Außenministerin Annalena Baerbock nannte sie „Vorbild für Millionen Frauen in Europa“, Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen „ein Licht in dunkler Nacht“. Die Bürgerrechtlerinnen Swetlana Tichanowskaja, Veronica Tsepkalo und Maria Kalesnikava aus Belarus haben an Christi Himmelfahrt den Karlspreis erhalten. Seit 2020 sind sie die Gesichter der belarussischen Opposition und deren Einsatz für Demokratie, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit.
Mutig und entschlossen bieten die drei Frauen dem autoritären Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko die Stirn. Maria Kalesnikava sitzt derzeit im Gefängnis in Belarus, ihren Preis nahm ihre Schwester für sie entgegen. Swetlana Tichanowskaja, Veronica Tsepkalo leben im Exil. Starke Frauen und Vorbilder, fanden auch die Frauen der Kunstwerkstatt des Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojektes Spectrum des Rheinischen Vereins. Sie alle haben selbst schwierige Lebenssituationen erfahren, wissen, was es heißt, wenn weiterzumachen viel Kraft kostet, aufgeben aber keine Option darstellt. Sie haben zu Ehren der drei Bürgerrechtlerinnen drei handgestickte Kleider und einen Wandteppich mit Motiven aus Belarus gefertigt, die am Wochenende nach der Karlspreisverleihung in der Aula Carolina in Aachen gezeigt wurden. Wunderschöne Arbeiten mit Vorgeschichte.
„Seit mehreren Jahren gehen wir mit Kunst- und Kulturprojekten in den öffentlichen Raum. In diesem Jahr haben wir nach einem Thema gesucht, und da sind wir auf die Preisträgerinnen aufmerksam geworden“, erzählt Monika von Bernuth, die die Kunstprojekte gemeinsam mit Künstlerin Vera Sous entwickelt und koordiniert. Zum Karlspreis hätten sie vorher noch nie etwas gemacht, aber „der Mut und die Entschlossenheit der drei Frauen hat uns imponiert“. So seien sie schnell einig gewesen, etwas mit Bezug zu Swetlana Tichanowskaja, Veronica Tsepkalo und Maria Kalesnikava zu machen. Vera Sous arbeitet gerne mit Stoff und textilen Materialien.
Im vergangenen Jahr hatte die Frauengruppe sich selbst auf einem Wandteppich dargestellt. Eine Idee, die sich jedoch nicht stimmig auf ihr neues Projekt übertragen ließ. „Irgendwie passte es nicht richtig“, sagt Monika von Bernuth, die daraufhin das Internet durchsuchte. Dabei stieß sie auf die belarussische Künstlerin Rufina Bazlova und ihre Stickarbeiten. In traditionellem Kreuzstichmuster stickt sie mit rotem Faden auf weißem Grund Protestbilder, mit denen sie sich für mehr Demokratie in ihrer Heimat und besonders für die 1200 Menschen einsetzt, die in Belarus aus politischen Gründen in Haft sind. Aus Blumen und anderen Motiven entwickelt sie Symbole gegen Krieg und Unterdrückung. Monika von Bernuth nahm Kontakt mit ihr auf, und die Idee zu den drei Kleidern (als Zeichen für das Weibliche) in traditioneller Stickerei, in die Szenen des Protests von 2020 einfließen, entstand.
Als sie dann in Aachen die Entwürfe in der Hand hielten, gab es zunächst einen Dämpfer. Die Stickereien waren so filigran und üppig, dass der Gruppe klar war: „Wir brauchen Hilfe.“ Wieder diente das Internet als Vermittler. „Dort habe ich den Sticktreff Aachen gefunden und einen Kontakt. Und zum Glück gab es die Gruppe auch noch“, erzählt Monika von Bernuth. Gemeinsam mit einigen ihrer Mitstreiterinnen und den Entwürfen fuhren sie zu einem Treffen der Damen. „Wir haben gehofft, dass sie uns vielleicht einen Ärmel oder eine Halsbordüre abnehmen. Doch als sie hörten, wofür die Kleider sind, waren sie Feuer und Flamme und boten an, uns alle drei Kleider zu sticken.“ Hunderte Stunden hätten die Damen vom Sticktreff gearbeitet. Allein für die Vorderseite eines Kleides seien 400 Meter rotes Garn nötig gewesen. Monika von Bernuth weiß gar nicht, wie sie ihren fleißigen Helferinnen danken soll, die in nur wenigen Wochen solche Kunstwerke geschaffen haben. Die Frauen der Kunstwerkstatt haben unterdessen einen Wandteppich mit Motiven aus Belarus gestickt. Eine Arbeit, die ebenfalls viel Geduld und Präzision erfordert, aber auch viel Freude gemacht hat, wie eine der Teilnehmerinnen erzählt. „Viele von uns haben darüber Fähigkeiten im Sticken entwickelt.“
Außerdem hat Spectrum sich an einem Projekt von Rufina Bazlova beteiligt, mit dem sie auf die Gefangenen aufmerksam machen will: „Framed in Belarus“. Ziel ist, für jede und jeden von ihnen ein von ihr entworfenes Motiv zu sticken und darüber einen Patenschaft für diesen Menschen zu übernehmen. „Je mehr über sie gesprochen wird, desto sicherer sind sie“, sagt die Künstlerin. Gestickt wird auch hier mit rotem Garn auf weißem Grund. „Wie mit einem roten Faden eignet man sich beim Sticken die Geschichte an und erfährt Hintergrundinformationen zu den Gefangenen“, erläutert Monika von Bernuth. 25 Stickpatenschaften haben sie für Aachen bekommen und sind, um das Projekt bekannter zu machen, in den zwei Wochen vor dem Karlspreis in Aachen unterwegs gewesen, um an öffentlichen Orten zu sticken und zu informieren.
Einer dieser Termine weitete dann auch den Blick auf den Kampf der Ukraine um ihre Eigenständigkeit und Freiheit. Es ist der „Vyshyvanka“-Tag, der Tag der traditionellen Stickkunst in der Ukraine. Ihn haben Monika von Bernuth und ihre Kolleginnen von Spectrum zum Anlass genommen, mit den Teilnehmenden an diesem Tag einen weiteren Protest-Wandbehang für die Ukraine zu gestalten. Auch einige Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, sind gekommen, zum Teil in prachtvoll bestickten traditionellen Blusen. Es wird geredet, miteinander geschwiegen und gestickt. Es herrscht eine Verbundenheit und Solidarität zwischen den Frauen, so wie sie die Frauen der Kunstwerkstatt auch mit den drei Karlspreisträgerinnen verspürt haben. Eine Nadel sticht, viele Nadelstiche tun weh.