, gegebenenfalls auch mit Kindern, aufzunehmen, wird die Anfrage an ein weiteres Haus weitergeleitet. „Oft kommen die Frauen nur mit dem, was sie am Leib tragen“, schildert Müller-West. „Sie sind in einer absoluten Notsituation.“ Und da ist es wichtig, erst einmal Stabilität zurückzugewinnen. Das Team erreicht das vor allem über die Sicherung der eigenen Versorgung: Viele Frauen haben noch nie mit Geld gewirtschaftet, sie haben kein eigenes Konto, ihnen fehlen vielleicht sogar die Papiere, und sie erzielen kein Einkommen. „Nur, wer hier Sicherheit findet, kann das verarbeiten, was passiert ist“, beschreibt es die Sozialpädagogin. „Erst nach dem Frauenhaus beginnt häufig der Verarbeitungsprozess.“ Deswegen sei eine möglichst lange Begleitung durch die Mitarbeiterinnen des SKF wünschenswert. Die Unsicherheiten rund um Finanzierungen stehen dem sozialen Träger dabei aber oft im Weg: Denn bundesweit gibt es seit mehr als 30 Jahren keinen einheitlichen verbindlichen Rechtsrahmen für Frauenhäuser. Das macht langfristige Planung für die Träger schwer. Zudem macht die Wohnungsnot in Krefeld dem SKF zu schaffen. Eigentlich sollen die Frauen nach rund 30 Tagen in ihre eigenen vier Wände ziehen, um den Platz für andere Hilfsbedürftige freizumachen. Durch die Schwierigkeiten, Wohnungen in Krefeld zu finden, verlängert sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer inzwischen aber auf mehr als 60 Tage.

„Die Anzahl der Frauen, denen wir Hilfe zusichern können, hat sich dadurch leider verringert“, erklärt auch Tanja Himer als Geschäftsführerin des SKF. „Das ist für uns unbefriedigend.“ Genau an dieser Stelle setzt nun die Bischöfliche Stiftung „Hilfe für Mutter und Kind“ an und hat dem Frauen- und Kinderschutzhaus bereits im Frühjahr Fördermittel von mehr als 12000 Euro zur Verfügung gestellt, um eigene Übergangswohnungen für die Hilfesuchenden einzurichten. Zwei kleine Wohnungen konnten die Mitarbeiter davon anmieten und ausstatten, außerdem wird der Personalschlüssel durch die zusätzlichen Mittel erhöht. „Unser Second-Stage-Projekt gibt Frauen die Möglichkeit, außerhalb der Wohngemeinschaft im Frauenhaus erstmal eigene selbstbestimmte Erfahrungen unter Anleitung zu meistern und wieder Selbstvertrauen zu entwickeln“, erklärt Himer weiter. „Der große Schritt in die eigenen vier Wände und die Ablösung vom SKF nach der akuten Krisensituation überfordern viele der traumatisierten Frauen. Mit den SKF-Wohnungen ist ein Zwischenschritt entstanden.“

 

Täglich Zeit für Tee und Gespräch

Und der tut auch der 25-jährigen A. gut. Wie viele der Frauen hat auch sie noch nie allein gewohnt, zog mit 16 Jahren direkt zu ihrem gewalttätigen Partner. Zu kochen, zu waschen, Schulaufgaben mit den beiden Kindern zu lösen, all die Dinge, die in einer eigenen Wohnung so anfallen, beherrscht sie im Schlaf. Einen Bankautomaten hat sie noch nie bedient, sie weiß nicht, wie sie mit Geld umgehen soll, auch eigene Papiere besitzt sie nicht mehr. Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses hat sie in den letzten vier Wochen schon Großes geleistet: Neue Pässe sind da, ein Konto ist eröffnet, Kindergeld beantragt, die Schulanmeldungen durch, und das erste Arbeitslosengeld überwiesen. Auch wenn die Existenzsicherung erst einmal geschafft ist, beginnen jetzt die Alpträume und die Ängste die junge Mutter einzuholen. Nach vier Wochen im Frauenhaus ist sie vor einer Woche in die Second-Stage-Wohnung gezogen. Täglich kommt eine Pädagogin vorbei, trinkt einen Tee mit ihr und schaut nach dem Rechten. „Mein Schutzengel“, sagt A. schüchtern, legt ihre Hand auf die der Mitarbeiterin und drückt diese leicht. „Jetzt können wir langsam ein neues Leben beginnen.“

Das Frauenhaus ist weiterhin auf Spenden angewiesen, um beispielsweise Dokumente für die Hilfesuchenden zu beantragen, Erstausstattungen zu finanzieren oder den Frauen bei der Einrichtung der ersten Wohnung unter die Arme zu greifen.

Näheres über die Homepage www.skf.de