Rahmen für Lebensbilder

„Entdecke mich!“ lautet die Aufforderung von Menschen mit Behinderungen in einer Kunstaktion

Zusammen. Menschen mit Behinderungen laden ein, ihre Lebenswirklichkeit zu entdecken. (c) Dorothée Schenk
Zusammen. Menschen mit Behinderungen laden ein, ihre Lebenswirklichkeit zu entdecken.
Datum:
31. Mai 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 22/2021 | Dorothée Schenk

Wie viel Leben passt in einen Raum, der die Größe einer Schallplatte hat und eine Handbreit tief ist? Zweihundertfache Antworten gibt darauf die bistumsweite Kunstaktion „Entdecke mich!“. Das Motto gilt gleichzeitig als Aufforderung an die Gestalter und die Betrachter.

Die Holzkisten mit den Maßen 30 x 30 x 17 Zentimeter wirken wie kleine Theaterkulissen. Menschen mit Behinderungen haben diesen Raum ausgeschöpft, um kreativ auszudrücken, wie es ihnen gegenwärtig geht, was sie fühlen und welche Wünsche sie für die Zukunft haben. Entstanden sind Bühnen des Lebens in Malereien und Collagen sowie dreidimensionale Objekte. Die Vielfalt ist das Anziehende: Sonnenblumen, Sternenhimmel, Handabdrücke, die sich zu Schmetterlingen entfalten, zieren die Holzwände.

Bildergeschichten werden gezeigt, in denen der Trauer über die Isolation, ein Leben ohne Besucher und ohne Freunde und mit der Angst vor Krankheit in Coronazeiten ebenso Ausdruck gegeben wird wie dem Wunsch nach gemeinsamer Freizeitgestaltung. Außerdem steht ganz viel „Herz“ als Motiv für die aktuelle Gemütslage von Menschen mit Behinderungen. Als Bild und Text: „Um das Tragische und das Komische im Leben zu sehen, dazu gehört ein großes und warmes Herz.“ Das ist die ideale „Wegbeschreibung“ für die Betrachter, die der Einladung „Entdecke mich!“ folgen.

Im Dürener Anna-Schoeller-Haus sind die ersten 14 fertig gestalteten der 200 im Bistum Aachen ausgegebenen „Kunstkisten“ öffentlich vorgestellt worden. Sie sind in den vergangenen zwei Monaten in dieser Einrichtung des Rheinischen Blindenfürsorgevereins 1886 Düren entstanden. „Daraus sind regelrechte ,Schatzkisten‘ geworden“, sagt Jutta Busch, im Bistum Aachen zuständig für die Seelsorge mit blinden und sehbehinderten Menschen und eine der sechs Seelsorgerinnen und Seelsorger aus den Regionen, die diese Kunstaktion initiiert haben und begleiten. Ursprünglich war es als Projekt flankierend zur Heiligtumsfahrt in diesem Jahr gedacht. Während pandemiebedingt die Wallfahrt auf 2023 vertagt worden ist, blieb das Projekt bestehen, denn: „Die Kunstaktion findet genau zum richtigen Zeitpunkt statt“, sagt Jutta Busch. „Das Motto ,Entdecke mich!‘ soll auch ermöglichen, Jesus und Gott als Wegbegleiter in schwierigen Zeiten zu erleben“.

Die seelsorgerischen Begleiter für Menschen mit Behinderungen – Gabi Laumen in der Städteregion Aachen, Alfred Schmid in der Region Düren, Peter Derichs in der Region Heinsberg, Anja Künzel in den Regionen Kempen-Viersen und Krefeld und Uwe Reindorf in der Region Mönchengladbach – hatten hoch aktuelle Leitfragen als Unterstützung für die Kunstgestaltenden gestellt: „Was hat sich in Ihrem Leben verändert? Was hat Ihnen in schwierigen Zeiten Halt und Orientierung gegeben? Was möchten Sie anderen davon zeigen?“ Entstanden sind daraus sehr persönliche Bekenntnisse. 


Sichtbare Zeichen für das Dazugehören 

„Ich habe mein Leben offenbart“, sagt Rita Rossmanek, die 2020 ihren Mann verlor, in eine tiefe Krise stürzte und ins Anna-Schoeller-Haus einzog. Diese Ausnahmezeit, aber auch den wiedergefassten Mut durch die Unterstützung der Menschen im Anna-Schoeller-Haus hat sie in drei Kisten „gepackt“.

Uwe Klaar ist seit drei Jahren in der Einrichtung und Funker, Internetradio-Hörer sowie Hörbuchfan. Er hat „Klaartext“ geschrieben, und zwar in Braille. Damit aber auch alle Menschen seine Gefühle und Gedanken nachlesen können, gibt es in der Kiste mit der Aufforderung „Bitte lies mich“ den Text sowohl in Punkt- als auch Schwarzschrift. 
Die Kunstkisten sind in ihrer Aufforderung „Entdecke mich““ keine Einbahnstraße. Pfarrer Alfred Schmid, Seelsorger für Menschen mit geistiger Behinderung in Düren, weiß aus Erfahrung, dass Menschen oft gar nicht wissen, wer in den Einrichtungen lebt, wie Menschen mit Behinderungen ihr Leben gestalten, wo sie arbeiten. Im kompakten Format würden so Einblicke gegeben. „Gerade durch die Kistenaktion können diese Menschen sich als Teil der Gesellschaft zeigen und sagen: ,Ich gehöre dazu‘. Das ist der Sinn dieses Entdeckens.“

In allen Bistumsregionen werden die individuellen Kunstkisten ab September ausgestellt werden. In Düren sollen die 39 regionalen Werke voraussichtlich Mitte September in der barrierefreien Pfarrkirche St. Anna zu sehen sein. Zur Heiligtumsfahrt 2023 ist geplant, alle 200 Kisten aus dem ganzen Bistum in einer Werkschau in St. Jakob zusammenzutragen, die dann während der zehntägigen Wallfahrt gezeigt wird.

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