Pfadfinder wollen Klarheit

Die DPSG hat einen Aufarbeitungsprozess zu sexualisierter und spiritueller Gewalt in ihren Reihen gestartet

Die Runde am Lagerfeuer: Bei den Pfadfindern geht es auch um Abenteuer und Kameradschaft. (c) DPSG/Christian Schaubelt
Die Runde am Lagerfeuer: Bei den Pfadfindern geht es auch um Abenteuer und Kameradschaft.
Datum:
14. Feb. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 07/2024 | Garnet Manecke

Die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) will Fälle von sexualisierter und spiritueller Gewalt in ihren Reihen aufarbeiten. Dazu ruft die DPSG Betroffene und Zeugen auf, sich zu melden. Mit dem Prozess hat die Organisation ein Forschungsteam beauftragt.

64 Fälle seien bisher aktenkundig, sagt Joschka Hench, Bundesvorsitzender der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg. „Aber es müssen mehr sein.“ Auch bei der DPSG seien Kinder und Jugendliche vermutlich missbraucht worden. Das soll jetzt aufgearbeitet werden. „Wir sehen es als eine besondere Verantwortung“, sagt Hench zu den Gründen, warum die DPSG in die Offensive geht. „Wir wissen, dass Täter aktiv waren und sind. Meist sind das Männer.“

Die DPSG sei ein Verband, der Kindern und Jugendlichen Werte mit auf den Weg gebe, betont Hench. „Für die Persönlichkeitsentwicklung ist ein geschützter Raum notwendig. Wir versuchen, das zu gewährleisten, aber leider scheitern wir daran und sind daran gescheitert.“ Ziel der Aufarbeitung sei es, Leid anzuerkennen und nicht weiter zu tabuisieren sowie die Umstände, die es Tätern leicht machen, zu verändern. „Aus den Erkenntnissen des Aufarbeitungsprozesses heraus wollen wir den Verband verändern“, sagt Hench. „Wir steuern auf einen größeren Veränderungsprozess zu.“

Für diesen Prozess hat die DPSG ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Sabine Maschke, Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, und Dr. Ludwig Stecher, Professor für Empirische Bildungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Gießen, beauftragt. Die Forschungsschwerpunkte der beiden Wissenschaftler liegen auf den Themen sexualisierte Gewalt und Prävention sowie den Erfahrungen Jugendlicher mit sexualisierter Gewalt.

Aufschluss über Strategien und Strukturen in der DPSG

Das Gemeinschaftsgefühl ist ein wesentliches Charakteristikum der Pfadfinder. Täter nutzen das als Druckmittel. (c) DPSG/Franz Georg Wand
Das Gemeinschaftsgefühl ist ein wesentliches Charakteristikum der Pfadfinder. Täter nutzen das als Druckmittel.

Neben der Recherche in Archiven setzen die Forscher bei ihren Untersuchungen auf Einzelinterviews, Diskussionen in Gruppen sowie Präsenzbefragungen. Dabei suchen sie Antworten auf die Fragen, welche Mechanismen, Strukturen und Kulturen innerhalb der DPSG es Tätern ermöglichen, sexualisierte und spiritualisierte Gewalt auszuüben. Unter spiritualisierter Gewalt verstehen die Forschenden Formen von Machtmissbrauch, die auf den gemeinsamen Geist in der Pfadfinderschaft abzielen. „Zum Beispiel Fragen wie ,Wenn Du was sagst, machst Du die Gemeinschaft kaputt’“, nennt Maschke ein Beispiel.

Die sexualisierte Gewalt umfasst im Verständnis der Forscher weit mehr als körperliche Formen wie unerwünschtes Anfassen oder gar Vergewaltigung. Sexuelle Beschimpfungen, das Verbreiten von Gerüchten sexuellen Inhalts oder das ungefragte Zeigen und Schicken von Bildern mit sexuellem Inhalt gehören ebenfalls dazu wie jede andere Form sexueller Belästigung. Ob die Taten strafrechtlich verfolgbar sind, sei kein Kriterium, sagt Maschke.
Auch über die Strategien der Täter und den Umgang mit dem Wissen um den Missbrauch innerhalb der DPSG will das Forschungsteam Klarheit bekommen: Wer hat von den Taten gewusst? Warum wurde geschwiegen? Wer hat Taten vertuscht und wie wird mit Betroffenen innerhalb der DPSG umgegangen? Die Ergebnisse des Forschungsteams sollen Ende 2025 vorliegen.

Die Bundesversammlung hat den  Aufarbeitungsprozess 2020 beschlossen

Das Forschungsteam ist Teil des Aufarbeitungsprozesses, der bereits 2020 begonnen hat. Die DPSG-Bundesversammlung beschloss damals, die eigene Geschichte in Bezug auf Machtmissbrauch aufzuarbeiten. Kritisch begleitet wird der Prozess von einem Beirat, der sich aus Betroffenen sexualisierter und spiritueller Gewalt (Erfahrene), externen Fachleuten, Vertetern der Dach- und Diözesanverbände sowie der Bezirke und Stämme vor Ort, der Kirche und Ehemaligen zusammensetzt. Mit dem Beschluss wurden auch erste konkrete Maßnahmen zur Prävention eingeführt. Dazu gehören Schulungen zur Sensibilisierung von Leitenden und die Anforderung von erweiterten Führungszeugnissen, ein Sensibilisierungskonzept bei Großveranstaltungen sowie die 2023 auf der Bundesversammlung beschlossene Interventionsordnung. Zudem gebe es eine Ausschlussverordnung, so dass Täter keine Möglichkeiten mehr haben, innerhalb des Verbandes zu agieren.
 

649 179 Euro hat die Mitgliedsversammlung des Bundesamts Sankt Georg für die Aufarbeitung zur Verfügung gestellt. Davon sind 400 500 Euro für das Aufarbeitungsteam eingeplant. 61356 Euro werden für die Erfahrenenarbeit, also die Arbeit der Betroffenen, aufgewendet.

Betroffene und Zeugen können sich per E-Mail unter AufarbeitungDPSG@erziehung.uni-giessen.de beim Forschungsteam melden. Auch per Post ist das Team zu erreichen: Prof. Dr. Sabine Maschke, Philipps-Universität Marburg, FB 21, Bunsenstraße 3, 35032 Marburg. Dazu können Betroffene und Zeugen ihre Erfahrungen auch anonym mitteilen. Infos sind unter www.dpsg.de abrufbar.

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