Ort des Lebens und des Todes

Die Collage „Mare nostrum“ des Künstlers Christof Legde ist in der Pax-Christi-Kirche Krefeld ausgestellt

Der Künstler Christof Legde befasst sich in seiner Collage „Mare nostrum“ unter anderem mit dem Thema Flucht und Vertreibung. (c) Dirk Jochmann
Der Künstler Christof Legde befasst sich in seiner Collage „Mare nostrum“ unter anderem mit dem Thema Flucht und Vertreibung.
Datum:
10. Juni 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2022 | Chrismie Fehrmann

Das kleine beschädigte Boot mit den bunten Menschen an Bord begibt sich auf die gefährliche Reise übers Meer in ein unbekanntes Land, in eine Stadt mit hohen Wohnblocks und rauchendem Schornstein. Terra incognita steht in Großbuchstaben auf der stilisierten Landmasse. Daneben befindet sich eine Flaschenpost mit einem Foto von fröhlichen Menschen in einer kleinen Tasche.

Omnia mea mecum porto, oder: „All meinen Besitz trage ich bei mir“, hat Künstler Christof Legde darauf gedruckt. Seine Collage „Mare nostrum“ ist politisch ausdrucksstark. Sie hängt bis zum 24. Juni in der Krefelder Kunstkirche Pax Christi. Es ist eine Arbeit auch für die lokale Aktionsgruppe Seebrücke.

Das Bild ist groß. Es besteht aus neun Tafeln. Darin widmet der Künstler sich den Themen Flucht und Vertreibung, dem Meer als Ursprung allen Lebens und als Bedrohung, als Grenze und als Verheißung eines besseren Lebens für die, die aus größter Not die Flucht über das Mittelmeer wagen.

Christof Legdes Bilder sind schon lange von der holländischen Nordsee geprägt. Seine Seebilder sind immer auch Seelenbilder, immer schon mehr als nur Landschaften. Sie stehen für Widerstand, Erosion und die permanente Veränderung unserer Welt. Die Pfahlreihen auf einer Meerestafel lassen sich auch als Zaun gegen unerwünschte Eindringlinge interpretieren.

„Mare nostrum“ war auch der Name einer italienischen Seenot-Rettungsmission. „Im Oktober 2013 kenterte ein Kutter mit 545 Geflüchteten vor der Küste von Lampedusa – 360 Menschen ertranken. Ihr Tod an einem einzigen Tag ist Anlass für Italien, die Rettungsaktion ,Mare nostrum‘ ins Leben zu rufen“, berichtet Elisabeth Völlings von der Seebrücke. „Innerhalb eines Jahres werden durch diese staatliche Mission 130000 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt.“

Der Künstler hat die verblichene braune Makulatur auf den Platten seiner Collage in einem alten Haus gefunden. „Sie waren die Initialzündung“, berichtet er. Er hat fünf als Kreuz zusammengestellt. Die vier Ecktafeln zeigen seine gemalten Bilder, die Wellen des Meeres, die er schon immer thematisiert. „Es sind Versatzstücke, die die Wege der Flucht illustrieren.“

Weiter zum Thema Kreuz: Zwischen den neun zur Collage zusammengestellten Bildern entstehen weiße Zwischenräume. „Diese Schnittstellen bilden weiße Kreuze, wie es sie auf Soldatenfriedhöfen gibt.“

Das Werk „Mare nostrum“ – unser Meer – ist voller Deutungsmöglichkeiten. Auf den Platten mit Makulatur – Zeitungspapier, das schlecht bedruckt, unbrauchbar und wertlos, aber hier teilweise noch lesbar ist – zeigt Legde beispielsweise den Aufdruck der „Wundermenschen“, wie sie früher auf Jahrmärkten gezeigt wurden. „Sie stehen als Synonym für das, was man aus den Mittelmeerflüchtlingen gemacht hat: Exoten, die man mit ungläubigem Entsetzen anstarrt, die aber nicht zu uns gehören“, sagt Legde.
Weiterer Inhalt seiner Tafelbilder: Eine kleine weiße Büste, die im Profil zu sehen ist, einem Polizeifoto nachempfunden. Sie findet sich auch auf einem stilisierten Boot, einem Stück Schwemmholz wieder, das die Breite unter der gesamten Collage einnimmt. „Von dieser lebendigen Figur bleiben in verschiedenen Stadien nur noch Bruchstücke übrig. Das Leben geht zu Ende.“

Die Kunst in der Pax-Christi-Kirche war auch immer schon politisch. Fast alle dort ausgestellten Werke erlauben zusätzlich eine Fülle von Assoziationen. Das Samurai-Schwert von Josef Beuys in der Vorhalle, das als Friedenssymbol zu lesen ist, gehört dazu. Das Mutter/Hungertuch von Felix Droese als Reaktion auf die Verhängung des Kriegsrechtes im Zusammenhang mit der Solidarnocz-Bewegung in Polen ebenso. Dort hängt jetzt auch – zeitlich begrenzt – „Mare nostrum“.

Pastoralreferent Theo Pannen als Gastgeber erklärt, dass er froh sei, Kunst zu einem aktuellen Thema ausstellen zu können. „Die meisten Werke dieser Art bei uns sind deutlich älter. Deshalb ist es umso schöner, das wichtige Thema der vergangenen Jahre im Gotteshaus zu haben. Es rüttelt auf, macht aufmerksam auf die Schicksale der Menschen, die ans Ufer gespült werden.“ Die Verantwortlichen von Pax Christi und Künstler Christof Legde arbeiten bei dieser Arbeit mit der Seebrücke, der zivilen Seenotrettung, zusammen. Die Collage geht nach der Ausstellung in deren Besitz über.

 

Info

Die Ausstellung in der Kirche Pax Christi, Glockenspitz 265 läuft bis zum 24. Juni. Die Öffnungszeiten des Gotteshauses sind sonntags von 12 bis 15 Uhr und mittwochs von 
15 bis 17.30 Uhr. Es gibt ein Poster des Tafelbildes, das gegen Spende ab 25 Euro zugunsten der Seebrücke abgegeben wird.