Mit dem angestoßenen Aufarbeitungsprozess will die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) Licht in ein dunkles Kapitel ihrer Geschichte bringen. Das hat auch Auswirkungen auf die Stämme vor Ort. Ein Blick auf die Pfadfinder in den Regionen Heinsberg und Mönchengladbach.
Pfadfinder: Das klingt nach Abenteuer, Zeltlager, Lagerfeuer, Spiel, Spaß und Lernen, ohne es zu merken. Aber Pfadfinder bedeuten auch Gemeinschaft und Disziplin, weil es ohne nicht geht. Äußeres Zeichen dieser Gemeinschaft sind die Uniformen und die Flaggen, die jeder Stamm hat. Inneres Zeichen ist das Gefühl, sich auf einander verlassen zu können. Umso schlimmer, wenn dieses Vertrauen ausgenutzt wird. Dass es Kinder und Jugendliche gibt, die in diesem Kontext sexualisierte Gewalt erfahren haben, ist sicher. 64 Fälle sind seit 2008 bekannt. Aber dass die Dunkelziffer weitaus höher ist, davon ist Joschka Hench, DPSG-Bundevorsitzender, überzeugt.
Rund 80 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehören dem größten deutschen Pfadfinder-Verband an. Der Diözesanverband Aachen ist einer von insgesamt 25 deutschlandweit. 6876 Mitglieder (inklusive 1280 ehrenamtliche Leitungen) zählt der Diözesanverband Aachen in acht Bezirken mit insgesamt 85 Stämmen und Siedlungen. Im Bezirk Heinsberg sind 344 Mitglieder in sieben Stämmen aktiv, im Bezirk Mönchengladbach 1192 Mitglieder in 14 Stämmen.
„Kinder- und Jugendschutz ist uns sehr wichtig“, betont Jasmin Krannich, DPSG-Referentin Kinder- und Jugendschutz. Drei Säulen tragen das Konzept: Prävention, Intervention und Aufarbeitung. 2020 hatte die DPSG-Bundesversammlung beschlossen, die eigene Geschichte in Bezug auf Machtmissbrauch, sexualisierte und spirituelle Gewalt aufzuarbeiten. In diesem Zug sind einige Maßnahmen implementiert worden.
Der DPSG ist nicht der einzige Pfadfinder-Verband, der sich dem Thema widmet. Auch die Pfadfinderinnenschaft St. Georg (PSG) hat 2021 ein neues Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt sowie einen neuen Verhaltenskodex beschlossen. In der Ausbildung der Leiterinnen und Leiter ist die Prävention ein fester Bestandteil. Dasselbe gilt für regelmäßige Schulungen.
„Das machen wir seit den 80er Jahren“, sagt PSG-Präventionsbeauftragte Suse Rüber. „Bei Schutzkonzepten sind die NRW-Bistümer im Vergleich zu anderen sehr weit. Wir tun sehr, sehr viel für den Kinder- und Jugendschutz und trotzdem kann man nicht alles ausschließen.“ Im PSG gebe es aber kaum Altfälle.
Ein Grund könnte sein, dass die PSG ein Mädchen- und Frauenverband ist. 1947 als Verband katholischer Pfadfinderinnen in München gegründet, gehören ihm heute 10000 Mädchen und junge Frauen an. „Nur im Bezirk Aachen sind seit der Mitte der 80er Jahre im Rahmen eines Pilotprojekts Männer dabei“, sagt Rüber.
Einer dieser Männer ist Michael Kock, der sich im Stamm Immerath engagiert. In der Diözese Aachen gibt es insgesamt zwölf PSG-Stämme. „Schon vor 30 Jahren gab es Prävention, ohne dass sie so genannt wurde“, erinnert sich Kock. „Ich war damals gar nicht so sensibel dafür. Aber das war bei denen so verinnerlicht, ganz ohne eigenes Schutzkonzept.“ Wenn die Pfadfinderinnen und Pfadfinder in Freizeiten und Zeltlager gefahren sind, sei schon damals klar gewesen, dass der abendliche Rundgang durch die Zimmer immer nur zu zweit gemacht wurde, sagt Kock. Eine Frau war stets dabei. Dass die DPSG nun den Aufarbeitungsprozess startet, wundert Kock daher nicht. „Die DPSG und die PSG waren mit dem Thema schon unterwegs, als das noch gar nicht diese öffentliche Aufmerksamkeit wie heute hatte“, sagt Michael Kock. Der Pfadfinder glaubt, dass das Engagement des DPSG auch weitere Kreise ziehen könnte. „Wer jetzt ins Schwitzen geraten dürfte sind zum Beispiel Sportvereine und Schulen“, findet er. „Dort müsste ja genauso ein Aufarbeitungsprozess stattfinden. Eigentlich überall dort, wo Kinder und Jugendliche sind.“
Einen eigenen Aufarbeitungsprozess gibt es bei der PSG nicht. „Das können wir nicht stemmen. Dafür ist unser Verband zu klein“, sagt Rüber. Aber wir sind im BDKJ-Bundesverband aktiv.“ Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) hat 2023 eine Vorstudie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt veröffentlicht. Von den darin angegebenen 121 Fällen im Zeitraum 1945 bis 2021 betraf ein Fall die PSG.
Sowohl auf der Homepage der DPSG als auch auf der der PSG und des BDKJ können Leitlinien und Formulare zur Prävention abgerufen werden. Die Ergebnisse der DPSG-Aufarbeitungsstudie werden Ende 2025 erwartet.