Schon viel getan – noch viel zu tun

Zum Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Aachen. Wirksame Prävention bereits seit 2010.

Datum:
4. Feb. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 06/2025

15 Jahre ist es her, dass Pater Klaus Mertes, damaliger Rektor des Canisius-Kollegs, Missbrauchsfälle der Jesuiten öffentlich machte. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ist seitdem stetige Aufgabe für die Katholische Kirche – auch im Bistum Aachen. 

Mit der Veröffentlichung des unabhängigen Missbrauchsgutachtens durch die Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl im November 2020 hatte das Bistum Aachen eine wichtige Zwischenetappe erreicht, um die systemischen Ursachen für sexualisierte Gewalt und Missbrauch im Bistum offenzulegen. Die Betroffenen beklagen, dass Aufarbeitung immer noch viel zu langsam geschehe.

Wie ist der Stand der Aufarbeitung im Bistum Aachen? Welche Maßnahmen, die etwa das unabhängige Gutachten fordert, hat die Diözese bisher getroffen? Eine Bestandsaufnahme.

 

Unabhängiges Gutachten. Das Bistum Aachen orientiert sich an den Empfehlungen des Gutachtens in 13 Themenfeldern, um seine Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Intervention und Aufarbeitung nachhaltig zu verbessern. Die Interventionsordnung sichert die Position des Interventionsbeauftragten und gibt klare Vorgaben zum Verhalten bei Meldungen und zum Umgang mit Beschuldigten. Die Stabsabteilung PIA (Prävention, Intervention, Ansprechperson) gibt der Arbeit einen gesicherten professionellen Rahmen. Betroffenenrat, Aufarbeitungskommission und Beraterstab bereichern die Arbeit mit unabhängiger Expertise und bringen die Perspektive von Externen und vor allem Betroffenen zur Geltung. 

 

Maßnahmen und Konsequenzen. Aus den Erkenntnissen mehrjähriger Präventionsarbeit hat das Bistum etwa die Stabsstelle PIA eingerichtet. Die zahlreichen Maßnahmen zu Ausbau und Professionalisierung des Schutzsystems gegen sexualisierte Gewalt sind eingebettet in eine umfassende Governance-Struktur, die die Perspektiven von Betroffenen, Expertinnen und Experten zur Geltung bringt.

Die Richtlinien für die Priesterausbildung im Bistum Aachen sind in Hinblick auf die Empfehlungen des Gutachtens überarbeitet worden. Die verschiedenen Phasen und Stationen der Ausbildung legen besonderen Wert auf folgende Punkte: Auswahlverfahren unterstützt durch Psychotherapeuten zu Unterstützung der eigenen psycho-sozialen Kompetenzen; Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und Spiritualität; Missbrauchsprävention als Querschnittsthema und Entwicklung von Handlungskompetenzen und Haltungen, insbesondere durch eine kritische Auseinandersetzung mit den Themen Rolle, Person und Organsiation.

Die gemeinsame Berufseinführung (zusammen mit Gemeinde- und Pastoralassistenten) legt besonderen Wert auf die Förderung von Teamarbeit.

Die neue Rahmenordnung zur Führung von Personalakten vom 01.01.2022 stellt eine bundesweite einheitliche Aktenführung sicher. Eine ordentliche Aktenführung bedeutet auch Vorbeugung in Hinblick auf Vertuschung von Tatbeständen sexualisierter Gewalt.

 

Aufsicht über Beschuldigte und Täter. Das Bistum leitet jeden Verdachtsfall sexualisierter Gewalt, der ihm gemeldet wird, an die Staatsanwaltschaft weiter. Bis zu einer strafrechtlichen und/oder kirchenrechtlichen Klärung und ggf. darüber hinaus bestehen für einen Beschuldigten folgende Auflagen: Freistellung von allen Tätigkeiten. Dies gilt solange, bis die Vorwürfe zweifelsfrei widerlegt sind.
Ist die strafrechtliche Ermittlung, bzw. das Verfahren abgeschlossen, kann sich ein kirchenrechtliches Verfahren anschließen. Am Ende der Verfahren kann die Entlassung aus dem Klerikerstand stehen.

 

Prävention. Das Bistum Aachen verfügt seit 2010 über eine wirksame Prävention. Im Laufe der vergangenen Jahre ist dieser Fachbereich ausgebaut worden. Prävention, Intervention und Ansprechpersonen sind im Bistum Aachen seit 2020 in einer Abteilung (PIA) zusammengeführt. Zum 1. Januar 2023 wurde PIA zu einer Stabsabteilung mit eigenständiger Leitung und mit größerem Stellenumfang aufgewertet. Mit dieser weiteren Stärkung signalisiert das Bistum Aachen, dass die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt als abteilungsübergreifende Querschnittsaufgabe auch langfristig hohe Priorität genießt. 
Präventionsbeauftragte gibt es beim Bistum Aachen seit mehr als zehn Jahren, ein Interventionsbeauftragter wurde 2020 ernannt. Der oder die Interventionsbeauftragte ist zuständig für das Management aktueller Fälle und für das Verfahren zur Anerkennung des Leids. 
Seit 2010 haben insgesamt über 40.000 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Präventionsschulungen teilgenommen. 


Weitere Informationen: 
www.bistum-aachen.de/Aufarbeitung

Zahlen und Fakten zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Zum Stichtag 31. Dezember 2024 sind dem Bistum Aachen 377 Betroffene namentlich bekannt. Damit ist die Zahl der namentlich bekannten Betroffenen gegenüber dem 3. Quartal 2024 nicht gestiegen.

187 Erstanträge auf Anerkennung des Leids wurden seit der Einrichtung des Verfahrens durch die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2011 bis zum 31. Dezember 2024 beim Bistum Aachen gestellt. Davon wurden zum Stichtag insgesamt 152 Anträge beschieden. 
Im vierten Quartal 2024 sind acht Erstanträge auf Anerkennung des Leids eingegangen und an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen weitergeleitet worden.
149 Täter, mutmaßliche Täter und Beschuldigte sind dem Bistum namentlich bekannt. Darunter befinden sich 135 Kleriker (Pfarrer, Kapläne, Patres, Diakone) und eine Ordensschwester. 13 sind Nicht-Kleriker wie Erzieher, Hausmeister, Küster, Organisten, Religionslehrer oder ehrenamtlich Tätige.

Die vorstehenden Zahlen werden regelmäßig (zum Quartal) aktualisiert.
Bis Ende Dezember 2024 hat das Bistum Aachen Anerkennungsleistungen in Höhe von 3,5 Millionen Euro an Betroffene gezahlt.

Das Verfahren zur Anerkennung des Leids ist niedrigschwellig. Es wird nur die Plausibilität der Vorwürfe geprüft. Die Festlegung der Leistungshöhe orientiert sich an Schmerzensgeldzahlungen in staatlichen Gerichtsverfahren. Eine Höchstgrenzen für Zahlungen gibt es nicht.