»Religionsfreiheit ist ein ganz zentrales Menschenrecht«

Thomas Rachel ist Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Er setzt auf Dialog und respektvolle Begegnung.

Thomas Rachel  hat das Amt des Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bundesregierung offiziell übernommen. Das Amt ist neuerdings im Auswärtigen  Amt angesiedelt. (c) Tobias Koch
Thomas Rachel hat das Amt des Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bundesregierung offiziell übernommen. Das Amt ist neuerdings im Auswärtigen Amt angesiedelt.
Datum:
3. Juli 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 21/2025 | Stephan Johnen

Es war zunächst unklar, ob das Amt des Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bundesregierung weitergeführt und neu besetzt wird – bis der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel vom neuen Bundeskabinett berufen wurde. 

Kirchenzeitung: Herr Rachel, herzlichen Glückwunsch. Wie bewerten Sie die zurückliegende Phase der Unsicherheit – und welche Signale möchten Sie mit Ihrer Amtsübernahme senden?

Thomas Rachel: Dass dieses Amt erhalten bleibt, wurde im Koalitionsvertrag festgelegt. Der Bundeskanzler hat mit dem Kabinett entschieden, dass der/die Beauftragte ins Auswärtige Amt kommt. Damit hat er ein klares Signal für eine Stärkung der weltweiten Religions- und Weltanschauungsfreiheit gesetzt. Es ist eine Chance, das Thema stärker in den diplomatischen Austausch zu integrieren.


In Deutschland verzeichnen die großen christlichen Kirchen seit Jahren einen Mitgliederschwund, Religion scheint immer weniger eine Rolle zu spielen. Ist Ihre Funktion nicht ein Anachronismus?

Rachel: Im Gegenteil. Die Aufgabe ist sehr modern. Die Arbeit richtet sich in die Welt hinaus. In Deutschland mag eine stärkere Säkularisierung wahrnehmbar sein. In vielen Teilen der Welt sehen wir eine andere Entwicklung. Für die Mehrheit der Menschen weltweit ist Religion eine prägende Dimension ihres Lebens. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte garantiert jedem Menschen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Religionsfreiheit ist also ein ganz zentrales Menschenrecht. Leider sehen wir in vielen Ländern, dass die Religions- und Weltanschauungsfreiheit eingeschränkt wird.


Wie wollen Sie als Person die Aufgabe mit Leben füllen?

Rachel: Mein Leben hat diverse Berührungspunkte mit dem Thema Religion. Ich glaube, dass es so möglich ist, authentisch dieses Thema in der Regierung zu vertreten und ein authentischer und glaubwürdiger Gesprächspartner zu sein – einerseits für die religiösen Akteure in der Welt, andererseits auch für Regierungsvertreter.

 

Mitte Juni begleitete Thomas Rachel den neuen deutschen Außenminister Johann Wadephul (CDU) in den Vatikan. Dort fanden Gespräche mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin (im Bild) und Außenminister Erzbischof Paul Gallagher statt. (c) Tobias Koch
Mitte Juni begleitete Thomas Rachel den neuen deutschen Außenminister Johann Wadephul (CDU) in den Vatikan. Dort fanden Gespräche mit Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin (im Bild) und Außenminister Erzbischof Paul Gallagher statt.

Welche Schwerpunkte setzen Sie für den Schutz von Religions- und Weltanschauungsfreiheit?

Rachel: Mein Anspruch ist es, Stimme der Menschen zu sein, die aufgrund ihres Glaubens diskriminiert und bedroht werden. Der Anschlag auf Christen in der griechisch-orthodoxen St.-Elias-Kirche in Syrien hat noch einmal deutlich gezeigt, wie wichtig dieser Einsatz für weltweite Religionsfreiheit ist. Der brutale Anschlag ist schockierend, das Verbrechen macht uns alle fassungslos. Es ist ein Angriff auf die Würde des Menschen und die Freiheit des Glaubens. Christen und andere religiöse Minderheiten müssen von ihren Heimatstaaten mit aller Entschlossenheit geschützt werden.

   
Ist diese Entschlossenheit ablesbar? Oder nimmt sie vielmehr ab?

Rachel: Drei Viertel aller Menschen leben in einem Land, das ihre Religions- und Weltanschauungsfreiheit einschränkt. Das ist eine alarmierende Größenordnung. Christinnen und Christen sind die zahlenmäßig größte Religionsgemeinschaft. Sie sind von Verletzungen der Religionsfreiheit besonders häufig betroffen. Aber auch Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen werden Opfer von Diskriminierung und Verfolgung, allein aufgrund ihres Glaubens, oder weil sie gar keiner Religion angehören.


Welche Länder stehen im Fokus? Und welche haben wir oft nicht auf dem Schirm?

Rachel: Wir beobachten eine beunruhigende Entwicklung in vielen Teilen der Welt. Ich will beispielhaft die Entwicklung in Nigeria nennen, wo die Terrororganisation Boko Haram mit größter Brutalität gegen Christen vorgeht. Wir sehen auch die Situation in Pakistan mit Sorge, wo oftmals Menschen der Blasphemie beschuldigt werden, wofür drakonische Strafen drohen. Und auch in Indien ist es für alle eine besondere Aufgabe, darauf zu achten, dass Religionsfreiheit für Muslime, Christen und andere Minderheiten gewährleistet wird. Ich könnte auch Nicaragua nennen, wo die Regierung katholische Christen unterdrückt und sogar Nonnen und einen Bischof verhaftet und des Landes verwiesen hat.

 

Neigen wir aus deutscher Sicht dazu, eher über gefährdete Christinnen und Christen zu reden?

Rachel: Die Religionsfreiheit nach unserem Verständnis und nach dem Verständnis der UN-Menschenrechtskonvention umfasst einen Dreiklang, nämlich die Freiheit eines Menschen, seine Religion und Weltanschauung zu bekennen und sie zu leben, aber auch, eine Religion zu wechseln oder gar keiner Religion anzugehören. Dieses Versprechen ist ein generelles, es gilt allen Menschen, Muslimen wie Hindus, Sunniten wie Schiiten, Juden genauso wie Christen und anderen.


Ermöglicht der Wechsel ins Auswärtige Amt mehr „Beinfreiheit“ für die Aufgabe?

Rachel: Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dem Thema Religions- und Weltanschauungsfreiheit für die Bundesregierung mehr Gewicht und Aufmerksamkeit zu geben. Das kann über das Auswärtige Amt sehr gut gelingen, gerade im Miteinander mit Regierungen und Akteuren der Zivilgesellschaft aus anderen Ländern. Hier liegt auch eine Chance, Religion als eine der Dimensionen in der deutschen Außenpolitik zu stärken. Religion prägt die einzelnen Menschen, aber auch Länder und Kulturen. Wir wollen eine gute und zielgerichtete Außenpolitik machen. Dazu gehört, diese Dimension des Lebens unbedingt mitzudenken.  


Wie viel Religion darf in Politik stecken?

Rachel: Ich bin für Religions- und Weltanschauungsfreiheit zuständig. Dabei geht es um die Freiheitsrechte eines jeden einzelnen Menschen. Es geht darum, diese international verbrieften Rechte zu schützen und nicht darum, mit Religion Politik zu machen. 


Wie weit kann es zu Interessenkonflikten zwischen politischen und ökonomischen Zielsetzungen und Menschenrechten kommen?

Rachel: Wir verfolgen als Bundesrepublik Deutschland eine werte- und interessengeleitete Politik in der Entwicklungszusammenarbeit und in der Außenpolitik. Ich glaube, dass Deutschland gut in der Lage ist, eine Balance zu finden. Deutschland wird geschätzt als Gesprächspartner, der auch die Bedürfnisse des Gegenübers mitdenkt.


Wie sehen Sie die Wechselwirkung zwischen Religionsfreiheit und anderen Grundrechten wie Meinungs-, Versammlungs- und Gewissensfreiheit?

Rachel: Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Wenn das Menschenrecht auf Religionsfreiheit unter Druck kommt oder eingeschränkt wird, geraten oft auch andere Freiheitsrechte wie Gewissensfreiheit und Meinungsfreiheit unter Druck oder werden nicht gewährleistet. Das Recht auf Religionsfreiheit ist ein Gradmesser dafür, wie es um die Menschenrechte in einem Land bestellt ist.


Wie kann Deutschland wirksam auf Staaten einwirken, die die Religionsfreiheit massiv einschränken?

Rachel: Durch Dialog, durch das Herausfinden von Schnittmengen. Das ist Aufgabe der Diplomatie. Deutschland stimmt sich international zu vielen Themen ab: Es geht um strategische Fragen, um Sicherheit, Wirtschaft,  Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte und auch Religionsfreiheit. Wir denken diese Themen zusammen und so kann es gelingen, Fortschritte zu erreichen. Aber wichtig ist eben auch, dass wir Missstände im Bereich Religionsfreiheit immer wieder ansprechen. Es gehört auch zu meinen Aufgaben, Betroffenen eine Stimme zu geben, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für ihre Belange zu schaffen und zu signalisieren: Ihr seid nicht alleine. Das hat für die Betroffenen auch eine gewisse Schutzfunktion. 


Welche Rolle spielen internationale Organisationen und NGOs für Sie?

Rachel: Menschenrechtsorganisationen spielen eine große Rolle. In meinen bisherigen Tätigkeiten habe ich mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen und religiösen Organisationen eng zusammengearbeitet. Diese haben ein sehr breites Netzwerk, sie wirken tief in die Zivilgesellschaften hinein. 


Welche Maßnahmen planen Sie gegen radikale Strömungen, die Religion instrumentalisieren?

Rachel: Meine Rolle sehe ich auch darin, Brücken zu bauen zwischen Weltanschauungen, Konfessionen und Kulturen, damit ein interreligiöser Dialog stattfindet. Wir werden dabei sicherlich die religiösen Kräfte besonders stärken und den Austausch mit ihnen suchen, die einen friedensstiftenden Grundansatz in ihren Ländern haben. Den Radikalen, die Religion missbrauchen, um zu spalten und Hass zu  schüren, müssen wir entgegentreten. 


Welchen Einfluss hat Ihr eigener Glaube auf Ihre Arbeit als Beauftragter und Bundestagsabgeordneter?

Rachel: Wenn ein Beauftragter eine eigene Glaubensüberzeugung hat, schafft dies eine Gesprächsebene auf Augenhöhe mit anderen Menschen, die religiöse Akteure sind oder sich mit religiösen Themen befassen. Mein christlicher Glaube prägt auch meinen Blick auf die Menschen – und zwar unabhängig von ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung. Denn in meiner Überzeugung sind alle Menschen mit gleicher Würde ausgestattet.


Wie gelingt es Ihnen, Brücken zwischen Religionen, Konfessionen und Weltanschauungen zu bauen?

Rachel: Im Dialog. Wir brauchen ein gemeinsames Nachdenken über das, was uns in dieser Welt zusammenhält. Und das in einer respektvollen Art und Weise. 


Religion hat eine friedensstiftende Kraft – und zugleich werden im Namen der Religion Krisen entfacht. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

Rachel: Ziel sollte sein, dass Religion dort, wo sie Teil eines Problems ist, auch zum Teil der Lösung gemacht wird. Die Erfahrung zeigt, dass viele internationale Konflikte eine religiöse Dimension haben. Man ist klug beraten, sie in die Gesamtüberlegung mit einzubeziehen, weil die religiöse Dimension in vielen Ländern für die Menschen eine maßgebliche Rolle spielt. Gemeinsam mit den religiösen Autoritäten oder Führungspersönlichkeiten können wir konstruktiv respektvolle Wege finden und aufeinander zugehen. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe und Herausforderung.

Zehn schnelle  Fragen

Was macht Thomas Rachel, um zu entspannen?
Schwimmen. 


Gibt es Tage ohne Smartphone und Dauer-Erreichbarkeit?
Leider nein. Es gehört ein Stück weit zur Aufgabe dazu.


Warum seit so vielen Jahren Politik? Was reizt Sie da?
Ich habe mich schon als Jugendlicher gegen Ungerechtigkeiten gewehrt. Als Christen sind wir berufen, die Welt ein wenig besser zu machen. Ich denke da an Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.


Was ist Ihr Lieblingsort?
Die Kirche von Burg Nideggen, da habe ich geheiratet. Und in Berlin der Deutsche Bundestag. 


Wo machen Sie gerne Urlaub?
Griechenland.


Welches Buch lesen Sie gerade?
Anne Applebaum, „Die Achse der Autokraten“.


Wenn Sie ein Buch über Ihr Leben schreiben würden, welchen Titel hätte es?
Ein Titel fällt mir nicht ein. Aber wenn es ein Begriff wäre, dann „Vertrauen“.


Mit wem würden Sie gerne einmal einen Tag verbringen?
Mit Dietrich Bonhoeffer, weil er in größter existenzieller Bedrängnis trotzdem am Glauben festgehalten hat. 


Welchen Tag würden Sie gerne noch einmal erleben können?
Den nächsten.


Welchen Tag würden Sie am liebsten aus dem Gedächtnis streichen?
Keinen. Ich bin dankbar für alle Tage, die ich erleben darf, und neugierig darauf, was die neuen bringen.

Fünf schnelle  Fakten

Auch Humor gehört ins Parlament: Thomas Rachel und Klaus-Ludwig Fess (links). (c) privat
Auch Humor gehört ins Parlament: Thomas Rachel und Klaus-Ludwig Fess (links).

Thomas Rachel, 1961 in Düren geboren, ist verheiratet und hat eine Tochter. Seit 1994 gehört der CDU-Politiker ohne Unterbrechung dem Deutschen Bundestag an.

Seit 2004 ist der Dürener Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU.

Von 2005 bis 2021 war Thomas Rachel Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Ende Mai 2025 wurde er zum Beauftragten der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit berufen. Thomas Rachel war von 2000 bis 2005 Landessynodaler der Evangelischen Kirche im Rheinland und ist seit 2015 Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Kleine Randnotiz: 2023 gründete der Rheinländer mit anderen Bundestagsabgeordneten den interfraktionellen Parlamentskreis Karneval, Fastnacht, Fasching. Lachen verbindet.