Orgelmusik als Erlebnis

Organistin Ute Gremmel-Geuchen entdeckte mit 13 Jahren ihre Liebe zur Königin der Instrumente

Ute Gremmel-Geuchen ist als Konzertorganistin über die Grenzen von Deutschland hinaus unterwegs . (c) Kurt Lübke
Ute Gremmel-Geuchen ist als Konzertorganistin über die Grenzen von Deutschland hinaus unterwegs .
Datum:
31. Aug. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 35/2021 | Ann-Katrin Roscheck

Es sind Erinnerungen, die die Kempenerin Ute Gremmel-Geuchen bis heute prägen. Mit Büchern bepackt und voller Enthusiasmus, stieg ihr Lehrmeister Oskar Gottlieb Blarr auf die Orgelempore der Düsseldorfer Neanderkirche und wartete voller Vorfreude darauf, seine damals 15-jährige Schülerin in die Welt der Musik zu entführen. 

Von Beginn an lernte die heutige Konzertorganistin: Um ein musikalisches Werk zu erarbeiten, reicht es nicht, nur den Notentext zu erlernen. Der Schüler muss sich darüber hinaus mit der Biografie des Komponisten beschäftigen, zeitgenössische Quellen heranziehen und die jeweilige Komposition in ihrem historischen Kontext betrachten. Nur wer sich auf diese Weise der Intention des Komponisten nähert, vermag die Musik mit Leidenschaft zu erfüllen.

Ute Gremmel-Geuchen begann ihre Karriere mit 13 Jahren. Als Kindergottesdiensthelferin war sie schon früh in ihre Kirchengemeinde eingebunden und schon damals vom besonderen Instrument begeistert. Als sie aber ein Konzert von Oskar Gottlieb Blarr besuchte, der die Bach-h-Moll-Messe aufführte, schwappte die Begeisterung über, und sie wusste, wo sie sich später sehen würde. Schon in jungen Jahren begann deswegen ihr beruflicher Weg, Gestalt anzunehmen. Sie legte neben der Schule den C-Kurs ab, der sie befähigte, Messen zu spielen, und begleitete rund um Düsseldorf, ihrer Heimatstadt, Gottesdienste an den Wochenenden. Sie hatte schon früh eine offizielle Kirchenmusikstelle an der Christuskirche in Meerbusch-Büderich inne. Bereits während der Schulzeit verdiente sie damit gut, investierte aber auch jede freie Minute in das außergewöhnliche Hobby. „Oskar Gottlieb Blarr hatte als junger Mensch selbst kostenfreien Unterricht bekommen, und als er meinen Enthusiasmus sah, bot er mir ebenfalls an, nichts für die Stunden mit ihm bezahlen zu müssen“, schildert Gremmel-Geuchen. „Das war natürlich auch mit einer Herausforderung verknüpft: Ich wollte ihm zeigen, dass ich eine gute Schülerin war und sein Engagement verdient hatte.“

So war es natürlich aufregend, aber fast selbstverständlich, als nach dem Schulabschluss die Musikhochschule Köln die junge Frau zum Studium der Kirchenmusik annahm. Gremmel-Geuchen orientierte sich damals schon anders als viele ihrer Mitstudenten. Bewusst wählte sie mit Peter Neumann einen Orgellehrer, der sich mit der sogenannten historischen Aufführungspraxis auskannte.

„Wenn wir ein Stück interpretieren, dann müssen wir uns immer mit der Zeit der Entstehung beschäftigen“, erklärt sie. „Als Beispiel möchte ich die Choralvorspiele für die Orgel von Johannes Brahms nennen.“ Die Choralvorspiele schrieb der Komponist kurz nach dem Tod von Clara Schumann, mit der ihn eine enge Freundschaft verband. Brahms stand Schumann und ihren sieben Kindern bei, als ihr Mann starb, und auch bis zu ihrem eigenen Tod begleitete der Komponist sie. In den Choralvorspielen wird der Schmerz über ihren Verlust deutlich. „Beim Spielen muss man sich vorstellen, wie seine Situation und seine Lebenslage zu dieser Zeit waren“, erklärt Gremmel-Geuchen. „Diese Empfindungen müssen aus dem Spiel sprechen. Das verändert eine Komposi-tion.“ 

Kempen hat einen außergewöhnlichen  Ruf in der Orgelmusikszene

Nach dem A-Kirchenmusikexamen in Köln entschied sie sich, ihrer Ausbildung durch ein Studium in Amsterdam, einem Zentrum für Alte Musik, noch mehr Tiefe zu verleihen. Auf diesem Weg lernte sie viele historische Orgeln in den Niederlanden kennen. Als wahres Orgelmekka erlebte sie die Sommerkurse in Haarlem mit Dozenten und Studenten aus aller Welt und der fantastischen Orgel von Christian Müller, die im Jahr 1738 erbaut wurde. Auch heute noch gibt sie viele Konzerte in den Niederlanden. „Die Niederländer haben eine unkonventionelle Art, Orgelkonzerte zu vermarkten. Die Konzerte sind in der Regel sehr gut besucht und sprechen auch diejenigen an, die sich nicht unmittelbar mit der Kirche verbunden fühlen,“ erklärt sie.

Nachdem Gremmel-Geuchen mit dem Konzertexamen und der Konzertreifeprüfung in Stuttgart ihre umfangreichen Studien abschloss und gemeinsam mit ihrem Mann nach Kempen zog, gestaltet sie selbst Konzerte. Hier wurde sie Titularorganistin der Paterskirche und Künstlerische Leiterin der Kempener Orgelkonzerte. Kempen kannte sie bereits aus ihrer Kölner Studienzeit. „Schon als Studentin fuhr ich extra mit Kommilitonen nach Kempen, um mir hier Orgelkonzerte anzuhören“, erinnert sie sich. „Diese Stadt hatte schon immer einen außergewöhnlichen Ruf in der Szene.“

Die Kempener Orgelkonzerte waren 1979 nach dem Bau der Albiez-Orgel der Propsteikirche durch den Gymnasiallehrer Walter Damm, der die Crème de la Crème der internationalen Orgelcommunity an den Niederrhein holte, ins Leben gerufen worden. Als Gremmel-Geuchen sich um den Jahrtausendwechsel maßgeblich mit dem Unternehmer Karl Nagels dafür einsetzte, die König-Orgel der Kempener Paterskirche zu reaktivieren, wurde die Orgelkonzertreihe auf die Paterskirche mit ihrem wertvollen barocken Instrument ausgeweitet. Auch familiär kam Gremmel-Geuchen in dieser Zeit in Kempen an. Gemeinsam mit ihrem Mann bekam sie sieben Kinder, die heute erwachsen sind. Sie begann, sich politisch für Themen wie Klimaschutz, Schulen und Kultur zu engagieren und wurde 2014 zur Sprecherin der so wichtigen Initiative „Projekt Stolperstein“ in Kempen. 
Heute ist es Ute Gremmel-Geuchen, die den Ruf Kempens als Orgelstadt mitprägt. Als Musikerin widmet sie sich der gesamten Bandbreite der Orgelmusik – von der Alten Musik über die romantische Musik bis hin zur Neuen Musik.

Für Gremmel-Geuchen ist es wichtig, die Vielfältigkeit des Instruments auch jüngeren Menschen nahezubringen und in der Darstellungsform dabei neue Wege zu gehen. Zuletzt war sie maßgeblich daran beteiligt, dass dem Kempener Orgelverein Fördergelder im Rahmen des Bundesprogramms „Neustart Kultur“ für die Digitalisierung zugesprochen wurden. „Orgelmusik soll nicht auf der Stelle stehen bleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass sie auch weiterhin Menschen anspricht“, erklärt sie. Mit einem hohen eigenen Anspruch setzt sie so fort, was sie von ihren Lehrmeistern gelernt hat: Sie lässt Orgelmusik zum Erlebnis werden.

Orgelmusik mit Ute Gremmel-Geuchen – ein kleiner Ausblick

(c) Kurt Lübke

12. September – Tag des Denkmals und Deutscher Orgeltag in Kempen
11 Uhr bis 12 Uhr: 1000 Pfeifen machen Musik – Familienführung in der Paters-
kirche
15 Uhr bis 18 Uhr: Non-stop-Orgelmusik auf dem Kirchplatz an St. Marien mit 
Stefanie Hollinger, Ute Gremmel-Geuchen und Christian Gössel

CD „Copyright J. S. Bach“
Mit Ute Gremmel-Geuchen, Orgel, und Annegret Siedel, Barockvioline.
Bestellungen: Kundenservice der KirchenZeitung, Tel. 0241/1685232.

Weitere Auskunft unter: www.gremmel-geuchen.de