Offene Rede baut Brücken

Bischof Helmut Dieser begrüßt in Aachen 400 Gäste zur Auftaktveranstaltung von „Heute bei dir“

Präsentation vor vollem Plenum: Bischof Dieser erklärt 400 Frauen und Männern, was er in den nächsten Monaten vorhat. Flankiert wird er von Pressesprecher Stefan Wieland (r.) und „Heute-bei-dir“-Koordinator Christoph Lohschelder. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Präsentation vor vollem Plenum: Bischof Dieser erklärt 400 Frauen und Männern, was er in den nächsten Monaten vorhat. Flankiert wird er von Pressesprecher Stefan Wieland (r.) und „Heute-bei-dir“-Koordinator Christoph Lohschelder.
Datum:
20. Feb. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 08/2018 | Thomas Hohenschue
Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Dieses Wort des jüdischen Philosophen Martin Buber scheint Pate zu stehen für den Prozess, den Bischof Helmut Dieser für das Bistum Aachen ausgerufen hat.
Ein stilles Zeichen dafür, dass der Gesprächs- und Veränderungsprozess auch eine geistliche Dimension in sich tragen soll: eine Kerze mit dem Logo von „Heute bei dir“. (c) BIstum Aachen/Andreas Steindl
Ein stilles Zeichen dafür, dass der Gesprächs- und Veränderungsprozess auch eine geistliche Dimension in sich tragen soll: eine Kerze mit dem Logo von „Heute bei dir“.

Rund 50 Termine wollen er, die Weihbischöfe und der Generalvikar in den nächsten Monaten absolvieren. Sie suchen das Gespräch mit Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche. Erste Übung: der Auftakt in Aachen.

Der erste Eindruck zählt. Bischof Helmut Dieser weiß das. Und sucht die spontane Begegnung mit seinen Gästen. Das beginnt gleich am Eingang des Bischöflichen Pius-Gymnasiums. Wo werktäglich viele hundert Kinder und Jugendliche ein- und ausgehen, strömen nun 400 Erwachsene in das Gebäude. Jeder von ihnen wird persönlich vom Bischof begrüßt, mit Handschlag. Man stellt sich kurz vor, tauscht freundliche Worte aus und geht weiter, in die geräumige Aula. Dort erwarten die Besucher gastlich gedeckte Tische, Getränke, in Töpfen bereits die Fastensuppe, sie verbreitet ihren köstlichen Duft.

Zunächst aber ist Kaffeezeit angesagt. Ganz zwanglos nimmt man Platz. Oft winken Bekannte, gibt es ein großes Hallo. Man kennt sich aus dem kirchlichen Miteinander im Hauptberuf oder im Ehrenamt. Manche haben weite Wege auf sich genommen, um den Auftakt von „Heute bei dir“ mitzuerleben. Andere kennt man nur aus der Presse oder vom Hörensagen. „Ist das nicht…“ – ein Satz, so oft gesagt an diesem Nachmittag. So bringt die Auftaktveranstaltung des Prozesses Leute zusammen, die ansonsten in ihren eigenen Welten leben und aus ihrer eigenen Sicht heraus Glauben im Hier und Jetzt gestalten. Mitten im Getümmel: die Weihbischöfe Karl Borsch und Johannes Bündgens sowie Generalvikar Andreas Frick. Auch sie suchen das direkte, ungefilterte Gespräch mit den unaufhörlich hereinströmenden Gästen. Ausgesprochen offen und freundlich ist die Atmosphäre. Zugleich liegt eine gewisse gespannte Erwartung über der Versammlung. Nach der viel zitierten Silvesterpredigt des Bischofs kamen zahlreiche Fragen auf. Nicht wenige hoffen, auf diese Fragen an diesem Nachmittag Antworten zu erhalten.

 

Die verschiedenen Lager in der Kirche aus ihrer Verkrustung herausführen

Nach etwa einer halben Stunde beginnt der offizielle Teil. Und auch er ist erneut von einem Zeichen der Wertschätzung geprägt: Bischof Helmut Dieser bedankt sich für die Verbundenheit, die er im Plenum spürt. „Ihnen allen ist der Glaube wichtig“, sagt er. Er macht damit nicht zuletzt deutlich, vor welcher Herausforderung er steht und mit ihm der geistliche Prozess, den er mit „Heute bei dir“ in Gang setzen will. Denn in der Aula vertreten ist die ganze Spannbreite, wie Leute im Bistum Aachen Kirche verstehen, begründen, leben. Der Bischof wird später von Lagern sprechen, die sich starr und verhärtet gegenüberstehen und die er hofft, mit dem Prozess aus ihrer Verkrustung herauszuführen. Wie zu einem neuen „Wir“ in der Kirche finden? Das ist eine der Fragen, die ihn umtreibt, und er will sich der Antwort auf diese Frage darüber nähern, was er in direkten Begegnungen mit Menschen hört.

 

Erkenntnisse gewinnen, wie sich heute Freude des Evangeliums entfachen lässt

Im Interview mit Pressesprecher Stefan Wieland skizziert Bischof Dieser den Plan für die nächsten Monate. Die Fakten, kurz erzählt: Zwei Touren soll es geben, auf die sich Bischof, Weihbischöfe und Generalvikar begeben. Die Touren tragen den Titel „Meet and eat“. Zum einen gibt es unter diesem Motto öffentliche Veranstaltungen an Orten, an denen man Kirche nicht erwartet. Zum anderen sind es eher private Termine. Menschen sind aufgerufen, den Bischof, einen Weihbischof oder den Generalvikar zu sich nach Hause einzuladen und sich mit ihnen am Küchentisch über Gott und die Welt zu unterhalten. Beide Arten von Begegnungen sollen Erkenntnisse darüber beisteuern, wie die Freude des Evangeliums neu in der Welt von heute entfacht werden kann. Kurz wird noch Christoph Lohschelder vorgestellt, ein Mitarbeiter aus dem Stab des Generalvikars. Er koordiniert den Prozess und ist künftig für jeden, der sich beteiligen möchte, der richtige Ansprechpartner. Und dann fällt auch schon der Vorhang für den offiziellen Teil. Die Macher von „Heute bei dir“ hatten sich das so vorgestellt, dass sich wie vorher schon Bischof, Weihbischöfe und Generalvikar unter die Gäste mischen und mit ihnen persönlich über den Prozess, das Leben und den Glauben sprechen. Ein paar Minuten dauert der Moment, der die Leute im Ungewissen lässt, wie es weitergeht.

 

Die offene Aussprache im Plenum: eine Chance, sich zu verständigen

Sind es die vielen ratlosen Gesichter oder einzelne kollegiale Hinweise? In jedem Fall zeigt sich jetzt das, was der Bischof später als Markenzeichen von „Heute bei dir“ benennt: dass der Prozess „iterativ“ angelegt sei. Bei Wikipedia nachgeschlagen, heißt das: Man wiederholt etwas immer wieder und sucht dabei zu lernen, es besser zu machen, einer Lösung nahe zu kommen. Und so hat man bereits beim Auftakt etwas wahrgenommen: Ein Drehbuch ist das eine, das Reagieren auf Anliegen und Ideen das andere, spontane, glaubwürdige Improvisation das dritte.

Und hier zeigt Bischof Dieser Stärke. Er nutzt die Chance, die sich aus der so nicht geplanten Situation ergibt. Und er geht den dritten Weg – jenseits genau vorbereiteter Präsentationen und unverbundener Einzelgespräche – um sich mit den Leuten zu verständigen, die den Prozess mittragen sollen. Und so lautet die Einstiegsfrage im offenen Plenum, ob er auch rebellische Fragen zulasse. Seine Antwort: „Ich liebe die rebellischen Fragen. Denn sie helfen weiter. Brav sein ist leicht.“ All das müsse sein. Allerdings zieht er eine Grenze: Fragen heiße nicht, den anderen fertigmachen zu wollen. „Wenn Sie Fragen haben – nur raus damit!“, fordert der Bischof.

Und die Leute beginnen, sich zu trauen. Sie hinterfragen, ob nun drei Jahre Stillstand vor uns lägen, in denen nur gesprochen, aber nicht gehandelt werde. Sie bemängeln fehlende Transparenz im Prozess und darüber, was daneben bereits an Entscheidungen vorbereitet werde. Und sie fragen, warum der Prozess so sehr auf vier Geistliche zugeschnitten sei. Bischof Dieser gibt Antworten, die Brücken bauen: Das Grundgeschäft der Kirche im Bistum Aachen gehe ungebrochen weiter. Er wolle keine neuen Fakten schaffen, ohne wirklich zu wissen, wie es künftig gelingen kann, tiefer als bislang zu evangelisieren. Kirche müsse in allem, was sie tue, stärker als bisher helfen, Menschen zum Glauben zu führen. Wie genau das durch den Prozess ermittelt werde, sei noch nicht komplett durchdacht, nicht in allem ausgereift. Nur, was spruchreif sei, solle auch ausgesprochen werden. Aber im Kern gehe es um einen zutiefst geistlichen Prozess. Er soll von vielen getragen und weitergetragen werden. Die beiden Touren sollen Mut dazu machen: „Ich möchte unter die Menschen und mit gutem Beispiel vorangehen. Das soll andere einladen, es nachzuahmen.“