Pflegende Hand

Immaterielles Kulturerbe: Bauhüttenwesen im Unesco-Register Guter Praxisbeispiele

Dompropst Rolf-Peter Cremer und das Team der Dombauhütte: Frank Müllejans, Jochen Brammertz, Angela Schiffer und Dombaumeister Helmut Maintz (v. l.). (c) Domkapitel Aachen
Dompropst Rolf-Peter Cremer und das Team der Dombauhütte: Frank Müllejans, Jochen Brammertz, Angela Schiffer und Dombaumeister Helmut Maintz (v. l.).
Datum:
13. Jan. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 02/2021 | Ruth Schlotterhose

Der zwischenstaatliche Ausschuss der Unesco zum Immateriellen Kulturerbe hat am 17. Dezember 2020 das Bauhüttenwesen in sein Register guter Praxisbeispiele aufgenommen. Die Bewerbung wurde von 18 Bauhütten aus fünf Ländern eingereicht.

So meldet voller Stolz die „Europäische Vereinigung der Dombaumeister, Münsterbaumeister und Hüttenmeister e. V.“. „Na und?“, mag der unbedarfte Laie jetzt vielleicht denken. „Was ist denn daran so Besonderes?“ Kulturstaatsministerin Monika Grütters bringt es auf den Punkt: „Unesco-Welterbestätten wie der Kölner, der Aachener oder der Naumburger Dom zeugen von der großen Bedeutung der Bauhütten: Als international vernetzte Orte der Forschung und Ausbildung bringen sie großes Fachwissen mit außergewöhnlichen Handwerksfertigkeiten zusammen.“ Bauhütten gelten seit dem Mittelalter als Innovationsbetriebe, deren Wissen und Fertigkeiten durch die hohe Mobilität der Bauleute im gesamten europäischen Raum Verbreitung fanden. Bis heute sind sie eng miteinander vernetzt.

Der Erfolg der Bauhütten beruht auf ihrer Fähigkeit, alte Handwerkstechniken systematisch von Generation zu Generation weiterzugeben und sie mit neuen Erkenntnissen aus Forschung und Technik innovativ zu kombinieren. Zugleich fördern die Werkstätten den kollegialen Austausch von Wissen und Können. Davon zeugt etwa die bis heute in vielen Gewerken lebendige Walz, die im Bauhüttenwesen ihren Ursprung hat. 
Das ganze Spektrum des Bauhüttenwesens spiegelt sich im vollen Namen der Bewerbung wider: „Das Bauhüttenwesen der Großkirchen Europas – Weitergabe, Dokumentation, Bewahrung und Förderung von Handwerkstechniken und -wissen“. Nur 25 Initiativen weltweit enthält das Register der guten Praxisbeispiele, das lässt die Bedeutung der Auszeichnung erahnen.

Dombaumeister Helmut Maintz übt seinen Beruf mit Begeisterung aus: „Die Bauhütte beziehungsweise die Mitarbeitenden der Bauhütte sind die ,Pflegende Hand‘ des Bauwerks und in besonderer Weise mit ihm verbunden. Das gilt auch für uns hier am Aachener Dom. Die ständige Kontrolle und ,Fürsorge‘ ist unser Auftrag, damit der Erhalt des Doms in Gegenwart und Zukunft gesichert ist. Die Handschrift der jeweiligen Dombauhütte im Umgang mit dem Denkmal ist über einen langen Zeitraum erkennbar. Es ist für uns immer wieder spannend, die Spuren unserer Vorgänger zu entdecken und zu lesen.“
Das kann Dompropst Rolf-Peter Cremer nur bestätigen: „Auch ich freue mich über die Anerkennung und Würdigung, die das Bauhüttenwesen durch diesen Titel erfährt. Ohne das Wissen, ohne die Fertigkeiten und das Engagement speziell auch unserer Aachener Dombauhütte wäre der Dom heute nicht in einem so guten Zustand.“

Ab Ende der 1980er Jahre wurde die Bistumskirche umfassend saniert. Irgendwo – ob außen oder im Inneren – war immer ein Gerüst zu sehen: anlässlich der Arbeiten an den Kapellen, am Westturm, an der Chorhalle und am Dachstuhl des Oktogons oder während der Sanierung des karolingischen Mauerwerks und des Westturms samt Turmhelm und -kreuz. Nicht zu vergessen die Erhaltungsarbeiten an Mosaiken, Marmorverkleidung und Fußboden im karolingischen Zentralbau, die allein sich über einen Zeitraum von sechs Jahren hinzogen.


Modernes Ingenieurwissen verbindet sich mit alten Handwerkstechniken

Auch bei den derzeit laufenden Sanierungsarbeiten an der Taufkapelle muss die Aachener Dombauhütte ihr ganzes Können einsetzen. Das erstmals 1215 als Johanneskapelle erwähnte Gebäude war bis vor 200 Jahren der einzige Ort in der Stadt, an dem Aachener Katholiken getauft werden durften. Ursprünglich sollte nur das undicht gewordene Schieferdach aus der Barockzeit erneuert werden. Doch dann zeigte sich, dass die darunterliegende Holzkonstruktion ebenfalls marode war. Hinzu kam, dass fast das komplette Fugenmaterial am Mauerwerk des Gebäudes porös war; an einigen Stellen war bis ins Hintermauerwerk aus Ziegel sogar überhaupt kein Mörtel mehr vorhanden.

Zusammen mit dem Institut für Bauforschung der RWTH und dem Ingenieurbüro Dominik entwickelte die Aachener Dombauhütte eine Spezialmischung, die als Mörtel für das alte Mauerwerk verwendet wurde. Zum Aushärten der frisch verfugten Flächen greift das Team um Dombaumeister Maintz auf eine althergebrachte Technik zurü̈ck: Meterlange Jutebahnen werden über einen Zeitraum von 14 Tagen abends nassgespritzt und halten das Mauerwerk über Nacht feucht.

In luftiger Höhe verlegt derweil eine Dachdeckerfirma die Dachschiefer in einer sogenannten „Rechteckdoppeldeckung“. Handwerkliches Spezialwissen ist hier gefragt, denn jeder einzelne Schiefer – der aus Spanien geliefert wurde – muss von Hand zurechtgeschlagen werden. Außerdem macht die gebogene Dachform den Einsatz von Edelstahlblechen als Auflageflächen erforderlich. Bis Ende Januar sollen die Arbeiten an der Taufkapelle beendet sein. Dann ist endlich wieder ein gerüstfreier Blick auf den Aachener Dom möglich.

Weiteres unter www.dombauhuette-aachen.de, www.bauhuetten.org und www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-weltweit/unesco-zeichnet.