Ohne Vergessen weiter leben

Was ein Aachener Gesprächskreis für Leute leistet, bei denen sich ein Angehöriger suizidiert hat

Trauergesprächskreis_Suizid_Nachricht (c) www.pixabay.com
Trauergesprächskreis_Suizid_Nachricht
Datum:
20. Sep. 2016
Von:
Kathrin Albrecht
„Erst ist die Welt noch in Ordnung, aber von einer Sekunde auf die andere bricht sie komplett auseinander.“ So beschreibt Monika (Namen von der Redaktion geändert), was sie fühlte, als sie vom Tod ihres Sohnes hörte.
Trauergesprächskreis_Suizid_Quadratisch (c) www.pixabay.com
Trauergesprächskreis_Suizid_Quadratisch

Das war vor fünf Jahren. Der Tod eines Kindes ist für Eltern immer schlimm. Doch anders als bei anderen Eltern weiß sie nicht, was ihren Sohn in den Tod trieb. Er verübte Suizid. „Für mich war das völlig überraschend, es kam aus dem Nichts.“ Genauso empfanden es auch Brigitte und Rainer. Ihr Sohn suizidierte sich vor sechs Jahren. Er lebte seit einiger Zeit im Ausland, auch sie traf sein Tod völlig überraschend. In die Trauer mischen sich immer wieder quälende Fragen: „Warum war ich so blind? Warum hat er diesen Weg gewählt? Das kommt immer wieder hoch“, sagt Monika. „Das Warum steht über allem“, bestätigt auch Stefanie. Einmal im Monat besuchen sie einen Gesprächskreis der Psychiatrieseelsorge des Bistums Aachen. Ulrich Roth, Klinik- und Psychiatrieseelsorger am Uniklinikum der RWTH, leitet den Kreis seit zehn Jahren. In der stationären Psychiatrie hatte er regelmäßig Kontakt zu Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, und zu Angehörigen von suizidierten Menschen.

 

Das Quälende ist das Warum, eine Antwort ist nicht möglich

In Einzelgesprächen betreute er die Betroffenen, die Idee eines Gesprächskreises wurde zunächst eher zögerlich aufgenommen. Die Scham, sagt Roth, ist ein Thema bei Angehörigen von Menschen, die Suizid verübt haben. Auch Rainer bestätigt das: „Freunde sind schnell damit überfordert.“ Umso wichtiger ist den Teilnehmern das Treffen alle vier Wochen. Hier können sie offen miteinander über ihre Gefühle sprechen, die Schuldgefühle, die Scham, die Hilflosigkeit und darüber, wie es mit dem eigenen Leben weitergeht.

„Das Quälende für die Angehörigen ist das Geheimnis, das der Mensch mit in den Tod nimmt. Das Warum kann nur er beantworten“, sagt Roth. Ihm ist auch wichtig, dass die Teilnehmer die Trauer nicht abarbeiten, sondern ihr Raum lassen und geben. „Der Suizid des Angehörigen gehört zum Leben und muss integriert werden“, sagt Andrea Bruders, die selbst Angehörige eines Suizidierten ist und gemeinsam mit Uli Roth den Gesprächskreis leitet.

 

Eine Hilfe und Entlastung, um den Alltag zu meistern

Auch wenn für die meisten Teilnehmer das Leben nicht mehr so ist, wie es war, ist ihnen der Gesprächskreis eine große Hilfe und Entlastung, um den Alltag zu meistern. „Das Leben geht weiter, aber die Verstorbenen sind nicht vergessen“ – so beschreibt Brigitte das, was sie aus den monatlichen Treffen zieht. Viele der anderen sehen das genauso.

Der Gesprächskreis trifft sich jeden ersten Mittwoch im Monat um 18 Uhr in der Psychiatrieseelsorge, Minoritenstr. 3, in Aachen. Ansprechpartner sind Uli Roth, Tel. 02 41/40 76 93, oder Andrea Bruders, E-Mail: andrea.bru@gmx.de. Weitere Infos gibt es auch beim bundesweiten Selbsthilfenetzwerk „Agus“ unter www.agus-selbsthilfe.de.