Räume ganz neu denken

Viele Orte von Kirche befinden sich im Umbruch. Auch Pax Christi Krefeld. Wie erfinden sie sich neu?

Das Kreuz von Ewald Mataré war ein Geschenk an die Gemeinde. (c) Kathrin Albrecht
Das Kreuz von Ewald Mataré war ein Geschenk an die Gemeinde.
Datum:
10. Nov. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 45/2021 | Kathrin Albrecht

Die Pax-Christi-Kirche in Krefeld birgt einen besonderen Schatz: Seit über 40 Jahren bieten zeitgenössische Kunstwerke den Dialog mit Besuchern und Gläubigen an. Das macht sie zu einem Raum, den es nicht nur innerhalb der Stadtgrenzen Krefelds zu entdecken gilt, sondern der auch darüber hinaus Potenzial bietet. 

Der Rückriem-Altar feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum. (c) Kathrin Albrecht
Der Rückriem-Altar feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum.

Vor 50 Jahren als Seelsorge-bereich der Gemeinde Zu den Heiligen Schutzengeln gegründet, erhielt Pax-Christi 1978 eine eigene Kirche. Der 2017 verstorbene Pfarrer Karl Josef Maaßen begann, die Kirche mit zeitgenössischer Kunst auszustatten in der Hoffnung, dass sich aus den Kunstwerken ein lebendiger Dialog zwischen Kunst und Gemeinde entwickeln werde – mit Erfolg. „Bis 1999 kam beinahe im Jahrestakt ein neues Kunstwerk hinzu“, erzählt Pastoralreferent Theo Pannen, der in der Nachfolge Maaßens die Kuratierung der Kunstkirche übernommen hat. In den rund 40 Jahren ihres Bestehens hat sich die Gemeinde verändert. Viele Mitglieder, auch die Verantwortlichen des Fördervereins, der sich um die Restaurierung und den Erhalt der Kunstwerke kümmert, sind inzwischen im Seniorenalter.

Das Quartier, in dem die Kirche angesiedelt ist, erfährt nicht nur einen demografischen Umbruch. Neue Wohnkomplexe entstehen, gedacht für eine neue, kaufkräftige Mittelschicht. Was also passiert mit dieser Kirche, wenn Stadtteil und Gemeinde derart im Umbruch sind? Gelingt es, den Auftrag und den Anspruch, in dem die Kunst als Bestandteil der Pastoral dazu einlädt, mit den Gläubigen in den Dialog zu treten, zu bewahren und weiterzuentwickeln? Und wie kann das aussehen?

Teilnahme beim Hackathon brachte den Ball ins Rollen

Haben durch den Hackathon viele Denkanstöße bekommen: Theo Pannen, Anne Hermanns-Dentges und Angela Reinders (v. l.). (c) Kathrin Albrecht
Haben durch den Hackathon viele Denkanstöße bekommen: Theo Pannen, Anne Hermanns-Dentges und Angela Reinders (v. l.).

Fragen, mit denen das Regionalbüro Krefeld an die Innovationsplattform des Bistums Aachen herangetreten ist. Dort ist die Entwicklung pastoraler Räume ein zentrales Thema des „Heute-bei-dir“-Prozesses. Und Angela Reinders, im Bistum Aachen 
verantwortlich für Personalentwicklung und außerdem im Team der Innovationsplattform „Heute bei dir“, reizte noch etwas anderes. 2019 hatte sie in München einen Vortrag zum Kulturhackathon „Coding da Vinci“ besucht.

Die Plattform bietet öffentlichen Einrichtungen wie Museen oder Bibliotheken die Möglichkeit, gemeinsam Anwendungen oder Softwarelösungen zu erarbeiten, die einer breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, die Einrichtungen auch im virtuellen Raum zu nutzen. Der Begriff des Hackathons kommt dabei aus der Computertechnik. Die Wortschöpfung, zusammengesetzt aus „Hack“ und „Marathon“, bezeichnet eine Veranstaltung, bei der gemeinsam Softwareprodukte hergestellt oder Lösungen für bestehende Probleme gefunden werden. Zurzeit läuft im Rahmen des „Coding da Vinci“-Programms ein Hackathon auf Landesebene: „Nieder.Rhein.Land 2021“.

Das, so die Überlegung von Angela Reinders, könnte auch eine Möglichkeit sein, die Kirche Pax Christi als digitalen Ausstellungsraum zugänglich zu machen. Mit der Bewerbung des „digitalen Kunstraums Pax-Christi-Kirche“ warf sie gewissermaßen den Ball ins Spiel. Doch so einfach war es dann doch nicht. Ein Hackathon lebt von offenen Daten. Das ist mit urheberrechtlich geschützten Kunstwerken so nicht möglich. So lief das Projekt quasi außer Konkurrenz. Durch die Teilnahme haben sich aber andere Perspektiven eröffnet. Eine Textilkünstlerin, die ähnlich wie Klaus Simon mit seinem Werk „Überdunkelt“ mit ihrem Material so arbeitet, dass es bewusst dem Verfall ausgesetzt ist, wurde auf Pax Christi aufmerksam.

Auch vor Ort in Krefeld ist man weiter im Gespräch mit dem Regionalbüro und der Jugend- und Schulpastoral. Den Hackathon-Auftrag, einen virtuellen Ausstellungsraum aus der Kirche zu machen, könnten eventuell Firmlinge in Angriff nehmen. Derzeit läuft im Raum Krefeld das Projekt „Mine Krefeld und Co.“ Angelehnt an das Spiel „Minetest“, bei dem die Spieler aus verschiedenen Bausteinen ihre eigene Welt erschaffen können, treten hier Schülerinnen und Schüler, Seelsorger und Lehrkräfte in den Austausch miteinander. Das gemeinsame Ausprobieren und das Gefühl, gemeinsam etwas geschafft zu haben, sind wichtige Elemente des Spiels. Hier, meint Angela Reinders, ließe sich gut andocken. 
Auch Theo Pannen und Anne Hermanns-Dentges, Gemeindereferentin in der GdG Krefeld-Süd und wie Pannen begeistert von Pax Christi als Raum des Dialogs, fasziniert die Idee, auf der digitalen Ebene das Konzept von Pax Christi weiterzuentwickeln.

Doch auch vor Ort und im realen Raum muss es neue Perspektiven geben. Wenn beispielsweise eine Voraussetzung ist, dass alle Orte von Kirche eine diakonische Ausrichtung haben sollen, welche diakonische Aufgabe hat dann Kunst? „Diakonie geht dabei über den klassischen Begriff der konkreten Hilfe hinaus“, führt Anne Hermanns-Dentges aus. „Vielmehr es geht dabei auch um seelische Stärkung in dem, was Menschen, die hierherkommen, bewegt. Themen wie Einsamkeit, die Frage, ob ich mir meine Wohnung noch leisten kann, oder die Belastung im Beruf. Menschen in prekären Situationen erfahren eine andere Raumästhetik als es ihr Lebensraum hergibt, erleben etwas an Raum, an Sicherheit, an Willkommensein – im Idealfall gehen sie gestärkt nach Hause.“ Daran schließt die Frage „Wie gut kann ich in Kirche zu Hause sein?“ an, meint Angela Reinders.

Digitalisierung ist ein  Sichtbarwerden für andere

In einem eher urban geprägten Stadtteil wie Oppum, der in seiner Struktur nicht mehr einer organisch gewachsenen, vom Stadtteil geprägten Gemeindestruktur entspricht, könnte es sinnvoll sein, an die Form der Passantenpastoral anzuknüpfen, meint Theo Pannen. Die Passantenpastoral hat im Bistum Aachen in der Form der Citypastoral und 
-kirchen eine lange Tradition. Wäre das nicht auch für Pax Christi denkbar? Doch die Öffnungszeit der Kirche wäre dabei die erste und wichtigste Geste: „Das kostet Zeit, Seelsorgerzeit und Salär.“ Und wie gut könnten hauptamtliche professionelle Kräfte durch ehrenamtliche Kräfte unterstützt werden?

Das zweite Stichwort: Veränderung. Den Raum Pax Christi weiterzuentwickeln ist das eine. Doch wer wird angesichts sich stetig verändernder pfarrlicher Strukturen einmal Träger der Kirche sein? Und was geschieht dann mit der darin enthaltenen Kunst? Und wie können Schwerpunkte, die hier schon gute Tradition sind, neu gedacht und umgesetzt werden? Fragen, die nicht nur auf der reinen Gemeindeebene beantwortet werden können. Doch was möglich ist, will man angehen. Die Digitalisierung sei eine Chance: „Es zieht auch Menschen an, es ist ein Sichtbarwerden“, meint Anne Hermanns-Dentges.

Für Theo Pannen wäre es die Möglichkeit, die Kunstwerke noch einmal in ein neues Licht zu setzen: „Die Kunstwerke stehen in Beziehung zueinander, nehmen Bezug aufeinander, bewusst oder unbewusst. Auch mehrere Lehrer-Schüler-Verhältnisse treten hier zutage.“ Ewald Mataré habe in der Nachkriegszeit viele Kirchen instandgesetzt. Einer seiner Schüler dabei war Joseph Beuys, der mit seinem Samuraischwert ebenfalls ein Kunstwerk in Pax Christi beheimatet hat. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Neugestaltung der Internetseite, die im kommenden Jahr online gehen soll. Der zweite ist die Aktualisierung der „großen Infrastruktur des Wissens“, wie es Theo Pannen nennt: „Wir müssen welterreichbar werden.“ Heißt: Auch Plattformen wie Wikipedia oder Google müssen bespielt werden. Die Aufmerksamkeit, die Pax Christi durch die Teilnahme am Hackathon sowohl auf regionaler wie auch auf Bistumsebene gewonnen hat, ist schon ein Gewinn, so empfinden es beide. Jetzt gelte es, den Ball weiter im Spiel zu halten.