Schmerzvolle Weihnachten?

Trotz eines Verlusts sollte gemeinsam gefeiert werden. Rituale unterstützen die Trauerarbeit.

(c) unsplash.com/Pierre Bamin
Datum:
21. Nov. 2023
Von:
Stephan Johnen

Von jetzt auf gleich kann uns der Tod eines geliebten Menschen aus der Spur werfen. „Während der Adventszeit und an Weihnachten ist es noch schwerer“, sagt Pastor Toni Straeten im Gespräch mit der Kirchenzeitung.
Der Beauftragte für die Trauerpastoral in der Region Düren-Eifel, der diese Funktion über Jahrzehnte auch im Bistum wahrnahm, erklärt, welche Rituale Familien helfen können, Trauer den notwendigen Rahmen zu geben und Trauernde zu unterstützen.  

Herr Straeten, was passiert im Fall eines Todes mit der Person, die trauert? 
Trauer ist eine körperlich-seelisch-spirituelle Wunde, die den ganzen Körper betrifft. Es gibt körperliche und seelische Reaktionen auf den Verlust. Trauer löst Schmerzen aus, beispielsweise sagt man „Das geht mir an die Nieren“ oder „Stiche durchbohren mein Herz“. Viele Trauernde essen kaum noch etwas und können kaum noch schlafen. Emotional und seelisch vermissen wir den anderen. Wir können ihn nicht mehr in den Arm nehmen, ihn berühren, die körperliche Dimension fehlt. 

Ist die Wunde noch tiefer, wenn wir in der Weihnachtszeit einen geliebten Menschen verlieren? 
Oh ja. Während der Adventszeit und an Weihnachten ist es noch schwerer. Es ist eine Zeit der Sehnsucht, ein Fest der Familie und des Zusammenseins. Und dann bricht die Welt zusammen. Das gilt für einen frischen Verlust ebenso wie für den Tod eines geliebten Menschen, der schon einige Jahre zurückliegen kann, dessen Verlust aber an solchen Tagen umso spürbarer wird.
Wir sprechen in unseren Trauergruppen immer schon im Advent ab, wie Weihnachten gestaltet werden kann. Das ist fester Bestandteil unserer Gesprächsrunden. 

 

Welche Ratschläge geben Sie?
Die Antwort ist so individuell wie die Trauer der Menschen. Wir überlegen, welches Ritual beispielsweise Familien entwickeln können, damit Heiligabend nicht alle stumm am Tisch sitzen.
Ausdrücklich sollte der Verstorbene eine Zeit lang in die Mitte genommen werden. Wir können über ihn sprechen, ein Symbol in die Mitte des Tischs legen, das uns an ihn oder sie erinnert. Es gibt Familien, die schneiden aus dem Tannenbaum einen Zweig heraus, um zu zeigen: Da fehlt etwas. Nach dem Fest wird der Zweig zum Grab gebracht.

Wer sollte die Initiative ergreifen?
Das ist egal, solange ein Grundsatz beachtet wird: Alles muss abgesprochen werden. Es nutzt nichts, wenn beispielsweise die Kinder mit einer Idee aufschlagen, die aber andere überrumpelt oder gar verletzt. An diesem gemeinsam entwickelten Ritual sollten alle beteiligt sein. Und es kommt auch der Zeitpunkt, an dem wir es wieder beiseite legen, weil sonst der ganze Abend nur aus Tränen besteht. 

„Weihnachten gehen wir bei aller Dunkelheit den Weg zum Licht.“ Toni Straeten

Pastor Toni Straeten hat vor mehr als vier Jahrzehnten eine der ersten Trauergruppen im Bistum gegründet und war Diözesanbeauftragter für die Trauerpastoral. (c) Stephan Johnen
Pastor Toni Straeten hat vor mehr als vier Jahrzehnten eine der ersten Trauergruppen im Bistum gegründet und war Diözesanbeauftragter für die Trauerpastoral.

Gibt es Menschen, die von Weihnachten nichts mehr hören wollen?
Das kommt auf den einzelnen Menschen an. Es gibt Hinterbliebene, die zu einer  Selbstkasteiung neigen, aus Scham, womöglich trotz des Verlustes schöne Stunden zu erleben.
Aber genau das soll Weihnachten sein: Eine schöne Zeit. Und diese Zeit kann auch Trost spenden. 

Haben Menschen Angst davor? Eventuell auch dovor, den anderen Familienmitgliedern das Fest einzutrüben?
Je näher der Verlust, desto schwerer ist die gefühlte Bürde. Weihnachten nicht zu feiern ist aber keine Lösung, das Fest kommt ja ganz ungefragt, bricht eventuell über uns herein, obwohl wir uns verstecken wollten.
Ich habe einen Sinnspruch gelesen, den ich sehr gut finde: „Weihnachten gehen wir bei aller Dunkelheit den Weg zum Licht.“ Es ist das Fest des Lichtes und der Liebe.

Gibt es ein „aber“, eine Einschränkung?
Wie gesagt, Weihnachten kann man nur schwer aus dem Weg gehen. Das ist aus meiner Sicht auch nicht sinnvoll. Aber es kann Einschränkungen geben, die alle anderen respektieren müssen. So kann es jemandem beispielsweise unmöglich sein, einen Weihnachtsbaum aufzustellen, weil es Tradition war, den Baum als Paar zu schmücken. Jeder sollte nur bis zur eigenen Grenze gehen. Auch das müssen die anderen akzeptieren.
Das gilt auch für Einladungen: Wir sollten nicht alles absagen, aber auch nicht alles machen, wenn es uns schmerzt. Es ist in Ordnung zu gehen, wenn man nicht mehr kann. Trauernde sollten ausprobieren, was geht und was nicht.

„Candle Lighting“ am zweiten Sonntag im Dezember ab 19 Uhr in der Marienkirche Düren

Was raten Sie Familien, die ein Kind verloren haben – und es womöglich noch Geschwister gibt?
Trauerarbeit ist immer besonders schwierig, wenn Kinder beteiligt sind. Der Tod eines Kindes ist eine lebenslange Wunde. Ganz oft sind Trauer und Schuldgefühle wie Geschwister.
Die einen schaffen es, zeigen ihre Trauer nicht vor den anderen Kindern, andere schaffen das nicht. Es gibt kein richtig oder falsch. An dieser Stelle kommen die Verwandten ins Spiel, die manches auffangen können, die Nähe und Liebe schenken können, weil die Eltern gerade Zeit für ihre Trauer brauchen. 

Gibt es besondere Angebote für Eltern, die ein Kind verloren haben?
Das ganze Jahr über. Aber immer am zweiten Sonntag im Dezember laden wir zum „Candle Lighting“ ab 19 Uhr in die Marienkirche Düren ein. An diesem Tag wird weltweit der verstorbenen Kinder gedacht. Kerzen und Licht sind ein Symbol, das etwas mit Weihnachten zu tun hat.
Das Entzünden der Kerze erinnert an die verstorbenen Kinder, betont aber auch den Hoffnungsaspekt. Licht ist die Brücke in die Ewigkeit. Deswegen entzünden wir auch in Kirchen Kerzen, um an Verstorbene zu denken. 

Welche Rolle spielt Erinnerung bei der Trauerbewältigung?
Zur Erinnerungskultur gehört es, mich an den Lebensweg des Verstorbenen zu erinnern, an gemeinsame Stationen, Urlaube, schöne Erfahrungen. Wir sollten uns vor Augen führen, was das Besondere am Verstorbenen war, welche positiven Erinnerungen sich im Alltag auswirken.
Trauer ist nachgetragene Liebe. Wir bewahren unsere Liebe in der Erinnerung.

Was können Menschen falsch machen?
Wenn das Wohn- oder Sterbezimmer zu einem Museum wird, ist das meist nicht gut. Jeder braucht Zeit zum Loslassen. Doch ganz ohne Veränderungen weiterzuleben ist nicht gut.
Manche machen das wiederum sehr schnell, stürzen sich in neue Beziehungen. Gesellschaftlich wird dies oft eher geächtet. Wir Menschen sind alle so verschieden und sollten daher respektieren, dass jeder anders handelt.
Alle Menschen brauchen Zeit zum Trauern. Wie viel, ist ganz unterschiedlich.

Nehmen wir uns denn die notwendige Zeit?
Die meisten nicht. Wir wollen funktionieren. Kinder, Familie, Arbeit, der Alltag: Die Welt hört nicht auf sich zu drehen. Wir funktionieren, sind aber innerlich beim Verstorbenen. In der ersten Periode der Trauer ist das typisch.
Aber es ist genauso wichtig, auch Zeiten zu haben, in denen ich mit meinen Gedanken und Gefühlen ganz beim Verstorbenen bin und nicht funktionieren muss. 

Hat Trauer heute noch eine spirituelle Dimension?
Selbstverständlich. Der empfundene Schmerz kann auch eine spirituelle Dimension haben: Wie konnte Gott das zulassen? Manchmal sagen wir aber auch: Gott sei Dank - es war Erlösung!
Auf der einen Seite Zweifel, auf der anderen Seite die Gewissheit, dass ein Mensch bei Gott aufgenommen wurde – es gibt beides. Ich ermutige Trauernde immer zu klagen. Das ist in unserer Tradition nicht so verankert, aber....

Zwischenruf! Wir klagen doch andauernd in unserem Leben?
Das ist Jammern. Beim Klagen habe ich ein klares Ziel. Wer jammert, bedauert sich meist nur selbst.
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Der Tod bringt unfassbares Leid, wo ich nur schweigend dabei sein kann. Wir sind da und hören zu, halten die Ohnmacht aus. Das Christentum ist eine Theologie der Hoffnung.
Aber als junger Kaplan habe ich selbst eine Erfahrung mit dem Tod gemacht, die mich komplett aus der Spur gehauen hat. So bin ich zur Krankenhausseelsorge gekommen. Die Auseinandersetzung mit der eigen Endlichkeit ist die Voraussetzung um herauszufinden, was mich trägt, was mir Hoffnung gibt. 

Setzen sich Menschen gerne mit der eigenen Endlichkeit auseinander? 
Nein. Aber wer es tut, hat großen Gewinn. Er findet die Koordinaten der Hoffnung. Tod und Auferstehung Jesu Christi sind für mich die Koordinaten. Jeder Mensch sollte auch ein inneres Testament machen.
Dabei geht es nicht um Kohle. Es geht um den inneren Wertekompass. Wir wollen alle heute richtig und gut leben, Ratgeber geben einem alles vor. Dabei können wir die Antworten auf die drängendsten Fragen nur selbst in unserem Inneren finden.

Das Gespräch führte Stephan Johnen