Notfallseelsorge in Not

Um die 24-Stunden-Bereitschaft aufrecht zu halten, werden Ehrenamtliche für den Dienst gesucht

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Datum:
9. März 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 10/2021 | Garnet Manecke

Die Notfallseelsorge in der Region Heinsberg hat Mühe, ihre 24-Stunden-Bereitschaft aufrecht zu halten. Wie in vielen anderen Bereichen zeigt die gegenwärtige Situation auch hier, dass Ehrenamt auch junge Menschen braucht.

Es ist die Sekunde, in der das Leben zerbricht. Der Moment, den niemand kommen sieht und mit dem niemand rechnet. Ein Unfall, eine tödliche Begegnung, ein Suizid, Amoklauf oder eine andere Katastrophe, von denen man immer nur in der Zeitung liest. Während Rettungskräfte noch um das Leben der Verletzten kämpfen oder den Ort des Geschehens absichern, kümmen sich die Frauen und Männern in den lila Jacken, auf deren Rücken das Wort „Notfallseelsorger“ in großen Lettern steht, um die Augenzeugen, die Überlebenden und Angehörigen. „Wir kommen immer dann, wenn die Katastrophe schon eingetreten ist“, fasst Achim Kück, Sprecher der Notfallseelsorge in der Region Heinsberg, die Aufgaben von ihm und seinen Kollegen zusammen.

Gegründet wurde die Notfallseelsorge vor 20 Jahren als ökumenische Organsiation. „Wir handeln aus unserer christlichen Überzeugung des Grundsatzes ,Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst‘“, sagt Christian Heinze-Tydecks, der evangelische Kollege von Achim Kück. Es gehe darum, den Menschen in ihrer Not beizustehen – ohne Ansehen der Person, ihrer Nationalität oder Religion. Zwar sei die Notfallseelsorge ein christliches Spezifikum. „Wir kommen aber nicht mit der Bibel unter dem Arm“, sagt Heinze-Tydecks. „Was wir mitbringen, ist eine gewisse Ritualkompetenz.“

Rund um die Uhr sind die Telefone der Notfallseelsorge besetzt, so dass jederzeit Kollegen ausrücken können, wenn sie von den Einsatzkräften der Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst gerufen werden. Zwischen 80 und 100 Einsätze haben die Frauen und Männer in der Region Heinsberg pro Jahr. „2020 waren es 87 Einsätze“, sagt Heinze-Tydecks. Im ersten Corona-Jahr habe sich die Zahl der Einsätze nach einem Suizid im Vergleich zu 2019 verdoppelt.

Die Pandemie stellt die Notfallseelsorge vor große Herausforderungen. Denn während auf der einen Seite der Beistand der Frauen und Männer vermehrt nachgefragt wird, sinkt auf der anderen Seite die Zahl derer, die Dienst machen können. „Wir haben manchmal Mühe, die 24-Stunden-Rufbereitschaft aufrecht zu halten“, sagt Achim Kück. Ein Grund ist der Mangel an jüngerem Nachwuchs. Die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass Ehrenamtliche aus den Risikogruppen sich derzeit vom Dienst zurückziehen.

Vor allem auf der Seite der ehrenamtlichen Notfallseelsorger hakt es. „Das Problem hat sich schon früh, aber schleichend angezeigt“, sagt Kück. Denn ursprünglich wurde der Dienst von Priestern, Pfarrern und Pfarrerinnen sowie hauptamtlichen Laien übernommen. „Auf der katholischen Seite war das ein freiwilliger Dienst, auf der evangelischen Seite gibt es eine Dienstverpflichtung“, erklärt Kück. Wer in der evangelischen Kirche eine Stelle in der Seelsorge inne hat, muss auch den Dienst der Notfallseelsorge übernehmen.
In der Praxis sieht es aber so aus, dass auf der katholischen Seite viele Priester aus verschiedenen Gründen den Dienst nicht übernehmen und auch auf der evangelischen Seite die Dienstverpflichtung nicht automatisch zum Dienst führt. „Die täglichen Anforderungen in den Gemeinden haben sich so gesteigert, dass viele das auch nicht mehr leisten können“, sagt Heinze-Tydecks. Ein Punkt, der auch auf die katholischen Kollegen zutrifft. So öffnete sich die Notfallseelsorge für Ehrenamtliche.
Aber nicht jeder, der die Idee hat, sich in diesem Feld zu engagieren, ist auch dafür geeignet. Zum einen müssen die Kandidaten selbst geerdet sein. Weil für den Dienst eine gewisse Lebenserfahrung wichtig ist, liegt das Mindestalter für den Einstieg bei 27 Jahren. Viele sind derzeit weit älter. „Es gibt die Tendenz, dass die Leute erst mit dem Ruhestand in die Notfallseelsorge gehen“, sagt Achim Kück. Das macht die Lage derzeit schwierig, weil dieser Kreis in der Corona-Zeit oft selbst zur Risikogruppe gehört, oder engen Kontakt mit Menschen aus der Risikogruppe hat und aus Rücksicht auf diese für Einsätze nicht zur Verfügung steht.
Menschen im Alter von Ende 20 bis Ende 30 zu gewinnen, ist schwierig. „Das ist die Phase der Familienplanung“, sagt Heinze-Tydecks. Allerdings gebe es immer wieder Interessierte aus dieser Altersgruppe, die die Qualifizierung machen. Acht Monate mit 137 Unterrichtseinheiten umfasst die Ausbildung. Neben Fragen wie Resilienz und Stressbewältigung, Gesprächsführung und rechtlichen Aspekten, dem Umgang mit Schuld und Vergebung sowie der Reflexion eigener Trauerarbeit gehört auch die Hospitanz im Rettungsdienst und bei der Polizei dazu.

Nach der Ausbildung werden die Notfallseelsorger offiziell beauftragt und unter das Seelsorgegeheimnis gestellt. Damit können sich die Seelsorgenden nach Einsätzen auf ihre Schweigepflicht berufen – auch gegenüber Ermittlungsbehörden. Voraussetzung für den Dienst ist die Konfessionszugehörigkeit zu einer christlichen Kirche – auch wenn auf der anderen Seite der Beistand allen Menschen in akuten Krisensituationen gilt, unabhängig von der Religion.

Information zur Notfallseelsorge-Ausbildung bei Achim Kück per E-Mail: achim.kueck@bistum-aachen.de oder Christian Heinze-Tydecks, E-Mail: seelsorgeausbildung-juelich@ekir.de